Müggelheimer Bote
8. Jahrgang, Ausgabe 02/2002  
Februar 2002 Home  |  Archiv  |  Impressum


Das Paradies des Ostens

Geschichte einer 104 Jahre alten Ausflugsgaststätte

Angefangen hat alles ganz einfach. Mit einer kleinen Blockhütte eines gewissen Herrn Erdmann, einem Bockwurststand und einem Bierausschank für die Ruderer. Das war so um 1890. Zu diesem Zeitpunkt sah Neu-Helgoland noch aus wie eine Insel. Schnell entdeckte Erdmann, dass das Geschäft gut lief, entwickelte größere Pläne. Er ließ das Gelände anschütten und baute 1897 darauf ein Fachwerkhaus. 1898 erwarb es Wilhelm Fröhlich, Urgroßvater der heutigen Besitzerin Dagmar Tabbert.

Idylle pur: Sonnenschein, Wasserplätschern und das Rauschen alter Bäume. So schön war es im Neu-Helgoland im Sommer.
Fröhlich übergab die Gaststätte seinem Sohn Wilhelm jr. Doch der war ein Lebemann und Spieler und schaffte es innerhalb kürzester Zeit, die Gaststätte herunterzuwirtschaften. Kurz vor dem Konkurs bot er seiner Schwester Frieda Tabbert die Gaststätte an, die das Haus samt Schuldenberg gemeinsam mit ihrem Mann Ernst übernahm. Ernst und Frieda Tabbert hatten schwere Zeiten durchzumachen, bis sie den Kredit abgearbeitet hatten. Ernst, ein dicker, Zigarre rauchender freundlicher Wirt, begrüßte jeden Gast bereits an der Tür mit Handschlag. Im Zweiten Weltkrieg stand Neu-Helgoland in voller Blüte. Im Garten hatten 4000 Gäste Platz, in der Gaststätte 2500 und im großen Saal noch einmal 1500. In den schlechten Zeiten großer Arbeitslosigkeit waren Ideen gefragt. So konnten auch an der Müggelspree „Familien Kaffee kochen”.

Gäste kamen aus dem Ort, aus der Stadt oder von den beiden großen Zeltplätzen. Aber auch von der Wasserseite kamen täglich etwas 2000 hungrige Mäuler, die gestopft werden mussten. In der Zeit des Nationalsozialismus bekam Neu-Helgoland seinen Zunamen „Paradies des Ostens”. Im Zweiten Weltkrieg richtet der Reichs-Arbeitsdienst in der Gaststätte sein Organisationsbüro ein. Der gesamte Schriftkram für Berlin wurde von dort aus abgehalten. Nur ein kleiner Teil blieb für die Öffentlichkeit geöffnet.

Nach Kriegsende randalierte die Sowjetarmee in der beliebten Ausflugsgaststätte. Ernst Tabbert wollte eigentlich aufgeben. Doch die ganze Familie hielt zusammen, baute Neu-Helgoland wieder auf und zog das versenkte Mobiliar aus dem Wasser. Nach dem Tod von Frieda Tabbert übernahm deren Sohn Heinz mit seiner Frau Charlotte die Gaststätte. In den DDR-Zeiten hatte Neu-Helgoland es schwer. Wenig Belieferung, kaum Fleisch. Grund: Ihre Selbstständigkeit. Das Anwesen wurde scherzhaft LPG genannt - letzte private Gaststätte. Oft wurde Heinz Tabbert angeworben, in die Partei einzutreten. Doch er sagte nur: „Von Neu-Helgoland ist keiner in der Partei. Neu-Helgoland ist eine Partei für sich.”

1976 nahm Tochter Dagmar ihre Arbeit in der Gaststätte auf. Sie ist seit ihrer Kindheit mit Neu-Helgoland verwachsen. „Ich kam ins Haus, als ich eine Woche alt war”, erzählt sie. 1986 pachtete sie dann mit ihrem damaligen Mann Stefan das Lokal, 1991 wurden sie Eigentümer. Zuletzt führte sie das Lokal alleine - aber immer mit Hilfe des Familienclans. So arbeitet die fünfte Generation bereits fleißig mit: Sohn Niklas und Tochter Stefanie. Und die sechste Generation erblickte erst im November das Licht der Welt: Tom.

Mit ihren Ost-Rock-Konzerten fand Dagmar Tabbert Mitte der 90er-Jahre eine Marktnische. Mehrere Konzerte pro Monat sorgten für einen stets vollen Saal. Mit zusätzlichen Bällen machte sie sich unabhängig vom Saisongeschäft der Ausflugsgastronomie. sip/-dt

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