Müggelheimer Bote
15. Jahrgang, Ausgabe 8/2009
August 2009
Müggelheimer Bote

Inhalt
Mit der Hitze kommt der Müll
Büsche und Poller verboten
Bekommt Müggelheim eine Fluglärmmessstelle?
Eine Stadt in Berlin wird 800
Nachruf auf Ingeborg Hunziger
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Gedanken aus Müggelheim
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Neues aus Treptow-Köpenick
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Nachruf auf Ingeborg Hunziger

Seit mehr als 50 Jahren war die Bildhauerin Ingeborg Hunzinger in Köpenick zu Hause. Sie liebte ihr schönes, damals mit ihrem Mann noch selbst hergerichtetes Reich; das Jugendstilhaus, dort – mit dem Atelierraum, der in einer besonderen Mischung aus Opernsaal und purer Werkstatt einen Charme in sich vereinte, der offensichtlich ebenso anregend wie poetisch wirkte, nicht nur auf die Künstlerin selbst, sondern auch auf die vielen Gäste, Besucher und Freunde. Dazu der Arbeitsgarten: Bäume, Sträucher, Blumen, Kräuter und Gräser, dazwischen ihre Skulpturen.

Lange schon übrigens ist dieser Ort in Rahnsdorf zur Legende geworden: In allererster Linie natürlich, weil dort die Kunst von Ingeborg Hunzinger weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannt und geschätzt wird. Dort entstanden sie und von dort traten sie die Reise an, an die vielen Orte baugebundener Kunst: als die sandsteinerne „Sphinx” am Berliner Dom, das Luxemburgrelief am Mehringplatz, die „Erde” … wir wissen das.

Eines ihrer wichtigsten Werke ist ohne Zweifel der „Block der Frauen” in der Rosenstraße, das so eindringlich erinnert an jenen Protest, an den Widerstand der Frauen, die 1943 gegen die Verhaftung ihrer jüdischen Männer gegen Goebbels Befehl demonstrierten und tatsächlich, wie ein Wunder, damit Erfolg hatten; ein Mahnmal, das berührt weil es mit seiner Kunst an unsere Sinne appelliert. So lange hatte sie an diesem großen steinernen Bild gearbeitet, als wollte sie uns die Botschaft für immer in die Seelen schreiben - Zivilcourage, Wachheit und Ermunterung zum Mut, die eigene Position zu wahren.

Genau das waren nämlich ihre Tugenden, und dazu nutzte sie ihr Talent, ihren Fleiß und eben jenes feingeistige Gefühl, den eigenen Möglichkeiten, die jeder hat, zu trauen; im großen Welttheater mitzusprechen, gleich an welche Grenzen Du auch stößt, welche Diktatur auch immer dich klein machen will.

Kunst- und Lebensauffassung waren bei Ingeborg Hunzinger eins; nicht prinzipiell oder pauschal und schon gar nicht auf einer wie auch immer gearteter Linie. Ein Hohelied auf den Eigensinn, der sie als ehemalige Mitstreiterin von Käthe Kollwitz in den 30-er Jahren, in ihrer Kunst zu jener Symbolik führte, die sich zuforderst einem politischen und sozialen Inhalt verschrieben hatte. Aber es ist auch der Humor, die Lebenskunst, die Freude am Spiel, die Häme auf die Eitelkeit der Mächtigen, die für sie zum „Jungbrunnen” geriet. Wie konnte sie so lebhaft erzählen, und wie schön war ihr Gesicht dabei anzusehen – bis ins hohe Alter hinein – so erfüllt und so in schöpferischer Unruhe und schon mit dem Nächsten beschäftigt – in aller Freude am kreativen Tun – ungeachtet der tagtäglichen Schinderei, die sie gern auf sich nahm.

Der legendäre Ort in Rahnsdorf, das ist er darüber hinaus auch deshalb, weil dort Zeitgeschichte, Kulturgeschichte geschrieben wurde. In den 50-er Jahren des letzten Jahrhunderts konnte sich dort eine Art Freiraum für freiheitliche sozialistische Gedanken etablieren. Havemann, mit dem sie befreundet war, kam dort hin, der Kreis um ihn ebenfalls. Durchdiskutierte Nächte, wohl beobachtet. In den 60-ern – Rudi Dutschke, Fritz Teufel, Rainer Langhans. Ingeborg Hunzinger war wegen ihrer Biografie als Jüdin und Kommunistin in der DDR natürlich auch etwas geschützt. Das wusste sie und das nutzte sie.

Später brüskierte sie das System übrigens mit ihrer Entscheidung, den Vaterländischen Verdienstorden und den Nationalpreis schlichtweg abzulehnen. Diese Auszeichnungen anzunehmen hätte weniger „Wellen gemacht”…

Ein trickreiches Kalkül, dass zum Einen entwaffnet, zum Anderen Mut machte. Es gibt so wenig Menschen von diesem Format. Ihre absolut linke Gesinnung war ihr Herzenssache. Und solche ernsthaften Humanisten wie Ingeborg Hunzinger, sind zu allen Zeiten unbequeme Zeitgenossen. Auch darauf legte sie wert. Die bewegte und bewegende Biografie: eine geborene Franck, die Enkelin Julia Franck, die sie sehr schätzte ist Schriftstellerin. Die Eltern: Mutter Jüdin, Vater „arisch”. Als Jugendliche wird sie Jungkommunistin, „Geburtsfehler“, wie sie so schön sagte…

Deshalb natürlich hatte sie in jener Zeit große Schwierigkeiten: 1935 – 1938 Studium an der Hochschule Charlottenburg. Der Abschluss wurde ihr verwehrt. Geht auf eigene Faust nach Italien, verliebt sich in Michelangelo, kehrt 1942 nach Deutschland zurück. Dort erwartet sie striktes Arbeitsverbot. Heirat, zwei Kinder, der Ehemann fällt im Krieg. Der 2. Ehemann, Spanienkämpfer – tragischer Unfall; schwierige persönliche Verhältnisse. Die Kunst ist ihre Verbündete. Nach 1945 bekommt sie die Möglichkeit an der Kunsthochschule Weißensee zu lehren. Anfang der 50-er wird sie Meisterschülerin von Fritz Cremer und Gustav Seitz an der Akademie der Künste.

Bis kurz vor ihrem Tod arbeitete sie – so gut es noch ging, mit äußerster Hingabe an ihrer Rosa-Luxemburg-Skulptur. Sie konnte nicht anders.

Wir sind in großer Dankbarkeit um diese Nachbarschaft und in der Gewissheit, dass das große Werk von Ingeborg Hunziger bleiben und noch weitere Generationen berühren wird. Petra Hornung