Müggelheimer Bote
5. Jahrgang, Ausgabe 07/99  
Juli 1999 Home  |  Archiv  |  Impressum


Inhalt

Ludwigshöheweg wird zum Modell für Berliner Straßenbau

Lösung für ansprechendere Busschleife

Wer die Krumme Lake liebt, verzichtet auf Angeln und Baden

Odernheim grüßt Müggelheim per Uhr

"Das verlorene Paradies"?!

Impressionen vom Angerfest '99

Glücksrad des Wirtschaftskreises war dicht umlagert

Einfach himmlisch: Auf zur totalen Sonnenfinsternis nach Süddeutschland

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© 1999 Müggelheimer Bote

Zuletzt aktualisiert am 30.08.99

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„Das verlorene Paradies”?!

Ein persönlicher Bericht über gewesene und gefährdete Naturschönheiten Müggelheims

Vorwort:
Das ist die Kurzform eines Märchens, welches noch viel mehr Inhalt haben könnte. Doch aufgrund der gefaßten politischen Beschlüsse zum Bau des Großflughafens Berlin-Schönefeld, wird es nun eventuell ein endgültiges Ende finden. Bei dem Märchenerzähler handelt es sich um einen alten Müggelheimer, der eigentlich noch gar nicht so alt ist, aber seit 1944 in Müggelheim lebt. Er ist der Meinung, daß jede Generation in der Verantwortung steht, den ihr folgenden Generationen eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen. Das gilt vor allem für die verantwortlichen Politiker, die in einer Demokratie vom Volk gewählt werden, um Interessen und Belange aller Bürger umzusetzen.
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Es begab sich zu einer Zeit, da auf unserer guten alten Mutter Erde ein furchtbarer Krieg, der furchtbarste Krieg aller Zeiten, tobte. Auch für die Menschen in Müggelheim lag 1945 dieser Krieg endlich hinter ihnen. Die Umstände wollten es so, daß sich die Kriegsschäden und die Zerstörung, auch an der Natur, an Fauna und Flora, einigermaßen in Grenzen hielten. Zwei kleine Jungen, zwei Brüder, nennen wir sie Peter und Michael (im Krieg und zum Ende des Krieges geboren) lebten hier an der Großen Krampe. Sie waren eng verbunden mit ihrer Umwelt, denn es gab noch kein Fernsehen, kaum Rundfunk und die Natur, in der sie lebten, war trotz des vergangenen Krieges noch intakt. Schützenlöcher in den Wäldern, Fundmunition und ähnliches erinnerten noch oft an schlimme Zeiten. Ebenso wie auch das Tragen von Leibchen (auch für Jungen), wenn es kalt war, denn eine lange Hose gab es nur für besondere Anlässe; oder das notwendige Sammeln und Suchen von Wald- und Wiesenkräutern, Pilzen und ähnlichem, um zu überleben. Trotz all dieser genannten und ungenannten Widrigkeiten waren die beiden Jungen, ebenso wie ihre Spielkameraden, glücklich. Denn Müggelheim bot ihnen mit seiner herrlichen Umgebung alles, was Kinder brauchen, um kreativ zu spielen und Abenteuer zu erleben. Die Große Krampe, an deren Ufer die Eltern eine kleine Wasserparzelle besaßen, hatte einen fast vollständig geschlossenen, breiten Schilfgürtel, nur durchbrochen von einigen Badestellen. Am Ausgang der Großen Krampe gab es große Binsenfelder und die Seerosenfelder auf der Großen Krampe lagen wie bunte Teppiche auf dem Wasser. Die Dampfer, die damals noch wirklich „dampften“, mußten in Schlangenlinien zu den Ausflugsgaststätten „Krampenmühle“ und „Gasthaus zur Großen Krampe“ (Troppenz) fahren, weil Schlingpflanzen und Seerosen sich sonst in den Antriebsschrauben festgesetzt hätten. Zusammen mit Freunden besaßen die Jungs ein kleines Ruderboot (vorn und hinten abgeschnitten) mit dem Namen „Krümelschippe“. Von der „Krümelschippe“ aus wurde gebadet in einem Wasser, das naturgemäß im Hochsommer „blühte“, aber