Müggelheimer Bote
16. Jahrgang, Ausgabe 11/2009
November 2009
Müggelheimer Bote

Inhalt
BBI: Fünf Stunden Nachtruhe sind genug
Ruhige Saison bei den Wasserrettern
Leukämie: Benjamin braucht Ihre Hilfe
20 Jahre Mauerfall - 5 Müggelheimer erinnern sich
Tipps zum Auftreten der sog. Schweinegrippe
Eine Stadt wird 800
Weitere Meldungen
Karikatur
Gedanken aus Müggelheim
Aus den Vereinen
Aus der BVV
Polizeibericht
Neues aus Treptow-Köpenick
Kleinanzeigen
Heimatverein
Kirche
Serie für den Natur- und Gartenfreund
Geschichten aus dem Müggelwald
Archiv
Müggelheim im Internet
Impressum
© 2009
Müggelheimer Bote





Realisation:
www.lektoria.de
 

20 Jahre Mauerfall - 5 Müggelheimer erinnern sich

Es war ein friedlicher Protest, der die Mauer zum Wanken brachte. Vorausgegangen war die Perestroika in der Sowjetunion, das Aufweichen knallharter Strukturen, das auch in die DDR übergeschwappt war. Kerzen, Diskussionen, Gebete, Menschansammlungen - 20 Jahre ist das jetzt her. Die Vereinigung hat länger gedauert, als erwartet. Und noch immer sind nicht alle Mauern in den Köpfen oder auch auf den Lohnzetteln überwunden. Aber schon die Generation der jetzt jungen Erwachsenen kennt die Situation nicht anders. Die Frage Kommst du aus dem Osten oder aus dem Westen” gehört für sie der Vergangenheit an - unserer Vergangenheit.

Wir fragten fünf Müggelheimer nach ihren Erlebnissen am „Wendetag”. Zum Teil selbstgeschrieben, zum Teil wiedergegeben, zeigen sie ein Spektrum dessen, was viele von uns Berlinern an diesem aufregenden Tag am 9. November 1989 erlebt haben.


Erinnerungen von Dagmar Tabbert

Ja, am 9.11.89 waren mein damaliger Mann und ich zu der Wirtsleuten der „Spindel“ in Friedrichshagen zum chinesisch Essen eingeladen. Als wir uns fertig machten sahen wir im Fernsehen (ich sah ja damals so viel, wie nie wieder in meinem Leben!) Günter Schabowski, der den Satz stotterte „ nach meinem Ermessen können alle DDR Bürger die DDR mit ihren gültigen Pass bzw. Ausweis zu Reisen in das NSW verlassen“. Ich sprach das zwar an, aber glauben konnten wir es nicht. Also zogen wir los. Unsere damals 12 und 15 Jahre alten Kinder blieben allein zu Haus. Der Abend in der Spindel war schön, doch schon etwas gespenstisch, denn jeder munkelte vor vorgehaltener Hand etwas von Maueröffnung. Gegen 22 Uhr verabschiedeten wir uns höflich, sonst lachten wir dort bis in den frühen Morgen! Zu Hause angekommen, saßen die Kinder fix und fertig angezogen und teilten uns aufgeregt mit, dass die Mauer offen sei und wir jetzt unbedingt zu unseren Verwandten fahren müssten.

Denn meine Oma, die Schwester meiner Mutti und der Bruder meines Vatis lebten immer schon in Westberlin, wodurch eine schmerzliche Trennung durch den Bau der Mauer in unserer Familie bestand.

Wir warteten noch kurz die Nachrichten ab und konnten kaum glauben, was sich in der Bornholmer Straße abspielte.

