Müggelheimer Bote
12. Jahrgang, Ausgabe 8/2006
August 2006
Müggelheimer Bote

Inhalt
Tauziehen um Rettungsstationen beendet
Köpenick wird Wanderparadies
Müggelheimer reisten in die Masuren
Achim Baeyer (†) zum Gedenken
Sinn und Unsinn von Saunen und Co.
Radtour zum Kranichsturm
Klassentreffen nach 50 Jahren!
Weitere Meldungen
Karikatur
Gedanken aus Müggelheim
Aus den Vereinen
Leserbriefe
Kleinanzeigen
Kirche
Serie für den Natur- und Gartenfreund
Geschichten aus dem Müggelwald
Archiv
Müggelheim im Internet
Impressum
© 2006
Müggelheimer Bote
 

Müggelheimer reisten in die Masuren

von Marianne Schäfer

Es sind schon wieder einige Wochen vergangen, als beinahe 40 Müggelheimer Senioren mit einem schönen Reisebus in die Masuren starteten. In der Zeit vom 19. bis zum 25. Juni tauchten wir auf Initiative des Sozialbündnisses Müggelheim in die Vergangenheit ein, in ein Land, das einmal zu Deutschland gehörte.

Burg in Allenstein. Fotos: Schäfer

Durch die Eiszeit ist das Land geformt. Sanfte Hügel, in die an die dreitausend Seen eingebettet liegen, große Flächen mit Misch- und Kiefernwäldern bestanden. Nach 12 Stunden Busfahrt konnten wir vier Kilometer von Nikolaiken entfernt, in einem sehr hübschen Hotel unsere Zimmer beziehen.

An nächsten Morgen nach dem Frühstück haben wir eine Bootsfahrt auf dem großen, sehr abwechselungsreichen Spirdingsee gemacht. Das Wetter war herrlich und es war sehr erholsam. Danach war die erste Besichtigung angesagt. In der Nähe von Görlitz bei Rastenburg, in einem sumpfigen Wald gelegen, ging es zur „Wolfsschanze“ Das war ein Ziel, das mich überhaupt nicht interessierte, aber in einer Gruppe schließt man sich nicht aus.

Die "Heiligen Linde"-Kirche.

Wir hatten eine gute Führung und so erfuhren wir, dass der Bau der Anlage von Herbst 1940, in drei Phasen bis Oktober 1944 von Tausenden deutscher Arbeitern aus der Organisation „ Todt“ durchgeführt wurde. Diese wurden täglich aus einem Barackenlager bei der Zuckerfabrik bei Rastenburg herangefahren. Die Arbeiter wurden ausgetauscht und das Objekt wurde als „Chemische Werke Askania“ bezeichnet, um den Gegner zu täuschen. Es wurden sieben schwere Luftschutzbunker aus Stahlbeton und 40 leichte Bunker aus Backstein oder Beton gebaut. Die großen Bunker hatten doppelte Wände, deren Deckendicke bis zu zehn Meter betrug. Teilweise hatten sie doppelte Wände mit einer Steinsplittschicht als Stoßdämpfer. Die gesamte Anlage war mit Tarnnetzen und künstlichen Bäumen getarnt. Ausgestattet war die Anlage mit allem was zur Existenz des Stabes notwendig war. Die Gesamtkosten werden auf ca. 36 Millionen Deutsche Reichsmark geschätzt.

Fassungslos beeindruckt standen wir vor den mächtigen, gekippten Wänden. Was für eine Gewalt muss bei den Sprengungen notwendig gewesen sein. Unter einer schräg nach außen hängenden Wand haben Besucher kleine Stöckchen als Stützen gesteckt. Sie stehen vielleicht für die Hilfslosigkeit der Menschen jetzt, nach dem entsetzlichen Krieg. Dann die Tragödie des Stauffenberg Attentats. Nach mehreren gescheiterten Attentaten nun dieses, am 20. Juli 1944, welchem wir jetzt, nach 62 Jahren noch gedenken. Sein Tod war die einzige Möglichkeit, Hitler von weiterer Machtausübung fernzuhalten. Hier in der Wolfsschanze, bei einer Lagebesprechung, stellte Stauffenberg die Tasche mit der Bombe unter den Eichentisch. Hitler wurde nur leicht verletzt, abends sprach er im Rundfunk. Ich kann mich deutlich erinnern: 1944 in Müggelheim, mein Vater kam von der Arbeit, schaltete die „Göbbelstruhe“ ( Volksempfänger) ein und hörte Hitler sprechen: „Die Vorsehung habe ihn vor dem Attentat bewahrt.“ Mein Vater tobte und schlug mit der geballten Faust auf den Tisch. Wenn das geklappt hätte, wenn... Die Kriegszeit war mir wieder gegenwärtig und die geborstenen Bunkerteile ein Symbol der Sinnlosigkeit eines Krieges.

