Müggelheimer Bote
7. Jahrgang, Ausgabe 09/2000  
September 2000 Home  |  Archiv  |  Impressum


"Trudchen, nie konnten wir dir genug danken!"

Inge Meysel und ihre Erinnerungen an Müggelheim

Die berühmte Schauspielerin Inge Meysel hat an Müggelheim Erinnerungen ganz besonderer Art.

Es begann, wie für unzählige Deutsche, mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im sogenannten „Dritten Reich”. Die verheerende Rassenpolitik des Naziregimes machte auch vor der angesehenen Familie Meysel nicht halt. Vater Julius Meysel besaß ein Tabak-Großhandelsgeschäft in Berlin. Familie Meinecke aus Müggelheim arbeitet damals bei der Firma Meysel. Gertrud Meinecke war Sekretärin, ihr Mann Vertreter.

 
Inge Meysels Vater Julius wurde gezwungen, seine Firma zu schließen - er war Jude. Die Mutter war Dänin. Tochter Inge wurde am 30. Mai 1910 geboren. Schon mit 20 Jahren stand sie erfolgreich auf der Bühne. Auch Inge traf das Schicksal hart: Als Halbjüdin bekam sie 1932 Auftrittsverbot.

Nach Ausbruch des Krieges 1939 wurde die Situation für Julius Meysel immer bedrohlicher. Die Schutzräume in den Kellern durfte er als Jude während der Fliegeralarme nicht betreten.

In jener schlimmen Zeit blieb der Kontakt zwischen Gertrud Meinecke und den Meysels erhalten. Das Angebot, Herrn Meysel im Notfall in ihrem Müggelheimer Häuschen, Annweiler Weg 10, illegalen Aufenthalt zu gewähren, musste Julius Meysel bald wahrnehmen.

Das Haus der Meysels in der Berliner Innenstadt wurde bei einem Luftangriff Anfang 1943 zerstört. Julius Meysel schlug sich zwei Tage lang zu Fuß durch die brennenden Straßen Berlins, bis er erschöpft das zwanzig Kilometer entfernte Müggelheim erreichte. Zwei Jahre lang versteckte Gertrud Meinecke Inge Meysels Vater im Keller ihres Hauses. In diesen beiden, für Julius Meysel unendlich langen Jahren, besuchte Tochter Inge ihren Vater einmal heimlich unter größten Gefahren für alle Beteiligten.

Mutter und Tochter lebten zu dieser Zeit in Hamburg. Lange wussten sie nicht, wo sich Ehemann und Vater versteckt hielt, ob er überhaupt noch lebte.

Aber ja, er lebte. In einem Müggelheimer Keller versteckt. Nur bei Fliegeralarm, wenn die Bewohner Müggelheims in die Luftschutzbunker rannten, stieg Julius Meysel aus seinem Verlies und schnappte frische Luft.

Frau Meineckes Mann befand sich zu dieser Zeit an der russischen Front. Lebensmittel waren knapp und es fiel den Nachbarn bereits auf, welche „Rationen” Frau Meinecke heranschaffte. Doch sie hielten dicht. Erst nach dem Krieg konnte sich Julius Meysel aufrichtig bei allen bedanken. Vor allem bei Gertrud Meinecke. Schließlich wäre sie im Falle einer Entdeckung als Volksverräterin und Saboteurin hingerichtet worden.

Inge Meysel schrieb in ihrem Buch „Frei heraus - mein Leben”: „Trudchen - nie konnten wir dir genug danken! Was wir auch taten, nie genug!”

Doch die Demütigungen und körperlichen Strapazen im Nationalsozialismus hatten Vater Meysel sehr geschwächt. Im Februar 1950 starb er, er war keine 60 Jahre alt. Gertrud Meinecke, seine tapfere Sekretärin, arbeitete bis 1975 in der Deutschen Staatsbibliothek. Sie starb 1989 - in Müggelheim.

Inge Meysel lebt heute in Niedersachsen, drei Kilometer von Hamburg entfernt, direkt an der Elbe. Wer kennt sie nicht, die streitbare, kritische, kluge und manchmal kratzbürstige aber gerechte Schauspielerin. Ihre Karriere begann erst richtig in den Nachkriegsjahren. Große Rollen am Theater wie im Stück „Das Fenster zum Flur”, die Fernsehserie in den 60ern „Die Unverbesserlichen”, „Heimatgeschichten” oder „Die blauen und die grauen Tage” (Mai 2000) machten Inge Meysel zur „Mutter der Nation”.

Die Schauspielerin fühlt sich „absolut fit, meine Falten zeigen die Rinnsale des Lebens an”, sagte sie kürzlich in einer Talkshow. Pläne und Angebote hat die große Dame des deutschen Films reichlich. Nach den vielen Ehrungen und Feierlichkeiten anlässlich ihres 90. Geburtstages am 30. Mai (auch der Müggelheimer Bote gratulierte, daher die Autogrammkarte mit den herzlichen Grüßen) steht im August eine mehrwöchige private Reise in ihre Lieblingsstadt an - New York.

Auf die gebürtige Berlinerin warten anschließend zu Hause in Deutschland wieder etliche Drehtermine.

Wer mehr über Inge Meysel erfahren möchte: Das Buch „Frei heraus - mein Leben” ist in 2. Auflage neu erschienen. wi.

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