Müggelheimer Bote
10. Jahrgang, Ausgabe 12/2003
Dezember 2003
Müggelheimer Bote

Inhalt
Schneller zum S-Bahnhof Köpenick
Förderverein treibt Pläne für Ev. Gymnasium voran
Feueralarm in der Schule
Silvester - Bräuche und Historie
Weihnachtsmarkt lockte bei strahlendem Sonnenschein
Sportlergrößen: Karate-Meister Michael Bock
Landrat im "Lieblingskreis" des Kaisers
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Landrat im „Lieblingskreis“ des Kaisers

Vor 150 Jahren wurde Ernst von Stubenrauch geboren, der Erbauer des Teltowkanals und der „Schutzengel“ des Strandbades Wannsee

von Lars Franke

Die Entscheidung war ausgesprochen heikel. Wer sollte erster Mann im Teltow-Kreis werden? Man schrieb das Jahr 1885 und eben dieser Kreis galt als so etwas wie das „Lieblingskind“ des deutschen Kaisers Wilhelm I. An dieser „Favoriten“-Stellung sollte sich auch unter dessen Nachfolger, dem zweiten Hohenzollern-Wilhelm, nichts ändern. Im Teltow lebten im ausgehenden 19. Jahrhundert 170.000 Menschen. Neben dem heutigen Gebiet gehörte fast der gesamte Süden des heutigen Berlin dazu. Sogar Schloss Charlottenburg, inzwischen beste City-Lage der Bundeshauptstadt, war damals „Provinz“.

Benagt vom Zahn der Zeit - das Wissmann-Denkmal in Teltow

Den bisherigen Landrat hatte Majestät zum Regierungspräsidenten im niederschlesischen Liegnitz gemacht und nun musste die Stelle neu besetzt werden . Die „besten Karten“ hatte Amtsdirektor von Oppen, bis dato Verwaltungschef von Adlershof. Hinter seiner Kandidatur stand ein Großteil der Adels. Und so war es schon eine Überraschung, als der für Verwaltungsfragen zuständige Minister von Puttkamer den Namen eines Außenseiters verkündete. Der erst 32-jährige Ernst Stubenrauch sollte ab sofort den Kreis übernehmen. Vorerst kommissarisch, dann wolle man weiter sehen.

Nun waren 32 Jahre in den Augen des alteingesessenen Adels ohne keine besondere Empfehlung, doch dass der Verwaltungschef ein „Bürgerlicher“ war, stieß auf Widerstand. Dabei hatte dieser Stubenrauch eine „Bilderbuch-Karriere“ hinter sich. Der Sohn eines Anwaltes, geboren am 19. Juli 1853 im schlesischen Sagan, wuchs in Berlin auf. Er besuchte das Friedrichwerdersche Gymnasium. Als Kriegsfreiwilliger erlebte Stubenrauch 1871 die Belagerung von Paris. Nach dem deutsch-französischem Krieg begann der begabte junge Mann das Studium der Rechte, beschäftigte sich mit Verwaltungswissenschaft und Volkswirtschaft. Dann das Referendarexamen. Er arbeitete in den Folgejahren an verschiedenen Gerichten, darunter im ostbrandenburgischen Altlandsberg. Und er steigt Schritt um Schritt die preußisch-brandenburgische Karierreleiter hinaus. Das Jahr 1883 sieht ihn als Verwalter der Potsdamer Polizeidirektion, 1885 wird er also kommissarischer Landrat. Im Herbst muss sich Stubenrauch auf Schloss Babelsberg bei seinem Landesherrn melden. Dort überreicht ihm der greise Monarch persönlich die Berufungsurkunde.

Fragt heute jemand nach Stubenrauchs Verdiensten, so steht unbestritten an erster Stelle der Teltow-Kanal. Doch die ersten acht Jahre befasste sich der Landrat vor allem mit dem Straßenbau. Um 284 Kilometer wuchs unter seiner Amtszeit das Straßennetz. Es war sein Verdienst, dass nach der Jahrhundertwende die Zölle für die Chausseen wegfielen. Auch um öffentliche Krankenhäuser hat sich Ernst Stubenrauch gekümmert - in Zossen und Trebbin, in Lichterfelde, Mittenwalde. Auch das Oberlinhaus in Potsdam-Babelsberg geht auf ihn zurück. Das alles wäre wenige Jahre zuvor nicht denkbar gewesen. Doch jetzt machte in Berlin der „Eiserne Kanzlers“ Otto von Bismarck Politik. Unter dessen Regierung wurden zwar die gewiss recht undemokratischen „Sozialisten-Gesetze“ eingebracht, doch gleichzeitig entstand im Deutschen Reich ein für die damalige Zeit weltweit einzigartiges Sozial- und Gesundheitswesen.

Zurück zum Teltow-Kanal. Der knapp 38 Kilometer lange Wasserweg zwischen Havel und Spree ist eine bewundernswerte ingenieur-technische Leistung. Und auch die wirtschaftliche Bedeutung war immens. Es gab kaum einen Ort links und rechts der Ufer, der nicht davon profitierte. Trotzdem – Stubenrauch ging die Ansiedlung von Gewerbe und das Frachtaufkommen viel zu langsam. Und möglicherweise wäre der Landrat noch unzufriedener, hätte er miterleben müssen, dass heute kaum noch Transportschiffe die Häfen anlaufen, sondern fast nur noch Freizeitkapitäne mit ihren Motorbooten festmachen. Wie dem auch sei: Zwischen 1900 und 1906 bot der Kanalbau vielen Menschen Beschäftigung und auch später fanden nicht wenige bei der Unterhaltung des Kanals einen Arbeitsplatz. An den Schleusen oder in der Hafenwirtschaft, beim Treideln oder in Ausrüstungs- und Versorgungs-Unternehmen für die Binnenschifffahrt.

