Müggelheimer Bote
7. Jahrgang, Ausgabe 06/2001  
Juni 2001 Home  |  Archiv  |  Impressum


„Wir waren alles einfache Leute”

die Geschichte der Arbeiterzeltstadt Kuhle Wampe

Wer oder was ist Kuhle Wampe? Sicherlich kennen einige den vor siebzig Jahren gedrehten Film. Aber Kuhle Wampe in Köpenick? Wo war Kuhle Wampe?

Der Zeltplatz Kuhle Wampe befand sich am südlichen Ufer des Großen Müggelsees in einer kleinen Bucht zwischen den Ausflugsgaststätten Prinzengarten, heute Müggelseeperle, und Müggelhort. Seinen Namen erhielt er nach der forstamtlichen Bezeichnung Kuhle Wampe, die zum einen an die bauchartige Ausbuchtung des Müggelseeufers und zum anderen an das dort auch im Sommer recht kühle Wasser erinnern sollte.

Idylle der Arbeiter-Zeltstadt am Müggelsee. Repro: Jacobius
Der heutige Zeltplatz Kuhle Wampe, an der Mündung Große Krampe / Langer See, hat mit dem ältesten Zeltplatz außer dem Namen nichts gemein. Als der frühere Jugendzeltplatz Anfang der 70-er Jahre entstand, wurde er so benannt, um den traditionsreichen Namen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Bereits im Jahre 1913 entstand auf den Lichtungen des ansonsten sehr schattigen und sumpfigen Geländes am Müggelsee ein kleines Zeltdorf, zu dem anfänglich nicht viel mehr als zwanzig Stellplätze gehörten. Zu Beginn der zwanziger Jahre dehnte sich die Kolonie rasch aus und umfasste schon bald mehr als einhundert Zelte, in denen über dreihundert Personen, unter ihnen viele Arbeiter und Arbeitslose mit ihren Familien eine billige Unterkunft fanden und zugleich ihren Hunger nach Licht, Luft und Sonne stillen konnten.

„Wir waren alles einfache Menschen”, erzählte mir vor wenigen Wochen eine inzwischen hochbetagte Dame aus Oberschöneweide, die sich bis heute noch gut daran erinnern kann, dass jedes Jahr nach Himmelfahrt gepackt und nach Kuhle Wampe umgezogen wurde. Sie hat dort schwimmen gelernt. Ihr Vater arbeitete bei AEG-TRO und fuhr jeden Morgen mit dem Rad in die Fabrik. Und etwas verschämt fügte sie hinzu: Er war Kommunist.

Etwa ab 1925 entstanden hinter Kuhle Wampe in Richtung Müggelhort zwei weitere Zeltstädte mit den Namen Kleen Kleckersdorf und Tsinmulpo, deren Bewohner überwiegend aus bessergestellten Kreisen kamen und in der Regel nur das Wochenende im Freien verbrachten. Die Kolonie Interessenverband Kuhle Wampe war dem Zentralverband der Freibäder-Vereine Groß-Berlin e.V. angeschlossen und galt bis zu ihrer Auflösung durch die Nationalsozialisten 1935 als eine der ältesten Zeltkolonien Deutschlands.

Der vor siebzig Jahren an diesem Ort gedrehte Film „Kuhle Wampe - Oder wem gehört die Welt?” war ein oppositioneller Film, der als einer der wenigen in der damaligen Zeit die Alltagsprobleme offen ansprach.

Es war ein Film über die verzweifelte Suche nach Arbeit, ein Film über Obdachlosigkeit, Solidarität und Gemeinschaft.

Der Streifen „Kuhle Wampe - Oder wem gehört die Welt“ war zunächst das Resultat einer engen Zusammenarbeit der Filmemacher: der Autoren Bert Brecht und Ernst Ottwald, des Regisseurs Slatan Dudow und des Komponisten Hanns Eisler. Die Herstellung des Films war von ständiger Geld- und Zeitnot überschattet. Die teuren Tonfilmapparaturen mussten gegen hohe Mieten geliehen werden, so dass die Filmemacher ständig auf der Suche nach neuen Finanzquellen waren.

