Musik und Literatur am Abend - ein Kirchenkonzert mit Seltenheitswert
von Gisela Winkelmann
In der 200 Jahre alten Dorfkirche am Anger steht in diesem Jubiläumsjahr
ein besonders vielfältiges Programm auf dem Plan. Im Juni reichte die Palette
vom Rock-Konzert über Chor- und Instrumentalkonzerte bis zur Puppentheater-Vorführung.
Es ist schon einige Zeit her, dass ich mir einmal ein Konzert in der sakralen
Stätte Müggelheims gönnte. Gut erinnerte ich mich aber an die
wohlklingende Orgel des Gotteshauses. Daher war ich nicht enttäuscht, dass
das für den 12. Juni angekündigte Klavierkonzert von der Orgel kam.
Für die Musik zeigte sich der bekannte Komponist und Pianist Michael Stöckigt
verantwortlich. Pfarrer Jochen Schmidt (im Ruhestand) bereicherte das Programm
mit literarischen Anekdoten aus mehreren Jahrhunderten. Von tiefgründig
bis humorvoll reichte die Palette bekannter Autoren wie Eva Strittmatter, Theodor
Fontane und anderen. Auch philosophische Gedanken wurden zitiert. Es ging um
generelle Lebensfragen, die auch auf unsere heutige schnelllebige Zeit zutrafen.
Eine bekannte Glosse aus Preußen war „Man sollte nicht zu schnell
sein”: Sie handelt von der 1838 eingerichteten Eisenbahnlinie Berlin -
Potsdam (die erste Eisenbahnstrecke Deutschlands entstand 1835 und verlief von
Nürnberg nach Fürth), die der damalige Kronprinz Friedrich Wilhelm
IV. nicht so recht wahrnehmen wollte. Er ritt lieber von Berlin nach Potsdam.
Auf die Verheißung, doch schon um 11 Uhr in Potsdam sein zu können,
antwortete der Kronprinz nur: „Was soll ich denn nur um 11 Uhr schon in
Potsdam?” Zwei Jahre später, 1840, als sein Vater Friedrich Wilhelm
III. starb und er König von Preußen wurde, konnte er sich solchen
Fauxpas nicht mehr erlauben, zumal die Eisenbahn Furore machte.
Das Publikum in der Kirche hatte viel zu schmunzeln. Zwischendurch spielte Michael
Stöckigt frei und improvisierte etwas gewöhnungsbedürftige, eigenwillige
Stücke an der Orgel. Tiefste Basstöne und die spitzesten, schrillsten
Dissonanzen erklangen. Ab und zu etwas Sonorität vom Instrument.
Pfarrer Siegfried Menthel sagte zum Schluss: „Das war eine musikalische
Welturaufführung, die durch die freie Improvisation in der gleichen Form
auch nicht wiederholt werden kann.” Somit besaß die Veranstaltung
Seltenheitswert.
Die freundlich anmutende Müggelheimer Kirche mit den frischen Blumen und
den leuchtenden Kerzen erhellte dann zum Ende der Darbietungen, als die abendliche
Strahlenflut der Sonne durch die bunten, bleiverglasten Fenster schien, auch
die Gemüter der Besucher. Und so wurde gerne für die Kinder einer Schule
im entfernten Äthiopien ein Obolus gegeben.
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