Müggelheimer Bote
8. Jahrgang, Ausgabe 11/2001  
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Im Namen des Volkes

Ein bemerkenswertes Urteil des Brandenburgischen Oberverwaltungsgerichtes zum Flughafen Schönefeld

Am 24. August verkündete das Brandenburgische Oberverwaltungsgericht in einem Normenkontrollverfahren, das von sechs Gemeinden aus Brandenburg gegen die Landesregierung angestrengt worden war, das folgende Urteil (Auszug): „Die Festlegung Z 6.5.1 der Anlage zur Verordnung über den gemeinsamen Landesentwicklungsplan für den engeren Verflechtungsraum Brandenburg-Berlin (LEP eV) vom 2. März 1998 (GVBl. II S. 186) ist nichtig.”

Dieses Urteil hat nicht nur bei Juristen in Berlin und Brandenburg für Aufsehen gesorgt, sondern auch Politiker und Flughafenplaner schockiert und so manchen Mitstreiter des BVBB zu Freudensprüngen veranlaßt. Was ist an diesem Satz so brisant? Um das beurteilen zu können, muss man die für ungültig erklärte Festlegung im LEP eV kennen (Auszug): „Z 6.5.1 Zur Deckung des Luftverkehrsbedarfs in Brandenburg und Berlin sind die Planung und der Ausbau des Internationalen Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld vordringlich zu betreiben. Damit soll gleichzeitig das vorhandene Flughafensystem Berlin-Tegel, Berlin-Tempelhof und Berlin-Schönefeld abgelöst werden.” Diese Formulierungen sind sattsam bekannt, denn sie werden seit Jahren von lokalen Politikern und Flughafenplanern benutzt, um den Bau eines Großflughafens in Schönefeld zu rechtfertigen. Das Problem liegt aber – wie so oft – in einem kleinen Detail, denn die Festlegung auf den Standort Schönefeld ist im LEP eV, wie im Folgenden anhand der Urteilsbegründung ausgeführt werden soll, rechtswidrig zustande gekommen. Gerade dieser Sachverhalt macht die außerordentliche Bedeutung dieses Urteils aus.

Zunächst ist eine vom Antragsgegner, dem Land Brandenburg, vertreten durch das Ministerium für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung, vorgebrachte Klageerwiderung interessant. Er behauptet u.a., die Gemeinden würden den Inhalt der angegriffenen Norm verkennen. Durch diese werde kein Standort für einen Flughafen festgelegt, sondern nur eine Aussage zur grundsätzlichen Geeignetheit eines Standortraumes getroffen. Die Festsetzung eines Standortes sei Sache eines nachfolgenden Verwaltungsverfahrens; eine Auseinandersetzung mit Standortalternativen sei danach im Planfeststellungsverfahren erforderlich. Eine möglicherweise anderweitige Sicht der Dinge durch Dritte, auch durch andere Behörden, etwa im Planfeststellungsverfahren, sei hierfür nicht von Bedeutung.

Für das Gericht ergibt sich die Ungültigkeit der Festlegung 6.5.1 LEP eV zunächst daraus, dass diese Vorschrift verfahrensfehlerhaft, nämlich unter Verletzung der gesetzlichen Verpflichtung zur Beteiligung des Gemeinden im Erarbeitungsverfahren, erlassen worden ist. Es führt dazu aus: „Die in der Festlegung 6.5.1 LEP eV enthaltene Aussage dazu, wie der Luftverkehrsbedarf in Brandenburg und Berlin gedeckt werden soll, enthält eine eindeutige, nicht mehr auf einer weiteren Planungsebene noch überwindbare raumordnungsrechtliche Aussage zum künftigen „Flughafensystem” .... Damit steht entsprechend der Kennzeichnung der Festlegung 6.5.1 LEP eV als Ziel ein „Bekenntnis” zum Ausbau des bestehenden Flughafens Berlin-Schönefeld zum künftigen internationalen Verkehrsflughafen für die Region Brandenburg-Berlin unter gleichzeitiger Ablösung des bisherigen Flughafensystems fest, das nicht mehr im Wege einer Abwägung durch nachrangige Planungsträger überwunden werden können soll.”

Den Gemeinden ist zwar im September 1995 der Entwurf des LEP eV übermittelt und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Entwurf gegeben worden. Die Beteiligung der Gemeinden genügte indessen nicht dem sich aus den Bestimmungen des Landesplanungsvertrages ergebenden Beteiligungserfordernis. Denn die endgültige Fassung des LEP eV entspricht bezüglich der jetzt für ungültig erklärten Festlegung Z 6.5.1 in einem wesentlichen Punkt nicht der seinerzeit vorgesehenen. Der Entwurf sah eine textliche Festlegung vor, wonach der Bau eines neuen Verkehrsflughafens für Berlin und Brandenburg eine vordringliche Aufgabe sei, ohne jedoch eine raumordnungsrechtliche Entscheidung in der Standortfrage zu treffen. Der weiteren Entstehungsgeschichte der Verordnung ist zu entnehmen, dass der Beschluss der Berlin Brandenburg Flughafen Holding GmbH (BBF) Anlass für die Änderung des ursprünglichen Entwurfes war. Dieser Beschluss („Konsensbeschluss”) war insbesondere dafür maßgeblich, daß auch im LEP eV eine Festlegung auf einen bestimmten Flughafenstandort, nämlich Berlin-Schönefeld, erfolgte. Die Änderung der in Rede stehenden Festlegung während des Erarbeitungsverfahrens der Rechtsverordnung hätte den Verordnungsgeber veranlassen müssen, zumindest die von der Änderung betroffenen Gemeinden erneut, und zwar auf der Grundlage des überarbeiteten Entwurfes, zu beteiligen. Diese gemäß Landesplanungsvertrag erforderliche Beteiligung der Gemeinden in dem Verfahren zur Erarbeitung des LEP eV ist nicht durchgeführt worden. Bereits dieser Verfahrensfehler hat die Ungültigkeit der Festlegung Z 6.5.1 LEP eV zur Folge.

