Müggelheimer Bote
7. Jahrgang, Ausgabe 02/2001  
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Der Erfinder der Nachhaltigkeit

Aufruf zur sorgsamen Pflege der Umwelt geht auf Barockzeit zurück

Der Gedanke der Nachhaltigkeit, das heißt der Pflege des Bestehenden, so dass auch unsere Nachkommen noch etwas davon haben, ist nicht so neu, wie er vermuten lässt. Zwar kam er mit der 1992 in Rio verabschiedeten Agenda 21 erst wieder richtig in den Sprachgebrauch, doch die Geschichte dieses Begriffes geht auf den Anfang des 18. Jahrhunderts zurück - und zwar nach Freiberg, einer sächsischen Silberstadt. Dort prägte Hans Carl von Carlowitz diesen Begriff, der 300 Jahre später zum Schlüsselbegriff des Denkens über die Zukunft geworden ist: Nachhaltigkeit.

Ein Jahr vor seinem Tod 1714 veröffentlichte von Carlowitz in einem dickleibigen Folioband seine ‚Sylvicultura Oeconomica‘. Die ‚Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht‘, so lautet der Untertitel, gilt als das erste forstwissenschaftliche Werk. Es kreist um die Idee und den Begriff der Nachhaltigkeit.

‚Sustainable development‘ - nachhaltige Entwicklung. Das neue Design des alten Konzepts entstand angesichts der akuten Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. In Rio, während des Erdgipfels der UNO 1992, kam es auf die Weltbühne. Die Agenda 21, das damals von 180 Staaten verabschiedete Aktionsprogramm des Erdgipfels, machte es zum Leitbild. Nachhaltigkeit sei die Chance Nr. eins für das 21. Jahrhundert, heißt es im Millennium-Projekt der UN-University. Weltbank und Greenpeace, Blair und Gore, Lufthansa und Kirchentage, - alle reden davon. Und auch die EXPO-2000-Planer waren mit von der Partie: „Eine nachhaltige, auf Dauer angelegte Entwicklung muß den Bestand an natürlichen Ressourcen so weit erhalten, daß die Lebensqualität zukünftiger Generationen gewährleistet ist“. Angestrebt seien Lösungen, die ökologisches Gleichgewicht, ökonomische Sicherheit und soziale Gerechtigkeit zusammenführen und auf lange Sicht und weltweit stabilisieren können.

Doch die Konturen des Konzepts werden immer komplexer und drohen zu verschwimmen. Da ist es erhellend, einmal zurück zu den Wurzeln zu gehen und Hans Carl von Carlowitz bei seinem tastenden Suchen nach dem prägnanten Wort über die Schultern zu schauen.

Die Carlowitzens sind uralter Adel. Einer ihrer Sitze, Burg Rabenstein, liegt auf einem bewaldeten Bergrücken am westlichen Rand von Chemnitz. Kein barockes Schlösschen, sondern eine trutzige Ritterburg. Hier wurde Hans Carl von Carlowitz 1645 geboren und wuchs zum barocken Edelmann heran.

Ein ganz besonderes Problem drückte damals die Wirtschaft: der Holzmangel. Der junge Carlowitz kannte es aus den Tagesgeschäften seines Vaters in den Forsten des Erzgebirges. Auf seiner langen Reise lernte er nun, daß die Knappheit an der primären Ressource Holz überall in Europa als eines der akuten Probleme der Zeit galt. „Binnen weniger Jahre ist in Europa mehr Holtz abgetrieben worden, als in etzlichen seculis erwachsen“, schrieb er später in seinem Buch. Das Ende dieser Entwicklung sei leicht abzusehen. Schon Melanchthon habe ein ‚Zorn-Gericht des grossen Gottes‘ prophezeit, „daß nehmlich am Ende der Welt man an Holtze grosse Noth leiden werde“.

Die königlichen Wälder jedoch waren aufgrund von Raubbau und Korruption in einem desolaten Zustand. Colbert, Minister von Ludwig XIV. griff energisch durch. Nach einer gründlichen Inventur der Wälder und einer umfassenden Reorganisation des Forstwesens schloss er sein Reformprojekt 1669 mit einer ‚grande ordonnance‘ ab. Diese reduzierte den Holzeinschlag und schrieb konkrete Maßnahmen zur Wiederherstellung und Erhaltung von Hochwald vor.

