Müggelheimer Bote
7. Jahrgang, Ausgabe 09/2000  
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Märchen für Müggelkinder

Der Konditor und das Nachtgespenst

Die kleine Stadt schlief schon und alles war dunkel. Nur aus zwei kleinen Fenstern fiel noch Licht in die finsteren Gässchen und Rauch zog in dünnen Fahnen aus einem der vielen, windschiefen Schornsteine. Die Nacht war kühl und regnerisch und der Zeiger der großen Turmuhr rückte auf zwölf Uhr Mitternacht zu. Als um Punkt zwölf Uhr die schweren Gussglocken läuteten und dröhnten, fuhr aus einem breiten Spalt in der Friedhofsmauer ein graues, blassgesichtiges Gespenst, dass jede Nacht zur Geisterstunde aufstehen und umherspuken musste.

Das Gespenst hüstelte krächzend, denn in der Friedhofsmauer war es feucht und es hatte sich erkältet. Langsam und mit starren Gliedern tappte es in der Dunkelheit umher und wandelte langsam auf die kleine Stadt zu. Schon von weitem sah das Gespenst das warme, anheimelnde Licht, das da in einem der kleinen Häuser brannte und wurde neugierig. Vorsichtig schlich sich die nächtliche Erscheinung bis an das Fenster heran und schielte hinein. Die Vorhänge waren nicht zugezogen. Es konnte einen kleinen, dicken Mann sehen, der einen staubigweißen Kittel trug und mit den Händen in einer Schüssel herumknetete. Das Gespenst machte große Augen und plötzlich fing die verschnupfte Gespensternase einen ganz verlockenden, fantastischen Duft auf. Die Spukgestalt schnüffelte und schniefte und ihm lief im das Wasser in dem ausgedörrten Mund zusammen. So schnell es konnte, schwebte es zur Eingangstür, prüfte die Größe des Schlüssellochs, kroch ganz eng in sich zusammen und schlüpfte hindurch.

Drinnen im Zimmer war es wohlig warm. „Guten Abend”, sagte das Gespenst mit näselnd hoher Stimme. Der dicke Mann, der eben noch in der Schüssel herumgeknetet hatte, fuhr erstaunt herum. „Ach, so später Besuch noch? Guten Abend, äh... Herr -, ich heiße Vladimir. Vladimir Zuckerhut, erster Konditor am Platze. Und sie, wer sind sie, wenn ich fragen darf?”

„Ach, ich bin . . . ich bin nur ein Gespenst!”

Der Konditor lachte schallend

„Was gibt es da zu lachen?”, fragte das Gespenst fast beleidigt und fühlte sich sehr verletzt.

„Verzeihen Sie”, gluckste Vladimir, „aber ich habe noch nie einen solch erkälteten, blassen, fiebrigen Nachtgeist gesehen! Aber bitte, setzen Sie sich doch, machen Sie es sich bequem.”

Verdrossen setzte sich das Gespenst auf ein Schemelchen.

„Sie sehen wirklich nicht gut aus, ich glaube, Sie sind ernstlich krank. Moment mal, ich habe da noch dicke, süße, heiße Schokoladenmilch, zum Aufwärmen!”

Während das Gespenst laut schmatzend trank, stieg ihm wieder der herrliche Duft in die Nase.

„Was riecht bei dir so gut?”, fragte es interessiert.

„Ich backe einen Kuchen!”, antwortete Vladimir stolz. „Unser Feuerwehroberkommandantsabgeordnetenführerhaupt-mannschaftsleiter hat morgen seinen 50. Geburtstag und bis Mittag muss die Torte fertig sein.”

„Ah-ha”, sagte das Gespenst und schüttelte verständnislos den Kopf. „Und nächste Woche sind zwei Hochzeiten, da muss ich auch wieder backen und bald hat der Bürgermeister Dienstjubiläum, da kriegt er auch eine Torte und der Totengräber, der ist Opa geworden und hat auch schon Gebäck bestellt.”

Vladimir hatte sich inzwischen wieder seiner Teigschüssel zugewendet. Plötzlich hörte er ein klägliches Wimmern, ein trauriges Stöhnen. „Aber was hast du denn, mein liebes Gespenst?”, fragte Vladimir bestürzt und vergaß vor lauter Aufregung ganz die höfliche Sie-Anrede.

„Ach”, jammerte das Gespenst, und dicke Tränen kullerten aus seinen Augen, „niemand denkt an mich. Niemand schickt mir Blumen oder eine Zuckerstange, niemand hat mich gern - auch wenn ich nur ein Gespenst bin.”

„Na, na, na, wer wird denn gleich so klagen”, versuchte Vladimir das zitternde Gespenst zu beruhigen und legte ihm freundschaftlich den Arm um die Schulter. Doch als immer mehr Gespenstertränen aus den kleinen Augen quollen und die Spukgestalt immer herzzerreißender weinte, saß Vladimir ziemlich ratlos da und kratzte sich nachdenklich am Kopf.

„Jetzt hör mal gut zu . . .”, fing Vladimir an. Doch das Gespenst heulte ohne Unterlass weiter. Der Konditormeister ging zu seinem Wandschränkchen, nahm eine grüne Glasflasche heraus und goss etwas in ein kleines Glas.

„Da, du trauriges Wesen, trink erst mal”, sagte Vladimir großzügig, „der beste, den ich im Hause habe.” Zitternd goss sich das Gespenst den Schnaps hinter die Binde und wurde gleich darauf von einem fürchterlichen Husten geschüttelt.

„Teufelszeug”, keuchte es.

„Nein, 1000-Kräuter-Schnaps”, lachte Vladimir und klopfte dem Gespenst den knochigen Rücken. Prustend setzte es sich wieder hin und schneuzte sich in Vladimirs Taschentuch. „Pass auf, du Nachtgestalt, wir wollen Freunde werden. Morgen kommst du wieder und dann kriegst du die feinste Buttercremetorte, die ein Gespenst je gegessen hat”, schlug der Konditor vor und das Gespenst sah ihn dankbar lächelnd an.

Seitdem besucht das Gespenst aus der Friedhofsmauerspalte den Bäckermeister jede Nacht und bei Erdbeertorte und heißer Schokolade mit Sahne haben die beiden schon vergnügte Stunden verbracht. Und seit damals hat das Gespenst auch nie mehr wieder geweint. Silvia Scholz

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