Aufhorchen ließ das wilhelminische Deutschland die Finanzierung.. Allein aus eigener Kraft des Kreises wurden 50 Millionen Reichsmark für den Bau aufgebracht. Kein einziger Pfennig an „Fördermitteln“ soll vom Land Preußen oder vom Deutschen Reich gekommen sein!

Der Name Stubenrauch steht aber auch für Neuerungen und ungewöhnliche Wege im Verwaltungsapparat. Erstmals stellte der Landrat die Kreis-Statistiken bewußt in den Dienst der Kommunalpolitik. Es war eine kleine Sensation, als 1887 ein Wälzer von gut 500 Seiten veröffentlicht wurde.

Doch voller Ecken und Kanten muss dieser Stubenrauch gewesen sein, kein einfacher Zeitgenosse und als Chef nicht unproblematisch. Was er nämlich von sich selbst abverlangte, das erwartete er auch von seinen Untergebenen. Vor allem forderte er absolute Disziplin und unbedingte Einsatzbereitschaft. Das konnte im Extremfall bedeuten, dass bei Bedarf der Feierabend ausfiel. Urlaub, so wird jedenfalls berichtet, habe man in der Regel nur bei Krankheiten einreichen können. Möglicherweise ist das aber nur eine der vielen Legenden um das „Arbeitstier“ Stubenrauch. Jedenfalls soll er in seine heimischen „vier Wände“ immer ausreichend Arbeit mitgebracht haben. Das Heimatmuseum in Teltow hat eine Menge Wissenswertes über Stubenrauch und seine Projekte zusammengetragen.

Seit 1891 lebte Ernst Stubenrauch im benachbarten Genshagen. Es war das Familien-Schloss seiner Ehefrau Frieda, einer geborenen Freiin von Eberstein. Stubenrauchs Oberster Dienstherr – seit 1888 Wilhelm II. - wußte seinen Landrat zu schätzen. Am 1. Januar 1900 wurde Stubenrauch in den erblichen Adelsstand erhoben.. Ernst von Stubenrauch hatte Majestät schon zuvor seine Ergebenheit demonstriert, war er doch einer der „geistigen Väter“ des Grunewald-Turmes. Errichtet anläßlich des 100. Geburtstages von Kaiser Wilhelm, sollte das Bauwerk weithin sichtbar an die Verdienste des Hauses Hohenzollern erinnern! Eine andere, eine eher kultur-historische, Leistung traut man Stubenrauch gar nicht zu, diesem Musterbild eines preußischen Beamten. Als Landrat ließ er das erste Schwimmbad am Wannsee zu. Der Kampf gegen konservative Widersacher soll noch kräftezehrender gewesen sein als das Durchboxen des Teltow-Kanals. Vor allem die Polizisten seien „sauer“ gewesen. Mussten bislang die Gendarmen mit aller Schärfe des Gesetzes gegen Badende vorgehen, so hatten sie jetzt die Wassersport-Freunde zu schützen. 1908 wird Stubenrauch Polizeipräsident von Berlin. Nach mehr als 23 Jahren Amtszeit notierte er beim Abschied: „Der größte Erfolg ist für mich der, daß die wechselseitige Anerkennung redlicher Arbeit zwischen meinen Teltower Landsleuten und mir ein Band geknüpft hat, das durch keinen Abschied zerrissen werden kann. Jedem meiner lieben Landleute drücke ich bewegten Herzens in Gedanken die Hand.“ Überaus pathetische Worte, die zwar typisch für Zeit sind, doch dem Wesen Stubenrauchs eher widersprachen. Viel Zeit als Berliner Polizeichef blieb ihm nicht. Dabei wurde er hinter den Kulissen schon als preußischer Innenminister „gehandelt“. Im Herbst 1908 entdeckten die Ärzte bei ihm eine Kehlkopfkrebs-Erkrankung. Eine Notoperation war ebenso erfolglos wie alle Therapien. Am 4. September 1909 starb Ernst von Stubenrauch bei einer Kur im Harz-Ort Schierke. Die Trauerfeier fand vier Tage später in Berlin statt. Alles, was zu dieser Zeit in der Reichshauptstadt Rang und Namen hatte, war in die Garnisonkirche in der Neuen Friedrichstraße gekommen. Selbst das Kaiserpaar gab Stubenrauch das letzte Geleit. Und wer im Inneren des Gotteshaus keinen Platz gefunden hatte, wartete draußen. Dicht an dicht habe die Bevölkerung an den Strassenrändern gestanden, als der Wagen mit dem Sarg nach Genshagen fuhr, berichtete die Presse. Auf dem Friedhof gegenüber vom Schloss hat Stubenrauch seine letzte Ruhestätte gefunden. Das Grab hätte gewiß mehr Pflege verdient. Von Jahr zu Jahr macht es mehr Mühe, die Inschrift auf den Stein zu entziffern. Und auch am Stubenrauch-Denkmal in der Stadt Teltow hat der „Zahn der Zeit“ genagt. Seit einiger Zeit steht es wieder am alten Marktplatz. In Berlin tragen noch zwei Brücken und sechs Strassen den Namen Stubenrauch. Auch in Potsdam-Babelsberg erinnert eine Strasse an den ungewöhnlichen Landrat, den Kanalbauer und Freibad-Förderer.