Die Nachhaltigkeitsidee ist überall, wo sie in der Geschichte auftaucht, ein Kind der Krise.

Carlowitz definierte die Nachhaltigkeit in seinem Buch bereits in klaren Umrissen: Die Ökonomie hat der „Wohlfahrt” des Gemeinwesens zu dienen. Sie ist zu einem schonenden Umgang mit der „gütigen Natur” verpflichtet und an die Verantwortung für künftige Generationen gebunden.

Carlowitz kritisiert das auf kurzfristigen Gewinn, auf „Geld lösen”, ausgerichtete Denken seiner Zeit. Ein Kornfeld bringe jährlichen Nutzen, auf das Holz des Waldes dagegen müsse man Jahrzehnte warten. Trotzdem sei die fortschreitende Umwandlung von Waldflächen zu Äckern und Wiesen ein Irrweg. Der gemeine Mann würde die junge Bäume nicht schonen, weil er spüre, dass er deren Holz nicht mehr selbst genießen könne. Er gehe verschwenderisch damit um, weil er meine, es könne nicht alle werden. Zwar könne man aus dem Verkauf von Holz in kurzer Zeit „ziemlich viel Geld heben”. Aber wenn die Wälder erst einmal ruiniert seien, „so bleiben auch die Einkünfte daraus auff unendliche Jahre zurücke.... sodaß unter dem scheinbaren Profit ein unersetzlicher Schade liegt.“

Gegen den Raubbau am Wald setzt von Carlowitz die eiserne Regel: „Daß man mit dem Holtz pfleglich umgehe.“

In seinem Buch plädiert von Carlowitz für ein Bündel von Maßnahmen: Eine (modern ausgedrückt) Effizienzrevolution, z.B. durch die Verbesserung der Wärmedämmung beim Hausbau; die planmäßige Aufforstung durch das Säen und Pflanzen von Bäumen; die Suche nach ‚Surrogata‘ für das Holz. Carlowitz empfiehlt die Nutzung von Torf.

Das traditionelle Wort ‚pfleglich‘ scheint Carlowitz jedoch nicht ausreichend die langfristige zeitliche Kontinuität von Naturnutzung und den Gedanken des Einteilens und Sparens von Ressourcen zum Ausdruck zu bringen. Bei der Erörterung, „wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen, daß es eine continuirliche, beständige und n a c h h a l t e n d e Nutzung gebe“ taucht zum ersten Mal der neue Begriff auf.

Es waren die Forstleute der Goethe-Zeit, die den Gedanken der Nachhaltigkeit zur Basis ihrer neuen Wissenschaft machten. Deren Denkfabriken, die 1816 von Heinrich Cotta gegründete Forstakademie von Tharandt (dem Nachbarort Freibergs), Eberswalde in Preußen und andere Hochschulen, haben das Konzept im 19. Jahrhundert ausgearbeitet: streng rationalistisch, auf der Grundlage der Geometrie und des Vermessungswesens.

Die Entwaldung wurde rückgängig gemacht. Das Problem des Holzmangels war gelöst. Aber aus dem Mosaik des Waldes entstand das Schachbrett des Forstes.

Die deutsche Forstwissenschaft und damit das Konzept der Nachhaltigkeit erlangte im Laufe des 19. Jahrhunderts weltweite Geltung.

Ob damit der ‚Stein der Weisen‘ gefunden ist? „Ich glaube“, sagt Georg Sperber, bayerischer Forstmann, Autor und Kenner der Geschichte seiner Zunft, „unsere Gesellschaft ist sich überhaupt nicht bewusst, welche Verpflichtung sie mit dem Rio-Bekenntnis zur nachhaltigen Entwicklung eingegangen ist. Wenn diese Industriegesellschaft, diese Plünderungs-, Exploitations- und Beutemachergesellschaft, plötzlich wirklich ernst machen wollte, nachhaltig zu wirtschaften, so ist das ein Umkrempeln bis tief hinein in das Wesen dieser Industriegesellschaft. Eine Revolution im wahrsten Sinne des Wortes.“ Ulrich Grober

(erschienen in „Briefe zur Orientierung im Konflikt Mensch-Natur” Heft 12/2000)

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