Müggelheimer Bote
7. Jahrgang, Ausgabe 09/2000  
September 2000 Home  |  Archiv  |  Impressum


Eine Reise mit Schlepper ins Land der Nepper

Die 14 Müggelheimer standen pünktlich um 6.15 Uhr auf dem Dorfanger, denn sie sollten heute schließlich 2000,- DM empfangen können, die sie aus einem unerklärlichen Grunde gewonnen hatten. Zweitausend Mark! Zwar nicht in bar, aber als Einkaufsgutschein einzulösen während der Verkaufsfahrt in den oberen Spreewald, bei der es sogar eine Modenschau gibt und ein Gratis-Mittagessen und ein Geschenk und weitere Gewinne.

Nicht ganz pünktlich kam der Reisebus. Er kam von der holländischen Grenze und da gehen die Uhren vielleicht etwas anders. Eine Entschuldigung war nicht nötig, denn der Fahrer, der sich mit Vornamen, Schuhgröße und allem was ihm wichtig war vorstellte, hatte gleich ein paar flotte Sprüche bereit. Er war also ein Profi hinsichtlich Takt und Feingefühl. Und schließlich, das sollte man bedenken, die Fahrt war ja kostenlos und ein Geschenk. Das sollte niemand vergessen und darum wurde auch immer wieder daran erinnert.

So konnte man nicht meckern, wenn noch mehrere Haltepunkte gesucht und gefunden wurden, damit der Bus voll wurde. Aber um 9.15 Uhr rollte er endlich auf der Autobahn, um sie schon bald wieder zu verlassen und in einem kleinen Dorf zu halten, das auf keiner normalen Landkarte zu finden ist. Wegen der vielen anderen Busse konnte man ahnen, dass man pünktlich um 10 Uhr am Ziel war. Der riesige alte Tanzsaal, der schon mal bessere Zeiten gesehen hatte, fasste tatsächlich die Massen, wenngleich es etwas eng geworden war. Noch nie hatten die Wirtsleute so viele Gäste in ihrem Haus.

Um 10.40 Uhr hatten jedenfalls alle einen Platz gefunden und Marco aus Hamburg, 26 Jahre und in Trendkleidung, konnte bei der Begrüßung auch seinen Partner Torsten mit seinen 30 Jahren vorstellen. Ab jetzt wurde äußerste Aufmerksamkeit erwartet und da störte es auch, wenn die einzige Tür geöffnet blieb.

Marco pries nun blumenreich einen Heißluftgrill an, dann einen Besteckkasten und Naturhaarbetten. Gerade bei den Naturhaarbetten lief es den Zuhöreren wie ein Schauer über den Rücken, wenn sie hören mussten, mit welchen ungesunden, unhygienischen und krankmachenden Betten sie sich zu Hause zudecken. Aber wer nicht gleich kaufen wollte, konnte es sich ja in der Pause noch überlegen. Denn jetzt gab es das versprochene Mittagessen, die hausgemachte Kartoffelsuppe vom Großhandel mit kleingehäckselter Wursteinlage in einem flachen Teller. Um keine Kritik aufkommen zu lassen, betonte Torsten noch mal ausdrücklich, dass das Mittagessen gesponsert wurde, also ein Geschenk ist und man könne sich dafür erkenntlich zeigen, indem man von den nun vorgeführten Angeboten reichlich Gebrauch mache.

Jetzt kam ein Topfsatz zum Garen und Braten auf den Vorführtisch, bei dem der Hersteller 25 Jahre Garantie verspricht. Da die Mehrzahl der älteren Herrschaften eine so lange Garantie nicht beanspruchen wollte, ging es mit Reisen weiter, die nur an diesem Tag zum halben Preis zu buchen wären. Wobei ein Kenner vor sich hinmurmelte, dass auch der halbe Preis noch doppelt so hoch sei wie der normale.

Bei den Matratzen mit Spezial-Magneteinlagen, die im Gegensatz zu gefährlichen, auf denen wir heute allgemein schlafen und die uns so krank machen, wie Prof. Dings aus Amerika bewiesen hat, gibt es 0,0000% Nebenwirkungen. Dann kam mal die ganze Wirklichkeit zur Sprache über Ärztepfusch, falsche Brüste und Durchblutungsstörungen. „Sie waren doch alle schon mal beim Arzt, richtig? Richtig! Und da mussten Sie lange im Wartezimmer sitzen, richtig? Richtig!” das klang überzeugend für das Mittel dagegen, mit dem man 50-60 Prozent stärker durchblutet würde, das zwar 2298,- DM kostet, aber an diesem Tage mit dem „Werkseinkaufspass” für genau 1000,- DM weniger zu haben ist.

Die Uhr zeigte nun schon 15.30 Uhr und die Kauflust schien wegen der vorherrschenden Konzentrationsschwäche nachzulassen. Das veranlasste den immer noch Rede gewaltigen Marco zu einer unmissverständlichen Ermahnung. „Bin ich unhöflich zu ihnen? Warum sind Sie es zu mir und hören mir nicht zu? Ich kann noch mal von vorne beginnen. Ich habe Zeit und wir können heute Abend um 10 Uhr hier noch sitzen.” Es kehrte wieder Ruhe ein. Nun wurden teure Reisen für 1698,- DM fünf Tage nach Mallorca verlost, die die glücklichen Gewinner aber nicht annehmen wollten, da sie 798,- DM hätten zuzahlen müssen.

Das Reinigungsmittel aus Österreich für 1580,- DM auf Abzahlung hat auch ein paar Käufer gefunden und jetzt warteten alle ungeduldig auf die Modenschau.

Die hat nun wieder Torsten gekonnt in Verlegenheit gebracht, weil die Models, die von weit her kommen sollten, den Weg offensichtlich nicht gefunden hatten. Zum Glück fanden sich aber eine Kellnerin, die Köchin, die Abwaschfrau und sogar ein Herr aus dem Publikum bereit, die Lederjacken vorzuführen, die zum Verkauf in einem Vorraum bereitstanden.

Da sich unter dem Publikum zur späten Stunde - es war nun bereits 18 Uhr - das Heimweh gesellte, entsprach der Veranstalter rasch dem allgemeinen Wunsch, die Modenschau abzubrechen. Nun endlich konnte der Gewinnbon über 2000,- DM beim Kauf der Lederjacken eingelöst werden. Aber die Sache hatte einen Haken. Es wurde bei jedem Stück nur ein kleiner Betrag von 50 bis 100,- DM verrechnet. Am Beispiel der Lederweste für 198,- DM wurden 50,- DM angerechnet. Sie hätte somit nur 148,- DM gekostet, aber man hätte 40 Stück kaufen müssen, um den Gewinn einzulösen. Da niemand 40 Westen brauchte, hat auch niemand seinen Gewinn einlösen können.

Gewonnen haben Marco und Torsten, und die sogenannten Gewinner gewannen vielleicht eine Erfahrung. Nämlich die, dass es viele Möglichkeiten gibt, um an das Geld anderer Leute heranzukommen. Martin Jahn

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