Jedenfalls stürzten wir in unser Auto und fuhren gen Westen, direkt zur Bornholmer. Dort angekommen standen wir in einer langen Schlange Neugieriger, Wartender, aber auch zur Flucht bzw. Ausreise Bereiter, die mit Kinderwagen Hab und Gut über den Grenzübergang wollten. Alle riefen „Wahnsinn, Wahnsinn“- es war Taumel-Volksfeststimmung. Am Grenzübergang angekommen überfiel uns dann schon die Angst, „dürfen wir auch wieder zurück oder was passiert jetzt?“

Na jedenfalls klingelten wir unsere Verwandten gegen 4 Uhr in Tegel aus ihren Betten, die Freude war groß und wir vergossen ein paar Tränen. Gegen 7 Uhr haben wir uns dann auf den Weg zum Kudamm gemacht, die Kinder kannten ihn doch nur aus unseren Erzählungen. Wir haben vieles bestaunt und ein paar Kleinigkeiten „zur Erinnerung“ gekauft, man wusste ja nicht, wann man das nächste Mal, und ob überhaupt, so frei und gelassen durch Westberlin schlendern konnte.

Naja, gegen 18 Uhr waren wir dann glücklich, wieder „rein gelassen worden zu sein“ in unserem Neu- Helgoland bei meinen Eltern.

Erinnerungen von Martin Jahn

Man muss sich an die Hintergründe dieser politischen Situation erinnern: Gorbatschow hat mit seiner Perestroika auch die Grundfesten in der DDR aufgeweicht. Solche Sätze wie „Volkseigentum ist niemandem Eigentum” oder „Auf dem Gebiet der Ökonomie hat die Geschichte der Menschheit noch nichts Sinnvolleres hervorgebracht als die Marktwirtschaft“ waren in Insiderkreisen auch bei uns bekannt. Von den 2,2 Mio. Parteimitgliedern waren gerade noch 80 000 übrig geblieben. Die Zeit drängte nach Veränderungen, weil man überall nur noch Chaos oder „Dienst nach Vorschrift” verspürte. Aber für einen Karikaturisten eine aufregende Zeit!

An dem Abend sind wir etwas später in die Werkstein-Familien-Sauna gegangen, weil ich erst die „Aktuelle Kamera” sehen wollte und nach dem Satz von G. Schabowski „... ab sofort” bin ich gegangen und berichtete unseren Saunafreunden davon. Alle wollten natürlich nun verreisen und wir machten uns Gedanken, wie wir nun zur D-Mark kommen. Wir saßen noch lange zusammen.

Erst in den Nachrichten am anderen Morgen begriff ich, dass die Grenzen schon offen waren. Die Jungs kamen von der Schule zurück: „Die Grenzen sind offen und deshalb ist heute keine Schule.”

Nichts ist mit gleich über die Grenze und Gucken. Bei dem Gedränge mache ich erstmal eine Probe, wie das läuft. Alleine mit dem Auto zur Friedrichstraße und von dort mit der U-Bahn einige Stationen bis Mehringdamm. Tatsächlich: Ich war im Westen. Ein Kneipier hat mir ein Bier spendiert und schnell zurück. Nachmittags sind wir dann mit den Kindern über Sonnenallee bis Hermannplatz, um unsere Verwandten anzurufen.

Die hatten uns spontan zum Essen beim Griechen auf dem Kudamm eingeladen. Dort kam plötzlich Eberhard Diepgen mit seiner Frau herein und fragte uns nach unseren Gefühlen. Noch ganz benommen haben wir in dem kurzen Gespräch von unserem Glück erzählt.

20 Jahre danach muss ich feststellen, unsere Wünsche haben sich nicht alle erfüllt, aber wir sind doch sehr zufrieden. Jedenfalls können die Albaner, Afghaner, die Iraker und viele andere neidisch auf uns sein.

Erinnerungen von Peter Belitz

In diesen Tagen und Wochen vor diesem historischen Datum 20 Jahre Maueröffnung, kann man in allen Medien Erinnerungen von Menschen aus (ehemals) Ost und West betrachten und sich gefühlsmäßig mitreißen lassen bzw. die verschiedenen Geschichten zur Kenntnis nehmen. Angesichts des allgemeinen öffentlichen Erinnerns habe ich mich auch gefragt, was habe ich eigentlich an diesem Tag getan?