Darüber hinaus ist die Festlegung 6.5.1 LEP eV auch in Ermangelung einer ordnungsgemäßen Abwägung ungültig. Die Entstehungsgeschichte dieser Festlegung zeigt, daß die raumordnungsrechtliche Entscheidung über den konkreten Standort eines internationalen Verkehrsflughafens für die Region Brandenburg-Berlin sowie die Standortentscheidung selbst allein auf den sogenannten Konsensbeschluss der Gesellschafter der BBF zurückzuführen sind, der einer gemeinsamen Empfehlung des Bundesministers für Verkehr, des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg zum Flughafenkonzept Berlin-Brandenburg folgt. Damit hat der Beschluss einer privaten Gesellschaft nicht nur Eingang in eine Abwägung gefunden, sondern – vergleichbar einem unabänderlichen Naturereignis – unmittelbar und allein das Entscheidungsergebnis bestimmt. Es ist nicht erkennbar, dass der Verordnungsgeber sich mit hinter diesem Beschluss stehenden sachlichen Gesichtspunkten, also solchen, die für die Festlegung eines bestimmten Flughafenstandortes und für die konkrete Festlegung am Standort Berlin-Schönefeld sprechen, insbesondere aber auch mit gegenteiligen Argumenten inhaltlich auseinandergesetzt hat. Insbesondere bezieht der Verordnungsgeber sich nicht auf die Begründung des Gesellschafterbeschlusses, was auch deshalb nicht überrascht, weil eine nähere inhaltliche Begründung dieses Beschlusses nicht vorliegt.

Ein weiterer interessanter Aspekt der Urteilsbegründung sind die Überlegungen des Gerichtes darüber, ob die dem LEP eV zugrundeliegende gesetzliche Norm, das Landesentwicklungsprogramm LEPro, verfassungskonform ist. Es führt dazu aus, es ist im vorliegenden Falle nicht ausgeschlossen, dass die inhaltlich identische gesetzliche Norm § 19 (11) LEPro mittelbar, nämlich durch eine Richtervorlage nach Art. 100 (1) Grundgesetz Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Überprüfung werden kann und dass das Verfassungsgericht die gesetzliche Norm für mit der Verfassung unvereinbar oder für nichtig erklärt.

Die raumordnungsrechtliche Festlegung des Flughafenstandortes durch § 19 (11) LEPro erlangt möglicherweise entscheidungserhebliche Bedeutung im Rahmen zweier noch beim Gericht anhängiger Normenkontrollverfahren, deren Gegenstand die Verordnung über den gemeinsamen Landesentwicklungsplan Standortsicherung Flughafen (LEP SF) vom 18. März 1999 ist. Die Anlage zu dieser Verordnung bezieht sich u.a. auf den § 19 (11) LEPro als gesetzliche Grundlage für die landesplanerische Standortsicherung für den Ausbau des Flughafens Schönefeld. Es ist nicht auszuschließen, dass der erkennende Senat zu der Überzeugung gelangt, dass § 19 (11) LEPro verfassungswidrig ist. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass beim Erlass dieser gesetzlichen Vorschrift jedenfalls die von § 19 (11) LEPro betroffenen Gemeinden nicht gemäß Landesplanungsvertrag beteiligt worden sind. Es ist auch nicht auszuschließen, daß hierin eine Verletzung verfassungsrechtlicher Positionen der Gemeinden gesehen werden muss und der bei der Erarbeitung des LEP eV begangene Verfahrensfehler gleichermaßen beim Erlass des Landesentwicklungsprogrammes unterlaufen ist und damit auch § 19 (11) LEPro betrifft.

Nach dieser juristischen Vollkost sollte man sich noch einmal die Aussagen des Antragstellers zur Antragsbegründung im Planfeststellungsantrag Band AII, Kapitel 8, Raumordnung und Landesplanung ansehen. Dort steht auf Seite 41: „Aufgrund ... der Standortfestlegungen im gemeinsamen Landesentwicklungsprogramm [LEPro] und in dem gemeinsamen Landesentwicklungsplan engerer Verflechtungsraum [LEP eV] ist die Untersuchung von Standortalternativen nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.” Die Standortfestlegung im LEP eV ist durch vorliegendes Urteil nichtig. Die Standortfestlegung im LEPro ist womöglich verfassungswidrig, was sich im Ergebnis der beiden noch zu entscheidenden Normenkontrollverfahren gegen den LEP SF zeigen könnte. Den LEP SF wird wahrscheinlich, weil er sich ebenfalls auf die Standortfestlegung im LEPro und LEP eV stützt, ein ähnliches Schicksal ereilen. Die Urteile in den beiden Normenkontrollverfahren gegen den LEP SF werden spätestens Anfang nächsten Jahres erwartet.

Gunnar Suhrbier, BVBB Müggelheim, FON 65942753

www.planfeststellungsverfahren.net

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