Müggelheimer Bote
7. Jahrgang, Ausgabe 08/2001  
August 2001 Home  |  Archiv  |  Impressum


Schilkin, Spirituosen-Zar des Berliner Ostens

Spannender Streifzug durch die Geschichte und viele Besuche in Müggelheim

„Niemals wollte ich Schnapsfabrikant werden”, sagte einst Sergei Apollonowitsch Schilkin. Seinem Wunsch entsprechend studierte er nach dem Abitur „Allgemeiner Maschinenbau” an der Technischen Hochschule, der heutigen Technischen Universität Berlin. Das war ein Jahr vor dem Ausbruch des 2. Weltkrieges (1938) nicht ganz einfach. Die Familie Schilkin besaß eine Spirituosenfabrik in Berlin-Kaulsdorf, aber Hitler rüstete auf, die Geschäfte gingen schlecht und der Student Sergei musste sich sein Studium zum Teil selbst verdienen. Den langen, oft steinigen Weg seines Lebens und seiner Firma schrieb der heute 85-Jährige in seinen Memoiren nieder. Sein Buch „Hoffe, solange du atmest” spiegelt nicht nur sein spannungsreiches Leben wider, sondern ist auch ein Stück Zeitgeschichte. Oktoberrevolution, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Kommunismus, schließlich die Wende - nichts warf den korrekten aber gefühlsbetonten gebürtigen Russen aus seiner Bahn. Die Müggelheimer hatten Ende März die Gelegenheit Sergei Schilkin bei einer Lesung im Dorfklub zu erleben. Es war fast ein Heimspiel für den rüstigen Senior, hat er doch einen Großteil seiner Jugend auf Seen un d Flüssen um Müggelheim herum verbracht. „Im Wodka steckt Tiefe und Trost. Wodka streichelt dem Russen das Herz. Seine Seele ist klar und rein - keine Lüge schwimmt darin. In einem Glas Wodka liegt all die zärtliche Melancholie, die dem russischen Volk so eigen ist. Wodka nimmt die Angst und lässt in Vergangenheit und Zukunft schauen. Wodka ist eine russische Philosophie”, so Schilkin in seinem Buch. Auch der russische Zar Nikolai schätzte das „Wässerchen”. Sergeis Vater, Apollon Fjodorowitsch, besaß bereits in St. Petersburg eine Spirituosenfabrik und war Hoflieferant des Zaren. 1921 konnte Familie Schilkin sich den Schergen der Bolschewiki durch eine abenteuerliche Flucht ins Ausland entziehen. Vater Apollon plante als neue Heimat Nizza, mit Zwischenstation in Berlin. Der Rat eines Freundes kehrte die Pläne um: „Was wollen Sie eigentlich in Nizza, Apollon Fjodorowitsch? Französisch können Sie nicht, Freunde haben Sie dort nicht und die ewige Sonne werden Sie bald über haben. Bleiben Sie in Berlin!”

Und so blieb Familie Schilkin, das waren Vater Apollon, Mutter Natalia, Babuschka (Großmutter), Sergei und sein jüngerer Bruder Dima, in Berlin. Das vom Vater gekaufte Haus in Karlshorst wurde nun zum neuen Domizil. 1923 erwarb Sergeis Vater einen Gutshof in Alt-Kaulsdorf. Noch heute ist es der Stammsitz der Firma Schilkin.

Häufig zog es den Naturverbundenen Sergei Schilkin nach Müggelheim. Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre (er studierte zu dieser Zeit) fuhr Schilkin besonders oft mit seinem Fahrrad entlang des damals fast noch benzinfreien Müggelheimer Dammes in die Wald- und Wasseroase des Berliner Südostens. Entgegen den heutigen Verhältnissen waren die Radler Giganten der Landstraße. Die wenigen nicht von der Wehrmacht eingeforderten noch intakten Motorkarossen, fuhren meist langsamer als die sportlichen Radfahrer.

Noch heute befährt der Wassersportler Schilkin auf seiner Yacht gemeinsm mit seiner Familie Flüsse und Seen unserer Region. „Carpe Diem” steht in großen Lettern am Bug der Schilkinschen Yacht. Den Tag nutzen wird der clevere Mann bestimmt, so lange er atmet.

Eigentlich sollte Sergeis Bruder Dima die Firma des Vaters übernehmen. Doch er fiel in den letzten Kriegstagen im irrsinnigen Kampf gegen sein eigenes Volk, die Russen.

Nach Kriegsende hielt Sergeis Ehefrau Erna den Betrieb über Wasser. Schilkin war zu jener Zeit als Dozent an der TU tätig. Doch er konnte das Erbe seines Vaters nicht einfach fallenlassen. Mit Erfindungsgeist und viel Fleiß richtete er die Spirituosenfirma wieder auf. Die angestrebte Professur an der Technischen Universität - adé!

In der DDR gab es jede Menge Auflagen für den privaten, später halbstaatlichen Betrieb. Der Staat kassierte und bewachte.

Seit 1992 setzt Peter Mier, Schwiegersohn des Wodkazaren, die Tradition des Familienbetriebes Schilkin fort. Die Konkurrenz ist groß. Doch mit einem Stück besonderer Art kann keiner konkurrieren: dem Gobelin, einem Teppich mit eingesticktem Familienbildnis der Zarenfamilie Romanow. Es war ein Geschenk des Zaren Nikolei für treue Dienste. Auf der überstürzten Flucht aus St, Petersburg rettete Babuschka den Teppich vor den Bolschewiki, erinnert sich Schilkin in seinen Memoiren. Noch heute wird das Stück in Ehren gehalten: Es lebe der Zar! Gisela Winkelmann

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