Müggelheimer Bote
14. Jahrgang, Ausgabe 3/2008
März 2008
Müggelheimer Bote

Inhalt
Angergehöft von Verfall bedroht
Mit der Kamera auf du und du
Grundschule bleibt eigenständig
Auch Erstklässler können schon Erfinder sein
Anhörung zum "Nachtflug" vermutlich ab 14. April
Schöne bunte Ostereier
Ehrenamtliche Arbeit stärker gefragt denn je
Alte Fotos und Dokumente gesucht
Ein verlorenes Paradies
Weitere Meldungen
Karikatur
Gedanken aus Müggelheim
Aus der BVV
Neues aus Treptow-Köpenick
Kleinanzeigen
Heimatverein
Kirche
Serie für den Natur- und Gartenfreund
Geschichten aus dem Müggelwald
Archiv
Müggelheim im Internet
Impressum
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Müggelheimer Bote





Realisation:
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Ein verlorenes Paradies

von Fritz Eckstein

Mit großer Aufmerksamkeit habe ich den Müggelheimer Boten seit 1994 von der ersten bis zur letzten Zeile gelesen. Da in einer der Ausgaben auch dazu aufgerufen wurde, Anekdoten und Histörchen beizutragen, möchte ich einfach ein paar kleine Geschichten aus meiner Jugend in Müggelheim erzählen.

Nach dem Ersten Weltkrieg 1919 erwarb mein Vater das Grundstück Meisenheimer Straße 1. Zu dieser Zeit gab es von der Meisenheimer Straße bis hin zum Wald nur dürftiges Ackerland auf Flugsand. Als Frontsoldat des Ersten Weltkreigs hatte mein Vater in Müggelheim eine Oase erkannt und mit Gleichgesinnten den ersten Siedlerverein gegründet. Auf billigstem Grund und Boden entstanden die ersten Häuser. In der Staudernheimer Straße bauten ehemalige Soldaten aus Munitionskisten, die mit Erde gefüllt waren, ihre Unterkünfte. Am Ende der Meisenheimer Straße gab es, so lange ich mich erinnern kann, das Restaurant „Zur Erdhöhle”.

Aber nun zu mir: 1931 wurde ich eingeschult. Die Dorfschule bestand aus einem Gebäude mit einem einzigen Klassenzimmer und der angrenzenden Lehrerwohnung. Alle acht Schuljahrgänge wurden in diesem einen Raum unterrichtet. Lehrer „Ati” Richter hat es sehr gut gemacht und auch seine Frau hat sich als Lehrersfrau voll eingesetzt - und alles ohne Gehalt. Das gibt es heute nicht mehr. Wir wurden als Kinder liebevoll behandelt und es sind aus dieser kleinen Dorfschule überaus tüchtige Menschen hervorgegangen.

In einem kleinen Dorf wie Müggelheim spielte natürlich die Feuerwehr eine sehr wichtige Rolle. So war jeder Müggelheimer Bürger, sofern er nicht ohnehin aktiv dabei war, förderndes Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr - sofern er es sich leisten konnte. Unvergessen ist für mich dabei der Maurermeister Schulz. Klein und füllig hatte er alles absolut im Griff. Politik war für ihn stets sekundär. Für alles hatte er eine Superformel: Er dankte den jeweiligen Machthabern mit einem einzigen Satz und ging dann sofort zum vorbeugenden Brandschutz über.

Ein Ereignis waren für uns Kinder die Weihnachtsfeiern der Freiwilligen Feuerwehr im Gasthaus Kellermann. Einmal kam sogar der Landwirt Genzler mit seinem Pferd in den Saal geritten.

Ein besonderes Erlebnis waren die Dampferfahrten, an denen fast das ganze Dorf teilnahm - mit der Kapelle Dressler aus Teupitz. Abends wurden alle von den „Daheimgebliebenen” am Sportshaus zu Großen Krampe bei Troppens abgeholt. So hat doch die Feuerwehr, in der ich schon aus Tradition zahlendes Mitglied war, in unserem kleinen Ort eine bedeutsame Funktion gehabt.