ansonsten so klar war, daß man, je nach Untergrund, über zwei Meter tief auf den Grund sehen konnte. Von den Bootsstegen aus, die teilweise mit einem aus einem Brett gezimmerten Federsprungbrett versehen waren, wurden „Köpper“ gewagt, Wasserschlachten geschlagen, getaucht und vieles mehr. Am Ufer der Großen Krampe standen Bäume mit großen Ästen, die bis ins Wasser reichten und wo die Jungen von gebauten Baumhöhlen in die „Krümelschippe“ kletterten und zurück. Unter diesen schattigen Überhängen der Bäume laichten im Frühjahr Fische, so viele, daß sie Körper an Körper standen. Cowboy- und Indianerspiele wurden im hügelreichen Wald gespielt, der, darauf kommt der Erzähler gleich, noch ein Märchenwald war. Aber zurück zur Großen Krampe. Es wurde auch fleißig geangelt, aus Spaß am Angeln und aus der Notwendigkeit (in den ersten Jahren nach dem Krieg). In etwa zwei Stunden fingen die Jungen von der „Krümelschippe“ aus, unter einem Seerosenfeld, einen Eimer voller Rotfedern. Nur Rotfedern, denn alle anderen Fischarten setzten sie zurück ins Wasser. Am nächsten Wochenende gab es dort schon wieder genau so viele Rotfedern und es wurde dadurch auch nicht in das natürliche Gleichgewicht eingegriffen. Desgleichen beim „Krebsen“, wo an einer 12 Meter langen Uferstrecke innerhalb von drei Stunden zwei Eimer voller Krebse gefangen wurden. Sie wurden dann zu Hause zu Krebsbutter als Brotaufstrich verarbeitet (Geheimrezept der Mutter). Eine Woche später gab es dort wieder genau so viele Krebse. Wenn die Jungen sich auf den Steg legten und ganz ruhig ins Wasser sahen, reichte ein Stück Angelsehne mit einem Haken und einem Wurm oder Sprock daran aus, um unter dem Segelboot der Eltern, Barsche zu fangen; Kaulbarsche und auch größere Barsche. Wasservögel, die im Schilfgürtel ihre Nester hatten, Bisamratten und sogar ein Fischotter an der „Kleinen Krampe“ (leider nur noch eine Bucht des Seddinsees - die durch Kriegsschutt aus Berlin nach 1945 über die sogenannte Sandschurre zugeschüttet wurde) lebten mit den Menschen zusammen, trotz immer stärker werdenden Wassersports. Erst als spätere politische Festlegungen dazu führten, daß die Große Krampe, wie auch andere Gewässer, irreparable Schäden davontrugen, mußte den denkenden Menschen eigentlich klar werden, in welcher Verantwortung sie stehen. Zu den schädigenden Einflüssen gehörten beispielsweise das Anlegen großer Zeltplätze, Veränderungen in der Landwirtschaft der damaligen DDR, verbunden mit der indirekten Überdüngung der Gewässer, die Zerstörung der Schilfgürtel durch Wellenschlag, zu viele Boote, die sich verschlechternde Wasserqualität, durch vermehrte Schadstoffbelastungen aus der Luft und der saure Regen.
Idylle pur: Mutter Augustinski mit Peter und Michael auf der Krampe
Die Große Krampe (immer noch etwas schön) stellt sich heute den Menschen als schilfloser Kanal dar (in der DDR-Zeit vor allem als Trainingsstrecke der Ruderer und Kanuten genutzt). Aber auch Lärm gab es in so mancher Nacht, wodurch man manchmal auch schlecht schlief. Aber es war kein Flugzeuglärm, sondern Froschkonzerte waren die Ursache, denn der Schilfgürtel war die Heimat tausender Frösche. Daß die damals noch schnee- und kältereichen Winter für die Jungen tolle Ski- und Schlittentouren (unter anderem auf den Müggelbergen) ermöglichten, die Große Krampe und die anderen Gewässer zum Eisangeln, Schlittschuhlaufen, Eishockey spielen und Eissegeln genutzt werden, sei der Vollständigkeit halber erwähnt.
