Müggelheimer Bote
8. Jahrgang, Ausgabe 10/2001  
Oktober 2001 Home  |  Archiv  |  Impressum


Gedanken aus Müggelheim

von Siegfried Menthel

Iteffa Gobena hat es auf den Punkt gebracht. Der Präsident der Mekane Yesus Kirche in Äthiopien besuchte uns mit einer hochrangigen Kirchendelegation am Sonntag, den 16. September in Müggelheim in unserem Gottesdienst. Anschließend kam das Gespräch auch auf Entwicklungshilfe. Er erzählte: „Wir kommen gerade aus Norwegen. Ich habe gesehen, was dort eine Tasse Kaffee in der Gaststätte kostet. Dafür bekommt man bei uns 30-40 kg Kaffee. Sie wissen, bei uns wird Kaffee angebaut. Aber die Preise werden in London gemacht. Ich frage Sie: Wer steckt sich das Geld ein?”

Seit Jahrzehnten ist uns bewusst, dass unser Wohlstand und das Elend im armen Teil der Welt ursächlich miteinander verknüpft sind. Wem das bitter aufstößt, der findet vielfältige Möglichkeiten, einen Teil seines Geldes in Projekte von Hilfsorganisationen zu geben. Dadurch werden manche extremen Folgen der Armut gemildert. Dazu sind viele Menschen, auch in Müggelheim, bereit.

Aber das Hauptproblem gerät dabei aus dem Blickfeld. Es scheint unlösbar: Unsere Wirtschaft ist so ungerecht strukturiert, dass wir auch als Konsumenten und auch, wenn wir das gar nicht wollen, an der fortschreitenden Verelendung beteiligt sind, die ein großer Teil der Menschheit ertragen muss.

Wir haben das immer wieder verdrängt. Genau wie unsere Ahnung, dass sich die Armen das nicht auf Dauer gefallen lassen.

Ich treffe in diesen Tagen Menschen, die der Schock über die grauenhaften Verbrechen vom 11. September genau mit dieser Frage unausweichlich konfrontiert: Warum bin ich bereit, an so vielen anderen Orten die massenhafte Vernichtung von Menschenleben hinzunehmen? Warum sind wir alle zusammen dazu bereit? Plötzlich erkennen sie diese Gleichgültigkeit als eine gesellschaftliche Krankheit. Jetzt wollen sie sich nicht mehr damit abfinden.

Im Augenblick nehme ich eine deutliche Sensibilisierung dafür wahr, diesen verdrängten Tragödien ins Auge zu sehen. Unwillkürlich rücken die Menschen wieder näher zusammen, gehen aufeinander zu und sprechen davon, was sie ängstigt. Als spürten sie in der Gefahr, was sie aneinander haben und wie sie einander brauchen.

Die Sensibilität für die Opfer unseres Wirtschaftsystems ist ja auch nur gemeinsam auszuhalten. Nur gemeinsam können wir uns dafür einsetzen, dass auf die politische Tagesordnung kommt, was bisher keine Chance hatte: die ernsthafte Bemühung, die Weltwirtschaft, den Welthandel, die Globalisierung so zu organisieren, dass der tödliche Kreislauf durchbrochen wird, durch den die einen noch reicher und die anderen noch ärmer werden. Genügend praktikable Vorschläge liegen auf dem Tisch. Es fehlte bisher der politische Wille, sie zu realisieren. Es fehlte der Druck aus der Bevölkerung, die es satt hat, dass andere hungern.

Jetzt könnte der Augenblick des Umdenkens gekommen sein. Wir dürfen ihn nicht ungenutzt verstreichen lassen.

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