Müggelheimer Bote
8. Jahrgang, Ausgabe 11/2001  
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Geschichten aus dem Müggelwald

Freunde wachsen in den Himmel

Ein Samenkorn war auf dem Weg in den Müggelwald. Von einem Eichenbaum hatte es der Wind auf eine Wolke geweht. Das Samenkorn war traurig.

„Was soll ich denn auf dieser Wolke? Ich will in einem Wald aufwachsen und dort groß und stark werden. Ich will kein Wolkenbaum werden.” „Nun beruhige dich”, flüsterte die Wolke, „wo möchtest du denn hin? Ich bin bereit dir zu helfen.”

Das Samenkorn freute sich und fragte die Wolke: „Hast du schon mal was vom Müggelwald gehört, dort soll es schön sein” „Ja, kenne ich. Also fliegen wir dorthin. Kuschle dich in mein Wolkenflies und wenn du eine Stelle gefunden hast, wo du landen möchtest, dann sage mir Bescheid.”

Es wurde ein gemütlicher Flug. Sie flogen über Wiesen, Wälder, einige Häuser und große und kleine Seen. Die Wolke ruhte sich oft aus und blieb dann einfach am Himmel stehen. „Schau dich um”, sagte sie zu dem Samenkorn, „wir sind jetzt über dem Müggelwald. Wo möchtest du runter?”

Das Samenkorn hatte schon alle Gedanken und Wünsche in seinem Samenkornkopf geordnet. „Ich will an einem See runter. Ich glaube, der See heißt Kleiner Müggelsee. Geht das?”

„Na klar!”, sagte die Wolke. Es dauerte nur noch eine klitzekleine Weile und das Samenkorn machte sich zum Absprung bereit.

„Tschüss und alles Gute”, riefen sie sich zu. Dann sprang das Samenkorn von der Wolke. Langsam segelte es zur Erde und landete im weichen Sand am Fuße des kleinen Müggelsees.

„Hier werde ich groß und stark werden. Ein schönes Fleckchen Erde habe ich mir ausgesucht.” Und weil es von der langen Reise sehr müde und erschöpft war, schlief es ein. Als es wach wurde, rekelte es sich in der weichen Sandkuhle. „Hoppla, da ist doch was. Hallo, ist da jemand?” „Ja!”, krächzte eine raue Stimme, „ich bin hier. Ich bin ein Kiefernsamenkorn.”

Stille - Ruhe - Stille

Dann mussten beide lachen.

„Zwei Samenkörner suchen sich einen Platz zum Wachsen und landen in einer weichen Sandkuhle. Was wollen wir nun machen?”

„Na, du verlässt die Kuhle”, sagte das Kiefernsamenkorn, „weil du später gekommen bist. Ich bin schon ein paar Tage hier. Vielleicht schaust du mal, ich habe schon kleine Wurzelfüße.”

Wieder Stille.

Nach einer Weile hörte das Kiefernsamenkorn leises Weinen. „Was hast du denn? Warum weinst du? Ich habe dir doch nichts getan.”

„Ich will hier bleiben”, schluchzte das Eichensamenkorn, „ich habe noch keine kleinen Wurzeln wie du. Ich will aber trotzdem hier bleiben.”

Die weiche Sandkuhle war nass. So viele Tränen hatte das kleine Eichensamenkorn geweint.

„Nun höre auf. Meine Wurzelfüße sind ganz nass geworden. Du bleibst hier und wir werden beide zusammen aufwachsen. Das müsste doch gehen. Wir versuchen es. Versprochen ist versprochen.”

Sie haben es versucht. Sie haben sich geschubst und gestoßen, aber immer haben sie sich an ihr Versprechen erinnert.

Heute stehen sie beide groß und stark am Kleinen Müggelsee. Sie umarmen sich, eine stattliche Eiche und eine dicke Kiefer und sie werden weiter gemeinsam in den Himmel wachsen.

Wenn ihr sie sehen wollt, dann sucht sie am kleinen Müggelsee. Ich glaube, sie freuen sich. Ingrid Zweiniger

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