Eine Besonderheit stellten auch die beiden Feuchtgebiete Pelzlake und Krumme Lake dar. Die Pelzlake (inzwischen verlandet) und die Krumme Lake, noch vorhanden, aber stark gefährdet, wurden und werden ebenfalls durch politische Beschlüsse in ihrer Existenz bedroht, nämlich unter anderem durch Grundwasserabsenkung. Fauna und Flora der Krummen Lake boten eine große Anzahl von seltenen Tier- und Pflanzenarten, auch in den damals noch intakten kilometerlangen Sumpfarmen des Biotops.
Unsere beiden Jungen kannten nicht nur die sie umgebenen Gewässer genau, sondern auch die Müggelheim einbindenden Wälder. In der Sommer- und Herbstzeit wurden Pilze gesammelt, notwendigerweise und aus Freude. Ein intakter Waldboden hatte keine geheimen Stellen für die Pfifferlinge, die Steinpilze (z.B. im „Eichenwäldchen“), die man dort körbeweise fand. Es gab auch Maronen, Schirmpilze (gewürzt und gebraten schmecken sie wie ein Kalbsschnitzel) und viele Sorten mehr.
Neben Brombeeren war die Krönung aber die Suche nach Walderdbeeren, die, wenn auch mühselig, weil so klein, milchkannenweise gesammelt wurden. Keine gezüchtete Erdbeere kommt an diesen herrlichen Geschmack heran.
Über den Lichtungen, die mit Wildblumen übersät waren, schaukelten oft Tausende von Schmetterlings-Arten. Auch hier führten, wie schon vorhin angeführt, die politischen Beschlüsse von Menschen mit Verantwortung zu Schadstoffmengen, die die Wälder allein, ohne menschliche Hilfe (welch eine Ironie) nicht mehr verarbeiten konnten. Das Düngen der Wälder, jährlich von Flugzeugen auf die Wälder aufgebracht, führte nun zu einer starken Vergrasung des Waldbodens und die Vielfalt der Arten verschwand in kurzer Zeit.
Seit der Wende beginnt sich zum Glück (das künstliche Düngen aus der Luft gibt es nicht mehr!) der Waldboden etwas zu erholen. Die zu erwartende Schadstoffbelastung durch den geplanten Großflughafen wird, und dazu braucht man kein Fachmann zu sein, die dort lebenden Menschen, Tiere und die Vegetation über Generationen hinweg noch ungleich höher belasten und schädigen.
Die beiden Jungen lebten nach dem Krieg mit ihren Eltern in einem Nutzgarten, indem fast jeder Quadratmeter Boden mit Kartoffeln, Bohnen, Erbsen, Möhren, Obststräuchern und -bäumen, Küchenkräutern und anderem bebaut wurde. Neben den Haus-und Nutztieren wie Hund und Katze, Hühner, Enten, Gänsen und Kaninchen gab es aber auch noch Wildtiere in dieser unmittelbaren Gartennachbarschaft. Unken und Erdkröten, Salamander und Eidechsen und auch Schlangen, so im Misthaufen auf dem elterlichen Grundstück, wo beispielsweise eine Ringelnatter (das Weibchen war fast einen Meter lang) lebte und ein ganzes Knäuel von kleinen Ringelnattern das Licht der Welt erblickte. Eine vielfältige Vogelwelt, Insekten aller Art (einschließlich Mücken) - im Sommer nannten wir Müggelheim oft Mücken-heim - Schmetterlinge in ihrer Vielfalt, Bienenvölker und anderes gehörten so zum Leben der beiden Jungen, wie heute das Fernsehen, das Internet und der Computer. (Da stellt sich für den Verfasser und vielleicht auch für Sie, liebe Leserin, lieber Leser die Frage, ob das eine das andere ausschließen muß?)
Zum Schluß vielleicht noch für die vielen Neu-Müggelheimer eine Information: In Müggelheim gab es Flächen, die wir heute als Brache erleben, oder die zu Wochenendsiedlungen heranwuchsen, auf denen sich früher Felder befanden. Sie wurden von Müggelheimer Bauern mit Kartoffeln, Korn und anderen Feldfrüchten bebaut. So wurde Milch aus Kannen von Lieschen Hembt oder Albert Grosse geholt, aber auch Feld- und Gartenfrüchte, Eier und manch ein Stück Fleisch.
Nachwort:
