Müggelheimer Bote
8. Jahrgang, Ausgabe 01/2002  
Januar 2002 Home  |  Archiv  |  Impressum


Geschichten aus dem Müggelwald

Marder-Erlebnisse im Müggelwald

Es war ein frostiger Januarabend, als die alte Marder-Mutter sich auf den Weg machte, um etwas Fressbares zu finden. Sie wohnte auf dem Dachboden eines kleinen, unbenutzten Wochenendhäuschens. Durch einen Spalt im Dach schlüpfte sie hinaus, dann den Apfelbaum hinunter, weiter durch den winterlichen, stillen Garten. Dieser lag an einer kleinen Gasse und durch die lief sie flink, immer an den Zäunen entlang, weiter bis zu den Grundstücken am Rande des Müggelwaldes. Erst hier war sie auf Beute aus, lauschte auf feines Wispern oder Piepsen, steckte die Nase in den Wind und sog die Duftnachrichten ein. Da war ein bekannter Geruch und bald darauf standen sie sich gegenüber: Zwei Marder.

 
Sie erkannten sich, es waren Mutter und eines ihrer Jungen vom vergangenen Frühjahr. „Ach mein kleiner, wie ist es dir bisher ergangen?”, fragte die Mutter. Er brummelte ein bisschen. „Lass uns lieber erst mal etwas gutes fressen”. Sie fanden ein paar Fischabfälle, leckten Eierschalen aus, holten einen schlafenden Vogel aus dem Gebüsch und fraßen die Reste aus einem Hundenapf auf. Dann, als es dem Morgen zu ging, nahm die Marder-Mutter den Sohn mit auf ihren Dachboden. Sie kuschelten sich beide in die Kuhle einer ausgefransten Matratze und nun konnten sie einander berichten, was inzwischen geschehen war.

Die Marder-Mutter sagte ihm, dass sein Vater plötzlich von seinen Streifzügen nicht mehr zurück gekommen sei, aber das wäre schon ziemlich lange her.

Dann begann der junge Marder zu erzählen. „Wir waren doch einmal drei Geschwister, wurden von euch wunderbar betreut. Ihr zeigtet uns wie man Beute macht, wie man ungesehen durch die nachtdunklen Gärten streift und sogar, dass man später sein eigenes Revier ordentlich markieren soll. Besonders toll war, wie du uns zeigtest dass man die Dinger aus Eisen und Blech, welche auf den Straßen am Rand stehen auch markieren soll und dass man in ihnen wunderbar spielen kann. Es war toll, wie du als erste darunter gekrochen bist, da trauten wir uns alle auch zwischen die Gummikabel, die Stangen und die Stellen, welche manchmal so wunderbar warm und gemütlich waren. Ab und zu hast du uns etwas zum Fressen versteckt und so haben wir gelernt, in diesen Dingern zu spielen, Zähne erproben, Beute zu verstecken und uns zu wärmen.

Später, als ihr uns immer seltener versorgt habt, begannen wir auch, jeder für sich zu jagen. Mit dem kleinsten Bruder war ich noch lange zusammen, er wollte noch nicht alleine sein. Einmal, wir begannen gerade unsere abendliche Tour. Ich war gerade durch einen Zaun geschlüpft und auf der Straße, da kam so ein Ding an. Es hatte zwei große Monde welche in mich hinein sahen und es machte Krach. Ich bin vor Angst gerannt, bis hinter einen Busch auf der anderen Straßenseite. Unser kleiner Bruder war hinter mir, wollte mir folgen, aber das Ding hat ihn erbeutet. Als alles still war, bin ich zu ihm hin gegangen. Es roch nach Blut und er war so still. Da bin ich traurig fort geschlichen.

Unsere Schwester ist weiter weggegangen, in einen anderen Teil des Müggelwaldes. Ich bin ihr noch manchmal begegnet, einmal gerade, als sie einen Streit mit einem starken Marder-Männchen hatte. Ich hab mich lautstark mit viel Gefauche und Geschrei in den Kampf geworfen. Sie hat aber auch ganz schön geschrien und so war es eine wüste Balgerei. Na ja, ich hab auch ein paar Wunden davon getragen. Wir sind dann beide unserer Wege gegangen.”

„Schön, schön”, sagte die Marder-Mutter, „aber jetzt lass uns erst mal schlafen”.

Als sie noch im schönsten Schlaf lagen und von fetten Vögeln und Eiern träumten, wurden sie beide durch ungewöhnliche Geräusche geweckt. Laute Männerstimmen kamen immer näher, Motorsägen jaulten auf, der Apfelbaum wurde abgesägt. Erschrocken sahen die beiden durch die Ritzen, wollten fliehen, wie gewohnt durch das Dach. Gerade da fiel der Apfelbaum, abgesägt krachend auf die Erde. Schnell hinten raus maunzte die Marder-Mutter. Sie scharrten und knabberten an einem Brett, die Pfoten bluteten. Sie zwängten sich nacheinander durch den schmalen Spalt und nun mussten sie in die Tiefe springen. Als sie nacheinander im Gebüsch landeten, rief ein Mann: „Heh, kommt schnell her, hier sind Marder”. Zwei Männer kamen angerannt. Einer hatte eine Schippe und die schwang er hoch in die Luft und schon sauste sie dicht neben der Marder-Mutter nieder. Rumms krachte es in den Zweigen. Jetzt half nur eine beherzte Flucht. Sie flitzten beide in verschiedene Richtungen, kletterten über Maschendrahtzaun und versteckten sich im Nachbargrundstück im Schuppen.

Mit Angst geweiteten Augen sahen sie sich an. Noch mal Glück gehabt, sagte die Marder-Mutter.

Aus ihrem Versteck heraus mussten sie beobachten, dass der ganze Zaun vor dem Grundstück weggerissen wurde. Dann kam ein Bagger mit einer riesigen Schaufel auf das kleine, alte Wochenendhäuschen zugefahren. Auf dem Weg walzte er alle alten Rosen platt, auch den Fliederbusch, die kleine Pergola und die Maiglöckchensprosse in der Erde. Jetzt hob der Bagger die Schaufel und dann fuhr er geradewegs auf das kleine, alte Häuschen zu. Es folgte ein so irres und schreckliches Krachen und Splittern, dass die beiden Marder dachten, die ganze Welt stürzt ein.

Obwohl es Tag war und ganz hell, wo sie ja normalerweise schlafen, rannten sie in Panik fort. Nachdem sie ein Grundstück weiter gerannt waren, sahen sie, dass das kleine Häuschen nicht mehr stand. Es waren nur noch ein Schutthaufen und eine große Staubwolke zu sehen und der Bagger schob und baggerte und es krachte und knirschte und gerade grabschte die Baggerschaufel zu. Sie sahen, wie in der Schaufel ein paar Bretter und ihre schöne Matratze durch die Luft geschwenkt und in einem Container gekippt wurden. Das war zuviel. Sie wussten, dass ihre Marderburg nicht mehr existierte. Traurig machten sie sich auf den Weg, ein neues Heim zu suchen. Ob sie noch zusammen sind? Sicherlich nicht. Jeder muß seiner Wege gehen . . . MS

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