Müggelheimer Bote
7. Jahrgang, Ausgabe 10/2000  
Oktober 2000 Home  |  Archiv  |  Impressum


Geschichten aus dem Müggelwald

Willi - Professor für Tiermedizin

Willi war wieder einmal bei Oma und Opa im Müggelwald.

Die Sommerferien gingen ihrem Ende entgegen. Und wie immer war nichts los. Die letzten Tage war er dazu verdonnert worden hier draußen zu bleiben, denn Mama und Papa mussten wieder arbeiten gehen. „Sieh es positiv Junge”, hatte Papa gesagt, „vielleicht erlebst du wieder eine Wildschweinaktion.”

„Na gut”, dachte Willi, „die Wildschweine wären die Einzigen, die mir die paar Ferientage im Müggelwald noch versüßen könnten.”

Das Wetter war gräulich. Es regnete. Es war kalt. Willi hatte keine Lust schwimmen zu gehen oder Rad zu fahren. Rumtoben, das wäre noch was gewesen. „Aber mit wem soll ich rumtoben? Mit Opa vielleicht, oder mit Oma? Wie sollte das denn gehen, vielleicht mit Opa auf den Bäumen herumklettern oder mit Oma durch die Dreckpfützen kriecht?” Willi musste lachen. Ging nicht!

„Da wäre ja noch die Röhre”, dachte er, „die könnte man vom Frühstück bis zum Abendbrot nach Actionfilmen absuchen.”

Aber das ging nun gar nicht. Denn die „Röhre” hatten Oma und Opa fest in ihrer Hand. Sie war für Willi tabu. Er durfte bei Oma und Opa im Müggelwald nicht fernsehen. Das musste man sich mal vorstellen.

Also wie hatte Papa gesagt? „Sieh es positiv Junge!”

Aber dann kam der Tag, der alles verändern sollte. Der Tag, der wieder diese Action in den Müggelwald brachte.

Die Sonne hatte sich hinter den dicken Regenwolken hervorgetraut. Deshalb wurde draußen auf der Terrasse gefrühstückt. Auch die Tiere nutzten die wärmenden Sonnenstrahlen. Sie hatten ihre Schlupflöcher verlassen und tummelten sich auf den Bäumen, auf den Wiesen, im Wasser und in der Luft.

Zu diesen Tieren gehörte auch eine Eichhörnchenfamilie. Vater Erich, Mutter Else und die Kinder Emil und Elli.

Emil und Elli waren noch sehr klein. Die Eichhörncheneltern nutzten den schönen Sonnentag, um den Kindern das Baumspringen beizubringen. An den ellenlangen Baumstämmen rauf und runterzurennen, das hatten Elli und Emil schon gelernt, aber springen, das konnten sie noch nicht.

Vater Erich machte es ihnen vor. Er sprang von einem Ast zum anderen und tanzte auf sämtlichen Bäumen im Garten von Oma und Opa herum.

Willi war beeindruckt.

„Opa, Opa”, rief er, „guck doch mal. Ich glaube, die beiden Kleinen sollen das Springen lernen. Cool!”

Nun guckten alle fasziniert den Eichhörnchen zu. Das Frühstück war vergessen.

Eichhörnchenvater Erich hatte seine liebe Not. Mit Emil ging es ja noch, aber Elli war ängstlich. Sie traute sich nicht. Immer wieder sprang der Vater. Auch die Mutter und Bruder Emil - um ihr Mut zu machen. Aber es ging nicht. Sie hatte Angst!

Doch dann passierte es. Der Druck war so groß, dass Elli die Augen zu machte und schließlich doch sprang. Und da geschah es. Sie verlor den Halt und fiel vom Baum. Mitten auf die Wiese im Garten.

Willi war erstarrt. Wie konnte das nur passieren? Er lief zum Opa, der schon neben dem leblosen Eichhörnchen stand. „Opa, was ist”, fragte er ganz leise, „lebt es noch?”

„Ich glaube, wir haben Glück. Es scheint nur einen Schock zu haben und vielleicht ein paar Prellungen. Es atmet, kannst du das sehen?”

Willi sah alles und er hörte sogar noch viel, viel mehr.

Über ihnen im Baum saßen wie versteinert die anderen drei Eichhörnchen. Sechs Augen schauten auf Willi und beobachteten ihn und Opa. Und er glaubte zu hören, wie die Eichhörnchenmutter Else flüsterte: „Lieber Willi, bitte, bitte hilf meinem Kind.”

„Na, nun bin ich verrückt geworden”, dachte Willi, „aber es ist eine schöne Verrücktheit Tieren zu helfen.”

Er ließ sich von Opa einen großen Korb geben. Dort legte er das Eichhörnchen hinein. Dann deckte er den Korb mit einem Tuch zu und stellte ihn in den Schuppen in eine dunkle, ruhige Ecke. Er setzte sich auf einen Hocker neben den Korb und hielt Krankenwache.

Es dauerte eine lange, lange, lange Zeit. Plötzlich schlug das Eichhörnchen die Augen auf. Es bewegte sich. Elli hatte ihren Schock überwunden.

Willi beobachtete das Eichhörnchenmädchen noch eine Weile, dann meinte er, Elli könne die Krankenstation wieder verlassen.

Er schleppte den Korb auf die Wiese und das Eichhörnchen krabbelte heraus. Es wurde von seiner Familie erwartet. Ganz langsam huschten sie alle am ellenlangen Baumstamm empor und verschwanden. Von diesem Tag an nannte ihn Opa „Herr Professor Willi”.

„Na, macht nichts”, dachte Willi, „wie hatte Papa gesagt, sieh es positiv Junge.” Ingrid Zweiniger

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