Müggelheimer Bote
9. Jahrgang, Ausgabe 10/2002
Oktober 2002

Inhalt
Sanierung des Müggelturm-Areals stagniert
Die schönsten Vorgärten wurden ausgezeichnet
Im Flutgebiet vor Ort
Zaunklau auf Werkstein-Areal
Von der Dorfapotheke zum Vorzeigeobjekt
Müggelheim hat anders gewählt
Parforce-Jagd im Zeichen des Wahlkampfes
Rückblick auf das Lokale-Agenda-Fest
Keine private Nutzung von öffentlichen Straßen
Schönefeld: Gesprächspartner unterzeichnen Absichtserklärung
Rettet die Kastanien
Weitere Meldungen
Gedanken aus Müggelheim
Nachrichten aus Gosen
Leserbriefe
Kleinanzeigen
Serie für den Natur- und Gartenfreund
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Müggelheimer Bote
 

„Das Schlimmste ist, dass es keine Erinnerungen mehr gibt”

Im Flutgebiet vor Ort - Eine Aktion des Umweltkreises Mügglheim

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Etwas Gutes zu tun für die Opfer der Flut war uns ein Bedürfnis. Aber wie?

Am 20. August zu unserer Umweltkreissitzung besprachen wir die weitere Vorgehensweise. Wir wollten vor Ort helfen. Wir wollten uns eine betroffene Familie suchen, um ihr persönlich unserer Spenden zu übergeben. Sach- und Geldspenden sollten ins Flutgebiet gebracht werden. Leichter gesagt als getan. Im Vorfeld bemühten wir uns um Adressen von Flutopfern. Es war schwer. Das Landratsamt und die Kirche in Grimma hatten ihre Schwierigkeiten uns Betroffene zu nennen, weil, man höre und staune, der Datenschutz nicht außer Acht gelassen werden dürfe. Wir forschten nicht weiter nach und beschlossen einfach loszufahren und irgendwo im Feuchtgebiet anzukommen.

Ingrid Zweiniger (Mitte) im Kreis der Familie von der knapp 70-jährigen Susanna (2. v. re.) vor dem Haus in Königstein. Foto: Zweiniger

Acht Kisten Garderobe für Jung und Alt, drei Säcke Wäsche, ein Sack Spielsachen und 570 Euro Bargeld (von den Mitgliedern des Umweltkreises und drei Müggelheimer Bürgern) machen sich am 11. September 2002 auf den Weg. Das Auto war so voll beladen, dass wir Mühe hatten, bequem darin zu sitzen.

Unsere Fahrt ging in Richtung Dresden, von dort nach Pirna. Das Gebiet der Müglitz war polizeilich gesperrt. Wir hatten keine Chance in dieses Krisengebiet zu kommen. Also weiter in Richtung Bad Schandau. In Königstein konnten wir dann das erste Mal sehen, was das Wasser in der Innenstadt angerichtet hatte. In den Häusern war bis zur ersten Etage alles zerstört, regelrecht abgesoffen. Grausam!

Eine Frau die wir ansprachen, brachte uns ins Königsteiner Rathaus. Dort hofften wir die Adresse einer betroffenen Familie zu bekommen. Vor Ort tragen wir einer Mitarbeiterin unser Anliegen vor. Wir sagten, dass wir Sachspenden und 570 Euro hätten.

Und jetzt O-Ton der Königsteiner Rathaus-Mitarbeiterin: „Das Geld können sie hierlassen. Auf die Sachspenden legen wir keinen Wert. Außerdem können wir Ihnen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Adresse geben.”

Wir waren so geschockt, dass wir wie versteinert im Büro standen. Daraufhin verließ die Mitarbeiterin den Raum. Nach ein paar Minuten kam sie zurück und sagte: „Der Bürgermeister sagt, sie sollen zum Pfarrer gehen, der ist auch betroffen.”

Das wars.

Wie im Mittelalter: durch die Flut frei gelegtes Mauerwerk von Johannas Wohnhaus Foto: Zweiniger

Auf dem Weg zur Kirche begegneten wir einem alten Mann, den wir ansprachen und unser Anliegen erzählten. „Kommen Sie mit, meine Frau wird sich um Sie kümmern. Wir kennen viele Betroffene.” Die Frau telefonierte und nach wenigen Minuten hatten wir eine Adresse in Königstein Richtung Bad Schandau. Wir fuhren mit unserem voll beladenen Auto los und fanden das Haus, vor dem eine ältere Frau stand, die uns weinend in die Arme nahm.