Am nächsten Tag fuhren wir nach Sensburg, Stadtrundgang und Polenmarkt. Danach besuchten wir das Masurische Heimatmuseum im Dorf Sadry. Das erinnerte mich sehr an das Heimatmuseum, welches Siegfried Lenz in seinem Buch beschreibt. Es war auch alles in Eigeninitiative gesammelt und mit viel Engagement gepflegt. Wir wurden freundlich mit Kaffee und Kuchen bewirtet und sehr humorig unterhalten. Anschließend besichtigten wir noch die Barockbasilika, Mariä Heimsuchung, - Heilige Linde. Hier bewunderten wir die gewaltige Orgel, bei einem kleinen Konzert. Abends zog ein Gewitter auf und am nächsten Morgen war der Himmel wolkenverhangen. Wir hatten nun eine sehr nette Reiseleiterin, welche so sprach, wie die Menschen damals in Masuren gesprochen haben.

„Ihr meine lieben Marjelchens und meine lieben Lorbasse, bald wird das Himmelchen wieder blau sein und Sonnchen wird wieder lachen.“ Unterwegs zeigte sie uns die schönsten Storchennester. Die Kornfelder, rechts und links der wunderbaren alten Landstraßen, sie zogen an uns vorbei. Die kleinen Dörfchen machten oft einen traurigen Eindruck, keine Schafe, keine Ziegen, nicht mal Enten oder Gänse. Wenig Rinder auf den weiten Wiesen, ein armes Land.

Die Arbeitslosigkeit soll bei 40 bis 60 % liegen, es gibt keine Sozialunterstützung, nur ein Jahr Arbeitslosen-Unterstützung. Die Menschen versuchen mit kleinen Nebenverdiensten über die Runden zu kommen, wie dem Verkauf von Pilzen und Beeren oder Handarbeiten (z.B. gestickte Decken oder gestrickte Socken). Es gibt auch keine Rente, da bei dem geringen Verdienst keine Einzahlungen gemacht werden können.

Wir werden in eine Gaststätte zum Mittagessen geführt. Pfifferlinge und neue Kartoffeln haben wir meistens bestellt. Als wir dann zur Bootsfahrt auf der Krutina gingen, war „das Himmelchen tatsächlich blau und das Sonnchen hat wieder gelacht“. Über eine kleine Brücke sind wir zur Bootsanlegestelle gegangen. Hier lagen die Boote, ähnlich den Spreewaldkähnen, schon für uns bereit. Es wurde gestakt und fast geräuschlos glitten die Boote durch das kristallklare, flache Wasser. Die Ufer waren urwüchsig, romantisch und Enten mit ihren Küken tummelten sich munter wie auch die Schwäne. Kleine Fische flitzten im seichten Wasser und wir konnten sogar die Muscheln sehen, die im Sand ihre Bahnen zogen.

Zurück ging es wieder in unserem Bus durch die Rominter Heide. Der nächste Morgen hatte wieder allerbestes Wetter bereit.Wir fuhren mit dem Bus über Nikolaiken, Sensburg nach Allenstein. Dort führte uns die Reiseleiterin zur Burg und zur Kathedrale und um dem Marktplatz herum bis zum Hohen Tor. Es ist das Tor zu Masuren und steht seit dem 14. Jahrhundert. Nach einem kleinen, freien Stadtrundgang stiegen wir wieder in den Bus, um einen Reiterhof zu besuchen. Wir wurden freundlich begrüßt und gleich zum deftigen Mittagessen eingeladen. Danach trat eine kleine Volkstanzgruppe in verschiedenen Kostümen auf, es wurde sehr temperamentvoll getanzt und gesungen. Anschließend fuhren wir mit drei Kremsern auf Feldwegen, am Waldrand, an einem Gehöft vorbei, wieder auf dem Feldweg.

Es war schön, so ein ländliches Erleben zum Schluss. Aber nein, als Überraschung wurde für uns noch ein Grillabend auf der Wiese des Hotels, mit Blick auf den Spirding See geboten. Tisch und Bänke standen bereit, Salate, Grillfleisch und Bier wurde serviert und die Musik spielte auch noch. Die Stimmung war so gut, dass wir noch getanzt haben. Eine Woche ist so schnell vergangen. Manche Leute sagen: Masuren – ein melancholisches Land. Ich sage: Es ist ein liebliches, schönes Land und es war schön, dass wir uns alle so gut verstanden haben, wir Müggelheimer.