Der 9. November 1989 war ein Donnerstag, ein normaler Arbeitstag, in einer Zeit, bei der man spürte, dass sich irgendetwas anbahnte. Am Wochenende davor hatte ich begonnen, einen gerade fertiggestellten Anbau zu tapezieren, war aber nicht fertig geworden. Als ich von der Arbeit nach Hause kam, machte ich mich an die Arbeit. Meine Frau verfolgte die Pressekonferenz. Sie überraschte mich plötzlich mit der Nachricht, Schabowski hätte die „Reisefreiheit für DDR-Bürger ab sofort“, verkündet. Sie war selbst ganz verunsichert, ob sie das jetzt richtig verstanden hatte und ich konnte es auch nicht glauben. Wir suchten nach Bestätigung im Radio, im Fernsehen und telefonierten mit Freunden. So eine ungeheuerliche Veränderung, das konnte man nicht glauben! Am folgenden Tag im Betrieb traf ich die ersten Kollegen, die bereits einen nächtlichen Ausflug nach „West-Berlin“ gemacht hatten. Am Abend holten wir dies nach, gingen über die Oberbaumbrücke in die Gegend wo wir vor 1961 so häufig die Kinos besucht hatten. Wir konnten es gar nicht fassen, dass man plötzlich so einfach wieder in dem Teil der Stadt war, den wir nur noch aus dem Radio und dem Fernsehen und aus ferner Erinnerung kannten.

Erinnerungen von Ingrid und Horst König

Als sie am Abend des 9. November 1989 die Nachrichten hörten, waren sie aufgeregt. Sollte das wirklich stimmen, die Grenzen offen? Aber Müggelheim lag weit ab vom Tagesgeschehen, erst am nächsten Tag waren dann die Geschehnisse der Nacht auch in Müggelheim angekommen. Der 14-jährige Sohn Christian bombardierte seine Eltern, er wollte endlich die neue Reisefreiheit ausprobieren, endlich mal rüber. Also beschloss die Familie Friedrichstraße, über den Tränenpalast, nach West-Berlin zu gehen. Christian, der schon im Tränenpalast seine ersten Fotos machte, erlebte gleich eine böse Überraschung. Fotos waren nicht erwünscht am Grenzübergang, der Apparat wurde konfisziert.

Das Ziel sollte der Kurfürstendamm sein, mit der S-Bahn ging es also bis zum Zoo. „Auf dem Kudamm traf ich gleich einen Patienten von mir, der mich überschwenglich umarmte”, erinnert sich die Ärztin Ingrid König. Überhaupt sei es toll gewesen, dieses unerwartete Glück zu erleben, all die frohen, freudestrahlenden Menschen zu sehen, ein Überschwang der Gefühle. „Diese Menschenmassen und diese Freude. Es war ein ganz anderes Gefühl, das jetzt mit der ganzen Familie zu erleben, als alleine”, sagt sie. Denn als Österreicherin hatte sie auch vorher schon das Privileg über die Grenze zu dürfen.

Vom Kudamm ging's weiter in die Schöneberger Motzstraße zu einem befreundeten Professor. „Da seid ihr ja, ich habe früher mit euch gerechnet. Der Sekt steht schon kalt, wurden wir begrüßt”, lacht Horst König noch heute. Nach einer kleinen Stärkung fuhren alle zum Potsdamer Platz. Christian und der Professor kletterten auf die Mauer und schauten sich die Menschenmassen von oben an - bis sie runtergeholt wurden. Angst nicht mehr zurück zu kommen, hatten die Königs nicht. Zwei Tage später waren sie schon wieder drüben. „Für uns Ossis gab es Freikarten für die Zauberflöte in der Deutschen Oper. Das konnten wir uns nicht entgehen lassen.”

Seine ersten Westerfahrungen waren das jedoch nicht. Als aktives Gemeindemitglied durfte er im Juni 1989 bereits nach Erndtebrück reisen, in die Partnergemeinde. Die Pfarrerin hatte ihm dort einen Cousin „besorgt”, Hermann König, der einen runden Geburtstag feierte. „Dennoch konnte man das, was jetzt geschah, nicht wirklich begreifen. Es ging alles so plötzlich, dass man das gar nicht so schnell verarbeiten konnte”, erinnert sich Herr König. sip