Susanna, knapp 70 Jahre alt, lebt zurzeit bei ihren Kindern in Königstein. Sie hatte ihr Zuhause in Bad Schandau. Eine Wohnung in einem Neubaublock, einige hundert Meter von der Elbe entfernt.

In dieser Wohnung hatte sie mit ihrem Mann, der vor ein paar Jahren verstorben ist, ihre vier Kinder groß gezogen. Hier hatte sie alles, was sie in ihrem Leben an Erinnerungen zusammen getragen hat, was sie liebte und woran sie ihre Freude hatte. „Das Schlimmste ist für mich”, so sagt sie, „dass es keine Erinnerungen mehr gibt. Fotos, Bücher, alles woran mein Herz hing ist im Wasser untergegangen. Möbel kann man vielleicht ersetzen, obwohl das in meinem Alter sehr schwer ist, aber die anderen Dinge. . .”. Und dann drehte sie sich um und weinte.

In der kleinen Wohnung des einen Sohnes in einem Wohnhaus bei Königstein ist sie nun untergekommen bis sie wieder in ihre Wohnung zurückkehren kann. Und das wird dauern. Dann nachdem wir unser Auto leer geräumt, die Sachen und das Geld übergeben hatten, fuhren wir mit Susanna nach Bad Schandau.

Ein Spaziergang über mehrere Stunden ließ uns das ganze Ausmaß der Verwüstung erleben.

An der Elbpromenade gibt es kein Hotel, kein Haus, welches nicht bis zur ersten Etage unter Wasser stand. Auch die Innenstadt bot das gleiche Bild. Die Straßen sind sauber, auf ihnen ist das Ausmaß der Katastrophe nicht mehr zu erkennen. Aber die Häuser zeigen mit einem gelben Streifen, wie weit die Elbe gestiegen war. Verwüstungen, die sich schwer beschreiben lassen. Und hinter jeder Verwüstung ein menschliches Schicksal. In der Wohnung von Susanna sieht es aus, wie nach einem Bombenangriff. Auch ihre Tochter mit zwei Kindern hat das gleiche Schicksal ereilt. Sie wohnte im Nebenhaus und lebt nun auch in Königstein bei den Geschwistern.

Unsere Sach- und Geldspende ist in gute Hände gekommen. Denn Susanna besitzt so viel menschliche Wärme, dass sie uns sagte: „Wenn die Sachen, die ihr mitgebracht habt, hier nicht gebraucht werden, dann bringen wir sie nach Tschechien. Dort ist das Elend genauso groß.”

In ihrer Wohnung zeigte sie mir noch, mit großer Wehmut in der Stimme, eine Leiste an der Wand. „Dort war mal ein Regal angebracht. Ich habe Katzen gesammelt, die sind nun auch alle untergegangen.”

Ungefähr 40 Jahre lebt Susanna in Bad Schandau. Man kennt sich und nimmt Anteil am Schicksal des anderen. Wir kamen an einem Wohnhaus vorbei. Aus dem Fenster im ersten Stock eines überfluteten Wohnhauses schaute ein Mann. Er sah sehr traurig aus. Susanna wechselte ein paar Worte mit ihm. Hinterher erfuhren wir, dass der junge Mann, 35 Jahre alt, Krebs hat.

Meine Empfindungen an diesem Tag und zu dieser Stunde kann ich auch heute schwer in Worte fassen. Menschliche Schicksale, hautnah erlebt, hinterlassen ihre Spuren.

Es war ein schwerer Tag, voller Trauer aber auch Freude. Wir hatten versucht, dieser betroffenen Familie einen kleinen Tropfen Glück zu bringen und wir wollten zeigen, dass es Solidarität gibt und das diese Solidarität auch gelebt wird. Ingrid Zweiniger

Spendenaktion gut angelaufen

Allen Müggelheimern, die sich an der Spendenaktion „Flut 2002” beteiligt haben, möchten wir auf diesem Weg danken. Bisher wurden etwa 1500,- EUR gespendet und die Aktion geht weiter. Wie wir schon im Müggelheimer Boten berichtet haben, wird das Geld einem Kindergarten in Pratau bei Wittenberge übergeben. Die erste Übergabe soll am 16. Oktober stattfinden und wir würden uns freuen, wenn wir mindestens 2000,-EUR übergeben können.

Also Müggelheimer denkt daran die Kinder sind unsere Zukunft. Macht mit bei der Spendenaktion. Schreiben Sie deutlich Ihren Namen und Adresse auf den Überweisungsschein, damit wir Ihnen eine Spendenbescheinigung ausschreiben können. Und immer Stichwort „Flut 2002” hinzufügen. Konto:1613030203, BLZ 10050000 Müggelheimer Heimatverein. Gö.