Klassen-Wandertag

von Marianne Schäfer

Wer kann sich noch an die Jahre nach dem Kriegsende erinnern? Ja, lang lang ist es her! Ende 1945 waren viele Kinder auf dem Schulhof und es gab nicht genug Schulräume. Also wurden wir in die einigermaßen geeigneten Räumen aufgeteilt. Im folgenden Jahr wurde eine Baracke auf dem Gelände des Schulhofes aufgebaut. Da hatten wir dann auch unseren Klassenraum. Nun, 1949, waren wir in der 5. Klasse und das aufregende hin und her der Schüler pendelte sich langsam ein. Unsere Klassenlehrer hatten auch oft gewechselt. Aber nun war Frau Fischer unsere Klassenlehrerin.

Sie überraschte uns, etwa Ende Mai mit der Nachricht, dass wir am nächsten Tag eine Klassenwanderung machen würden. Also keine Mappe mitnehmen, nur etwas zu Essen. Es sollte zum Naturschutzgebiet "Krumme Lake" gehen. Froh und flott wanderten wir die Odernheimer Straße bis zur Duchrother. Diese liefen wir rechts hinein, bis zum Wald. Einer von den Jungs war ortskundig und führte uns auf einer schmalen Trittspur, die immer feuchter und pampiger wurde. Wir haben alle die schwarz feuchte Stelle überquert und dann festgestellt, dass dieses der endende Auslauf vom südwestlichen Moorarm war.

Moor, hier gibt es ein Moor! Diese Wunderwelt wollte ich schon immer einmal erleben. Die Lehrerin hatte eine Art Wall entdeckt und ihre Decke in der Sonne ausgebreitet. Rechts und Links haben sich einige Mädchen dazu gesetzt und die Jungs und die anderen Mädchen gingen auf Entdeckungstour. Zuvor hatten wir uns die Schuhe ausgezogen. Bald habe ich den feuchten, dumpfen Moorgeruch wahrgenommen. In der Nähe bemerkte ich das hellgrüne Sumpfmoos. Es waren mächtige Polster, auf denen Spinnen erschreckt weg sprangen. Das nasse Moos hatte lange Wurzeln, die dann braun bis ins Wasser reichten. Wütende rotbraune Ameisen verteidigten mit Bissen ihre Welt.

Die Jungs hatten derweil auf dem Moor schon bemerkt, das man da prima wippen konnte. Die ganze Moorfläche war in Bewegung. Als wir beinahe vorne an der Stelle waren wo das Wasser in der Sonne glitzerte, bemerkten wir dass dort kaum noch Farne und Moose wuchsen. Deshalb sind wir vorsichtig zurückgegangen. An jungen Baumruten haben wir uns festgehalten. Weiter, noch mehr entdecken, Dinge die ich noch an keiner anderen Stelle in unserer Gegend gesehen hatte.

Der kleine Waldsee ist einfach etwas ganz Besonderes in unserer Landschaft. Wir kamen an eine Stelle, wo es festes Ufer gab, aber nur ganz schmal. Ich dachte das könnte eine Tränke für das Wild sein. Dicke Wurzeln schlängelten sich am Ufer. Über diese sind wir auf allen Vieren hinüber gekrabbelt. Junge Bäume, dicht bei dicht, gaben uns Halt. Dann hatten wir wieder festen, feuchten Boden unter den nackten Füßen. Aufrichten, wo sind wir denn jetzt? Vor uns breitete sich eine grasige Stelle aus. Hier waren wir wie in einem abgeschlossen, verzauberten Raum. Hinter uns nur undurchdringliches Astgewirr. Vor uns ein mächtiger Schilfgürtel, der wisperte und zischelte geheimnisvoll.

Geradeaus sahen wir eine kleine Öffnung. Dadurch eine Bucht mit dunklem Wasser und alles voll mit blühenden Seerosen. Bewundernd blieben wir stehen. Ich sah hoch zu den mächtigen Kiefern. Es waren wirklich außergewöhnlich schöne, starke Kiefern. Jetzt dachte ich an den Maler Karl Eifler. Er hatte mir von diesen "Plattenkiefern" erzählt, welche eine besondere Borke hatten. Durch ihn wusste ich, jetzt sind wir auf der Insel. Ganz oben in den Kiefern, haben die Spechte ihre Bruthöhlen für die Jungen gezimmert. Dann suchten wir einen Ausweg und fanden einen schmalen Moorweg, auf dem wir uns von der geheimnisvollen Insel entfernten. Dicht an dem düsterem Uferstreifen lag der schwarze Forst-Kahn fest angekettet. Es war sehr schwer die Balance auf den unebenen Wurzeln zu halten. Wir kamen jetzt wieder in einen nassen, dunklen Moorarm, welcher völlig von hohen Erlen verdunkelt und durchwurzelt wurde. Hier ist alles tot, kein Gras kein Halm kann sich entwickeln. Gruselig und unschön. Hier fühlt sich auch keine Sau wohl, dachte ich. Schnell sind wir durch den unwirtlichen Moorarm gestolpert, immer der Sonne entgegen. Endlich wieder draußen.

Hier sind im Uferbereich junge Birken, Eichen und auch Kiefern gewachsen. Wir staunen, weil hier der Boden höher wird. Rechts von uns begrenzt der Kiefern-Wald den Raum des Waldsees. Weiter der Sonne entgegen. Dann stehen wir einfach nur so da. Wir stehen und staunen, welcher Frieden von diesem kleinen Waldsee in uns ist. Kein Singen, kein Schreien, nur selbst ein Teil von diesem Frieden sein! Um uns schwirrten Libellen, knisterten mit ihren Flügeln. Hier ist wohl das Ufer flacher.

Links eine kleine Stelle mit weißem Sand. Er ist warm und angenehm an unseren kalten Füßen. Hier am hohen Ufer stehend, hat man einen weiten Blick nach links, wo wir gerade her gekommen sind. Der Blick nach rechts ist auch schön. Weit neigen sich die Eichen, Birken und Kiefern über das Wasser. Ebenso wie drüben auf der im Schatten liegenden Seite. Wir gehen noch bis zu der mächtigen Schilfbank. Hier wächst auch Kalmus. Wenn die braunen Kolben Reif sind entlässt er seine Samen, welche dann mit ihren kleinen Schirmchen langsam durch die Luft schweben. Hier wird das Ufer noch flacher. Ein paar abgesägte Baumstümpfe sind der Rest der Bäume. Sie zeugen immer noch von der im Krieg hier eingeschlagenen Bombe. Im Winter bei Eis wurden die zersplitterten Bäume abgesägt.

Hier, in dem warmen und flachen Wasser, sind wir beim weithin hörbaren Froschkonzert. Hunderte Frösche paaren sich munter, einer über dem Anderen, im Dreierpack, vorwärts und auch anders herum. Das Froschgequake hört man im Frühling, bis in die Mitte der Meisenheimer Straße. In einer kleinen Quak-Pause hörten wir plötzlich:

Hallo, wo seid ihr? Auweia! Erst jetzt wurde uns klar, dass wir einfach so losgelaufen sind! Nun aber schnell zurück! Ziemlich außer Puste sind wir über Wurzeln, durch Moorschlamm, über Tümpel gesprungen und über Baumstämme geklettert. Eigentlich erstaunlich, wie schnell wir wieder zurück waren. Aber dann Frau Fischer: Ihr könnt doch nicht einfach so, in dieser gefährlichen Landschaft ohne Schutz loslaufen!

Grinsend haben wir uns angesehen und leise gesagt: Doch, wir konnten!