Nun ist dem Verfasser natürlich bewußt, daß nichts im Leben so bleiben kann, wie es gerade ist und die Entwicklung in allen Lebensbereichen fortschreiten muß, oft auch zum Guten des Menschen. Aber wir sollten uns bewußt machen, was in der Vergangenheit falsch gemacht wurde in der Beziehung Fortschritt - Umwelt: teilweise bewußt als Fehlentscheidung von Politikern, die oft ganz andere Hintergründe hatten als vorgegeben, oder auch unbewußt, weil man es vom Stand der Wissenschaft aus noch nicht besser wußte. So wissen wir heute alle, einschließlich der in der Verantwortung stehenden Politiker, daß die Entscheidung für den Bau des Großflughafens Schönefeld falsch ist. Ich will an dieser Stelle jetzt nicht in die aktuelle Diskussion von Für und Wider eingreifen. Mein Anliegen ist ein anderes, nämlich den Menschen heute und hier in Müggelheim anhand des „kleinen Märchens“ zu vermitteln, was es noch vor geschichtlich kurzer Zeit alles gab, was unwiderruflich verloren ist, was unsere heutige Jugend und die Generationen danach, nie mehr erleben kann (nur noch als Fremderleben über die Medien). Und das das, was noch an Natur und einem lebenswerten Miteinander - Mensch und Natur - vorhanden ist (wir Menschen sind ein Teil dieser Natur), durch diesen Flughafen unwiderruflich zerstört wird. Dauerlärmbelastung über 24 Stunden (Tag und Nacht), sowie hunderttausende Tonnen von Abgasprodukten und Treibstoffablassungen der etwa 350 000 jährlichen Flugbewegungen über unseren Köpfen zerstören diese grüne Lunge der Hauptstadt Berlin. Etwa 160 000 Dauerbewohner sind davon betroffen. Zusätzlich Millionen Erholungssuchende, die dann dieses Einzugsgebiet zum Teil meiden werden - was wiederum Arbeitsplatzverluste in der Ausflugsbranche zur Folge hätte. Wir alle, denke ich, stimmen darin überein, daß eine moderne Technik gebraucht wird, wir alle wollen auch mit dem Flugzeug verreisen. Nur muß doch diese moderne Technik nicht seinen Standort in einer dichtbevölkerten Stadtrandlandschaft haben, die zudem noch die wichtigste Erholungsfunktion zu erfüllen hat. Wenn es keine Alternative gäbe, müßte man wohl diesem „Fortschritt” so zustimmen. Aber es gibt welche, in Gebieten, wo kaum Menschen betroffen wären, wo nicht eine so vielfältige Natur zerstört würde und wo man beispielsweise mittels Transrapid die Hauptstadt mit dem Flughafen verbinden könnte. Es gibt Dutzende Beispiele auf der Welt, wo Flughäfen außerhalb der Ballungsräume liegen. Keiner der Politiker, keiner der Verantwortlichen wird zukünftig freiwillig im Einzugsbereich des Flughafens leben, als Vorbild für uns. Keiner dieser Leute gibt uns einen Ausgleich für unsere Grundstücksentwertungen, geschweige für die nachweislichen Gesundheitsschäden der Betroffenen (psychisch und organisch) der jetzigen und der nachfolgenden Generation. Wer gibt eigentlich diesen Verantwortlichen das Recht, einem Teil der Bevölkerung so viel Nachteiliges zuzumuten und dann zu versuchen ihnen einzureden, das der Gang zu diesem „Schafott“ leichter wird, wenn man dazu nur die richtige Einstellung entwickelt. Abschließend kann ich nur jeden einzelnen betroffenen Bürger bitten, sich diese Zukunft genau vorzustellen: Häuser kann man noch abdichten, Gärten, Straßen, Plätze, Wälder und Gewässer aber nicht. Jeder einzelne Bürger sollte von den Rechtsmitteln die der Gesetzgeber einräumt, nach der öffentlichen Auslegung der Unterlagen zum Flughafenbau Gebrauch zu machen. Wir wollen keine ständigen zivilen Angriffe aus der Luft in Form von Lärm, Abgas- und Treibstoffablassungen rund um die Uhr! Peter Augustinski

Lesen Sie zu diesem Artikel auch den Leserbrief aus Ausgabe 09/99.

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