Für die Aufnahmen waren eine Zeltstadt am Kleinen Müggelsee und am Flugplatz Johannisthal nachgebaut worden, weil wegen der ungünstigen Licht- und Platzverhältnisse nicht am originalen Ort gedreht werden konnte. Der Produktionsleiter des Films Georg Hoellering berichtet über seine Eindrücke vom Zeltplatz Kuhle Wampe:

„Es stimmt schon, dort waren viele Proletarier, aber hätten Sie dieses Proletariat gesehen, sie wären überrascht gewesen. Wenn das deutsche Proletariat und die deutschen Mittelschichten zusammen waren, sagen wir an der See zum Beispiel, sahen sie alle gleich aus. Verglichen mit Kuhle Wampe, hätte Brighton einem Slum ähnlich gesehen. Die Bewohner waren alle sauber und ordentlich, hatten ihre kleinen Gärten usw. und wollten nicht, dass all die Filmleute hier herumtrampelten.”

Auch die mitwirkenden Laienschauspieler stammten zum überwiegenden Teil aus Kuhle Wampe, wohin sie nach Ende der Dreharbeiten auch wieder zurückkehrten.

Viele verdienten sich als Komparsen ein paar Mark hinzu und kauften sich von der Gage ein neues Zelt oder ein neues Fahrrad. Und einige waren auch mit einem warmen Mittagessen zufrieden. Festzuhalten bleibt, dass das ehrgeizige Projekt ohne die uneigennützige Mitarbeit tausender Arbeitersportler, Arbeiterchöre und Agitpropgruppen und den Bewohnern von Kuhle Wampe wohl zum Scheitern verurteilt gewesen wäre.

Das zentrale Motiv des Films besteht in der Vermittlung einer alternativen politischen Stellungnahme. Einer Stellungnahme in der Form, wie sie von der Masse der Filmproduktionen der damaligen Zeit sorgsam ausgeblendet wurde.

Gleichwohl war aber auch und gerade mit diesem Film das Anliegen verbunden, möglichst viele Menschen zu erreichen. Insofern war Erfolg dringend erwünscht, aber eben nicht als Anpassung an den Publikumgsgeschmack. Die Kunst erkauft sich ihre Siege durch den Verlust an Charakter? Eben das wollten die Macher nicht. Produktionsleiter Gerd Hoellering: „Es war ein Film über die Arbeitslosigkeit und was sie für den Menschen bedeutete, und das wurde nie in Bezug auf parteipolitische Ziele diskutiert. Es gab das Drehbuch und man konnte alles was man wollte in das Drehbuch hineinlesen. Aber wir diskutierten es nie von einem parteipolitischen Standpunkt aus. Nur in einem Fall brauchten wir die Hilfe der Kommunistischen Partei. In dem Gebiet, in dem wir drehten, waren Nazi-Sturmtruppen gewesen, und wir baten die Kommunisten, unseren Standort zu sichern.”

Mitte Mai 1932 wurde der Film in Moskau uraufgeführt. Zunächst ohne und dann - mit sehr ausgewähltem Publikum - auch mit Brecht. Brecht war enttäuscht, als die Moskauer Genossen ihm nach nur mäßigem Erfolg sagten: „Wie können wir diesen Film hier zeigen? Ihre armen Leute haben Motorräder und diesen herrlichen Ferienort. Hier haben wir nichts dergleichen. Deshalb können wir den Film hier nicht zeigen.“

Ende Mai 1932 erlebte der Film seine Premiere im Berliner „Atrium” vor fast 2000 Zuschauern. Allein hier lief er zehn Tage, wurde danach in weiteren Kinos gezeigt und soll bereits in der ersten Premierenwoche von mehr als 14 000 Besuchern gesehen worden sein. Im Juni kam er nach Friedrichshagen, in die Union-Lichtspiele.

Claus-Dieter Sprink, Leiter des Köpenicker Heimatmuseums

Fortsetzung in der Juli-Ausgabe

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