Kein Fest haben wir, meine Frau und ich, in den Jahren 1948 bis 1956 ausgelassen. Und stets hat uns Bernie Schulz bei den Maskenbällen im Restaurant Krampenmühle noch zu einem Platz verholfen. Diese schönen Stunden werden wir nie vergessen. Genauso wenig wie die Feste in „Neu-Helgoland”, wo wir zu Fuß hingelaufen sind - die Tanzschuhe meiner Frau im Beutel mit anschließendem „Reifenwechsel”.

Wie aber war Müggelheim?

Meine erste Erinnerung geht zurück auf das Jahr 1929. Ich war noch sehr klein, habe aber noch gewaltige Schneemassen in meinen Vorstellungen.

Eigentlich kam jedes echte Müggelheimer Kind mit einem Fahrrad zur Welt. Es war einfach unmöglich kein Fahrrad zu haben. Dabei ergaben sich die abenteuerlichsten Konstruktionen und jeder wollte den anderen übertreffen. So wurden Dinger gedreht, von denen unsere Eltern niemals etwas erfahren haben.

So bin ich beispielsweise damals als Halbstarker auf einem 24”-Fahrrad ohne Schutzbleche und Bremsen mit meinem Freund Günter Reisenberg auf dem Lenker sitzend, den „Pionierweg” von der Bismarckwarte in einem Affenzahn runtergedüst - durch die Balkenabsperrung hindurch auf den Müggelheimer Damm. Wir kamen unversehrt unten an.

Auch Wasserdurchfahrten mit dem Fahrrad gehörten zu unserem Programm. Die Badestelle an der Krampe war damals noch völlig frei. Bestens geeignet für ein Trainingsprogramm für Kaltwasser-Experten. Mit Anlauf zur Badestelle und jedes Mal ein bisschen tiefer. Bis mein Freund sich überschlug und unter dem Wasser verschwand. Er tauchte aber wieder auf - sein Fahrrad fest in der Hand.

Die große Rodelbahn war mir von meinem Vater streng verboten worden, weil er vor dem Krieg zwei schwer verletzte Kinder von dort ins Köpenicker Krankenhaus gebracht hatte. Trotzdem habe ich mit meinen Kumpels per Fahrrad alle Möglichkeiten dort erkundet. Jahre später war ich Zeuge eines schrecklichen Unfalls, als ich mit meinem damals noch kleinen Bruder Werner zweimal die große Rodelbahn durchfahren bin - danach war der Schlitten hin.

Damals versuchte sich ein kleines Mädchen von der Seite in die Rodelbahn einzuschleusen, wurde voll in die Seite getroffen und blieb bewusstlos liegen. Danach wurden in den Müggelbergen noch weitere Rodelbahnen seitens der DDR-Regierung angelegt und alle durch Funktelefon überwacht. Zu Unfällen ist es danach nicht mehr gekomen.

Auch die Krumme Lake gehörte, unvergessen, zu unserem Abenteuerprogramm. Dichte Kuscheln grenzten das gesamte Naturschutzgebiet ein und boten uns Jungs unbegrenzte Möglichkeiten. So haben wir uns eine Höhle gebaut und Streifzüge unternommen.

Mitte der 30er-Jahre wurde seitens der Stadt Berlin ein Projekt durchgesetzt: Ab Forsthaus Köpenick wurde eine breite Schneise von damals französischen Kriegsgefangenen angelegt. Zuvor wurde erstmals von den Vermessungsbehörden die alte Tante „Ju 52” zur Luftvermessung eingesetzt. Mit der Schneise sollte eine Zubringerverbindung zum ebenfalls geplanten Außenring der Autobahn geschaffen werden. Gleichzeitig setzte in Müggelheim eine rege Bautätigkeit ein. Mit der nahezu unbegrenzten Freiheit mit Wald, Wasser und Rumgetobe an der Badestelle war es nun vorbei.

Es gibt kaum noch Müggelheimer, die das alles erlebt haben. So kann ich denn als 83jähriger Mann nur mit meiner Erinnerung an mein verlorenes Paradies leben.


Anmerkung der Redaktion: Fritz Eckstein lebt inzwischen in Heiligenhafen in Schleswig-Holstein und bezieht dort den Müggelheimer Boten.