Müggelheimer Bote
7. Jahrgang, Ausgabe 05/2001  
Mai 2001 Home  |  Archiv  |  Impressum


Märchen aus dem Müggelwald

Nachtgesellen

In einem kleinen verträumten Garten im Müggelwalddorf steht der kuscheligste Schlafbaum, den sich ein Vogelkind nur erträumen kann. Auch Sternchen, unser kleines Starenjunges ist froh, hier in so guter Gesellschaft zu sein. Jeden Abend um die gleiche Zeit singt seine Frau Mama ein Abendlied. Beim Einschlafen wedelt das Eichhörnchen sanft mit seinem Puschelschwanz. Wenn der Wind den Schlafzweig leicht zu wiegen beginnt fehlt nur noch das Mondlicht, damit die Träume auch in Farbe ablaufen.

Sternchen träumt immer sehr aufregende Dinge: von den Insekten, die sich nicht so leicht schnappen lassen, wie es will; von der Katze, die eine Glocke um den Hals trägt, damit Sternchen beim Fangespiel nicht immer verliert und von den Menschenkindern, die seine ersten Singversuche mit Freude verfolgen.

In Sternchens Garten kommt seit letzter Zeit immer die gleiche Menschenfamilie: Ein Mann, eine Frau und zwei Kinder. Das eine Menschenkind trägt viele Stöcke mit sich. Sternchen fliegt zu ihm. Es fragt das Menschenkind, ob es ein Nest bauen wolle. Das Menschenkind antwortet: „Wir bauen ein Haus.” Ein Nest ist doch viel praktischer, dachte sich Sternchen, wo doch das Menschenkind schon so viele Stöcke zusammengetragen hatte. Der Mann konnte mit den Stöcken wahrscheinlich kein Nest bauen, denn er warf sie weg.

Kurze Zeit später wurde die Sache mit dem Haus ernst. Und erst jetzt verstand Sternchen, warum die anderen Tiere so schlecht auf die Menschen zu sprechen waren: der kuscheligste aller Schlafbäume wurde gefällt und ein Haus aus Stein gebaut. Die Tiere beschlossen, sich ein neues Zuhause zu suchen. Sternchen aber blieb gemeinsam mit dem Eichhörnchen. Schließlich wurden ja nicht alle Bäume gefällt und die beiden hatten sich so mit der Menschenfamilie angefreundet.

Es kam der Tag, an dem der Krach der Maschinen aufhörte und die Menschenfamilie viele Taschen, Körbe und Kisten in das Steinhaus trug. Die hereinbrechende Nacht dämmte das Licht. Es wehte ein ungemütlich kühles Lüftchen. Sternchen war sehr müde, konnte es doch vor Lärm die vorangegangenen Abende erst spät einschlafen. Wie in alter Gewohnheit flog es zu der Stelle, an der sein Schlafast einst war. Es war angenehm warm im Rücken. Der Mond schaltete das Licht ein. Erst jetzt bemerkte Sternchen, dass es auf einem angekippten Fenster ruhte.

Als der Mann, der mit Stöcken nichts anzufangen weiß, genau so müde in das Zimmer trat, rief er: „Frau, komm ganz schnell, aber leise hoch! Das hast du noch nicht gesehen!” Die Frau war sehr erfreut.

Und weil die Menschenfamilie so nett war, kam Sternchen jeden Abend auf das angeklappte Schlafzimmerfenster zur Nachtruhe. Heike Schmidt

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