Meine Erinnerungen an die Sandschurre oder die Seddingrube

von Marianne Schäfer

Der Krieg war 1945 zu Ende, es begann die neue Zeit. Wir Kinder trauten uns, die weitere Umgebung zu erkunden. Vorher sollten wir immer in Muttis Nähe bleiben, denn die Besatzer, die Russen, waren noch im Ort. Zu uns Kindern waren sie immer nett. Sie teilten sogar ihr Brot mit uns! Ich war damals zehn Jahre jung und Müggelheim war sonnig und schön. Der Krieg war zwar vorbei, aber unsere Väter waren noch nicht wieder zu Hause.
Meine längste Erkundungstour führte regelmäßig zur Sandschurre. Es war ein warmer Sommer und das Wasser der Großen Krampe nicht mehr kalt. Barfuß, nur mit einem Badeanzug bekleidet, bin ich leise ausgekniffen. Schnell in den nahen Wald und den bekannten Weg zur Badestelle. Ich traute mich alleine ins Wasser und sogar alleine die Große Krampe zu durchschwimmen. Mein Ziel war die Sandschurre. Flott hatte ich das andere Ufer erreicht und nun noch ein Stück durch den Wald, da stand ich schon in der Sonne am Rand der großen Sandschurre. Ein großes Gebiet. Sie war etwa zehn bis 15 Meter tief und noch breiter ausgebaggert. Unten waren Schienen gelegt, auf denen eine kleine Lok die Loren voller Sand zum Hafen am Seddinsee zog. Über den Steg, der starke Betonstützen hatte, wurde der Sand abgekippt und landete über eine Schräge – der sogenannten Schütte - in einem Lastkahn darunter.
Der feinkörnige Sand wurde von der Firma Tabbert-Mörtelwerke zur Herstellung von Mörtel für den Aufbau Berlins benötigt.
Einmal durfte ich auf der Lok mitfahren und habe zugesehen, wie unser schöner weißer Sand in den Kahn gekippt wurde. Dann ging es mit Volldampf wieder zurück in die Grube mit der „Huschbahn“. Und der nette Mann schaufelte wieder Kohlen in den Brennraum der Lok, dass die Funken nur so stoben. Hier in unserer Sandschurre war es windstill. Heller, warmer Sand in den wir uns oft selbst einbuddelten, uns gegenseitig damit bewarfen oder einfach nur darauf lagen und träumten. Hin und wieder tutete die kleine Lok ihr huhuhuiiih – ja, ich bin in Gedanken wieder in dieser Zeit, die ich nie vergessen werde. Es war auch die Freiheit, die ich mir selbst erkämpft hatte.
Als die Sommerferien vorbei waren, hatte sich in der Grube etwas verändert. Die kleine Lok fuhr noch, aber sie brachte jetzt Trümmerschutt. In langen Streifen längs der Grube lag nun Berliner Trümmerschutt. Die Idylle, meine Idylle, war zerstört. Dann begann die Zeit, in der die Grube eingezäunt und Tag und Nacht von der Polizei bewacht wurde. Kugelschutzwände in Richtung Müggelheim wurden aufgestellt, dann wurde dort jede Nacht geschossen, von der GST, der Polizei und von Kampfgruppen. Auf dem Plateau wurde ein Haus gebaut, zur Verpflegung der Kampftruppen. Die Betreiber konnten dort auch wohnen. Später wurden eine noch höhere Schutzwand und weitere kleinere aufgebaut. Und trotzdem sind einige Geschosse weit in der Meisenheimer Straße in eine Hauswand eingeschlagen.
Mit der Wende wurden quasi über Nacht sämtliche Militär-Einrichtungen demontiert. Nachts war nun endlich Ruhe. Keine Kampfgruppen-Bewachung mehr. Irgendwann wurden dann Teile des zerlegten großen Lenin-Denkmals aus Friedrichshain dort eingelagert und später zum Schutz vor Zerstörung mit Sand zugedeckt. Inzwischen ist der Kopf wieder geborgen worden und dort, wo er hingehört: in einer Ausstellung. Die Schütte am Seddinhafen (Foto) wurde am 20. März 1998 abgerissen. Inzwischen ist die ehemalige Sandgrube total verbuscht und begrünt. Sie ist ein geschütztes Refugium für Waldtiere geworden. Ruhe ist eingekehrt in der Seddingrube.

Auszug aus dem Buch von Marianne Schäfer: Die Tabbertschen Mörtelwerke erwarben 1905 in Müggelheim 90 Morgen Land für eine Sandschurre. Das Schürfen am nach alten Karten damals 63,5 Meter hohen Seddinberg wurde genehmigt. Innerhalb von 40 Jahren wurde der Berg abgetragen und fortan in die Tiefe geschürft. Es entstand eine mächtige Grube, dazu ein Hafen mit Schütt- anlage am Seddinsee. Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die Arbeiten eingestellt und ab 1947 diente die Seddingrube genauso wie die Kleine Krampe der Verfüllung mit Berliner Trümmerschutt. Auf der östlichen Seite entstand ein hohes Plateau, das später als Start- und Landeplatz für Agrarflugzeuge genutzt wurde.