Geschichten aus dem Müggelwald

Schak, schak, die Elster...

Die wahre Geschichte eines verwaisten Vogels

Schak, schak, die Elster... – so klang es schon zu Zeiten des "Siedlerfreund", ein Vorgänger des "Müggelheimer Boten". Die Elster ist, ganz sicher, auch ein Müggelheimer Vogel. Sie tritt meistens bandenmäßig auf und ist in allen Gärten zu Hause. So passiert es schon mal, daß eine junge Elster aus dem Nest fällt und hilflos auf der Erde herum läuft.

So eine kleine Elster fand ich Anfang Mai letzten Jahres. Sie lief ängstlich vor mir fort, aber ich war schneller, griff sie und nahm sie fest in meine Hand.

Ich betrachtete sie von allen Seiten; sie war unverletzt. Dabei protestierte sie lautstark. Als ich mich zufällig mit meinem Finger ihrem Schnabel näherte, riss sie diesen weit auf – sie hatte Hunger.

Sie wieder laufen lassen wollte ich nicht, das wäre ihr sicherer Tod gewesen. Also nahm ich einen alten Wäschekorb mit etwas Rindenmulch darin und setzte die kleine Elster hinein. Von nun an nannte ich sie "Elly", das war das einfachste.

Ich erinnerte mich an eine ähnliche Situation in meiner Jugendzeit. Damals war mir eine jung Dohle vor die Füße geflattert. Die hatte ich mit kleingehacktem Gulasch groß gezogen bis sie fort flog. Das hatte ich nun auch mit Elly vor.

Das ungewürzte Hackepeter und die Gulaschstücken auf einen Zahnstocher gesteckt, stopfte ich ihr tief in den Schnabel, wie es auch Elster-Mutti getan hätte. Natürlich ganz vorsichtig, ohne sie zu verletzen. Mit dem Finger stopfte ich nach, bis sie das Stück geschluckt hatte.

Der Korb mit Elly blieb tagsüber im Schatten stehen, abgedeckt mit einem groben Netz. Nachts kam sie in den Schuppen, so, daß sie nicht Opfer von Katze, Mardern oder Füchsen wurde. Elly wuchs zusehend heran, der Schwanz wurde immer länger und das Weiß in ihrem Gefieder immer deutlicher.

Eines Tages, ich war nicht zu Hause, war das Netz etwas zur Seite gerutscht und Elly kroch aus dem Korb und setzte sich auf den Korbrand. Als ich nach Hause kam, begrüßte mich Elly mit schak, schak auf dem Korbrand sitzend und riss den Schnabel auf. Sie hatte Hunger. Von nun an ließ ich sie im Korb ohne Netz sitzen. Über die neue Freiheit war sie sehr erfreut und war sichtlich zufrieden mit mir.

Nachts kam sie immer noch in den Schuppen. Aber tagsüber wurde sie immer munterer, hoppelte und hüpfte durch den Garten. Sie kam aber immer zum Korb zurück, das war ihr Nest, ihr Zuhause und da gab es etwas zu fressen. Ich musste sie immer noch füttern, aber je länger der Schwanz wurde und das Weiß klarer hervortrat, desto selbständiger wurde sie. Erste Flugversuche fanden statt, schlugen aber kläglich fehl.

Nach einem Monat fing sie an, selber zu fressen, aber es gefiel ihr besser, wenn ich sie fütterte, das war ja auch bequemer.Eines Tages, so Mitte Juni, kam ich nach Hause und Elly war weg. Na gut, dachte ich, hat sie es geschafft... und war ein bisschen traurig. Da hörte ich auf einem nahen Baum das vertraute Krächzen. Ich rief mehrmals Elly, Elly komm. Dann sah ich sie aufgeregt von Ast zu Ast hüpfen.

Nach weiteren Rufen kam Elly herunter geflogen, also es war mehr ein Gleitflug. Sie landete auf ihrem Korb und riss gleich den Schnabel auf. Schnell stopfte ich ihr etwas Hackepeter in den Schnabel. Sie war zufrieden und blieb sitzen. Der erste Ausflug war wohl zu anstrengend. Sie machte die Augen zu, zu einem kurzen Schläfchen. Es begann eine lustige und auch anstrengende Zeit.

Elly begleitete mich nun öfter bis in die Veranda und manchmal auch bis in die Küche, die gleich daneben lag. Ihre Neugier kannte keine Grenzen. Alles musste sie anknabbern und anpicken. Besonders glänzende Sachen hatten es ihr angetan. Kein Autoschlüssel, Geldstück und keine Kette waren vor ihr sicher. Alles wollte sie fortschleppen. Selbst dicke Kugelschreiber mussten daran glauben. Nun erlebte ich mit eigenen Augen, was eine diebische Elster ist. Einmal lag das Einkaufsgeld auf dem Verandatisch. Elly kam zur offenen Tür hereingeflattert, landete auf dem Tisch und griff sich einen 20-Euro-Schein.

Sie sprang mit dem Schein aufs Fensterbrett, war sichtlich erfreut über die Beute und machte sich zum Abflug bereit. In letzter Sekunde konnte ich den Schein noch aus dem Schnabel ziehen. Ärgerliches Geschacker war die Antwort und Elly flog davon.

Auch unser Hund Rocco wurde nicht verschont. Wenn er etwas zu fressen bekam, war Elly zur Stelle, tänzelte um ihn herum und schnappte sich dann unvermittelt die leckersten Brocken weg.

Elly's Schwanz war nun schon sehr schön ausgebildet, das Gefieder glänzte und schillerte in der Sonne. Sie unternahm immer weitere Ausflüge. Nachts musste sie nicht mehr in den Schuppen. Sie suchte sich zum Schlafen einen sicheren Platz auf einem nahen Baum.

Wenn ich unterwegs war und nach Hause kam, flog sie mir bis zum Tor entgegen und begrüßte mich mit fröhlichem Gekrächze und Geschacker. Sie sprang dann auf meine Schulter und begleitete mich bis zum Haus. Dabei untersuchte sie sehr interessiert meine Haare und meine Ohren. Am Haus angekommen, riss sie gleich den Schnabel auf und erwartete einen Leckerbissen. Ich musste ihr jetzt die kleinen Brocken nicht mehr in den Hals stecken, nur in den Schnabel – und sie verschlang den Bissen gierig.

Eines Tages, es war Anfang Juli, bekam Elly Besuch von einer anderen Elster. Ich hatte den Eindruck, dass Elly voller Stolz der anderen ihr Reich zeigen wollte. Der Fressnapf von Rocco war nicht ganz leer. Elly zeigte ihn ihrer neuen Bekannten und die fremde Elster machte sich sofort darüber her, pickte ein paar Brocken und flog schnell davon. Rocco schaute gelangweilt zu. Das war der Anfang vom Ende der schönen Zeit mit unserer Elly. In den nächsten Tagen kamen weitere Elstern dazu und machten sich über das Futter her, das für Elly und Rocco bereit stand. Einmal zählte ich sieben Elstern. So festigte Elly ihre Freundschaft mit den wilden Elstern und sie wurde aufgenommen in die "Elster-Gang". Elly wurde nun zunehmend scheu, kam nicht mehr in meine Nähe und holte sich immer seltener Futter. Nun wusste ich, Elly hatte es geschafft: Sie ist in der Elsterfamilie angekommen. MWaldkauz