Gedanken aus Müggelheim
von Siegfried Menthel
„Unsere Kirche hat Geburtstag“. Diese Formulierung
gefällt mir. Sie klingt so freundlich, so menschlich. Sie spricht
mein Herz an.
Das Herz weiß mehr als der Verstand, der mir sagt, dass die
Kirche nicht Geburtstag haben kann, weil sie nicht geboren worden
ist. Sie wurde für die Menschen gebaut, die vor 200 Jahren
hier lebten. Die Nachfolgenden haben daran weiter gebaut, haben
ihre Kirche erhalten, verschönert, damit die Menschen, die
sie besuchen, zur Ruhe kommen können. Zur Sammlung. Zur stillen
Zwiesprache mit Gott. Aber nicht nur das. Gleichzeitig ist die Kirche
ein öffentlicher Ort, wo laut für den Frieden gebetet
und die Botschaft verkündet wird, dass wir geliebter sind,
als wir wissen.
Die Spannung ist gelegentlich schwer zu ertragen: zwischen dieser
Botschaft, die aufs Ganze geht, die die ganze Welt meint, alle Menschen,
unser ganzes Leben - und den wenigen Menschen, die kommen, um sich
davon beschenken und aufrichten zu lassen.
Sind die Gottesdienste langweilig, ohne Bezug zur Wirklichkeit und
darum entbehrlich?
Für mich ist das Gegenteil wahr. Ich könnte nicht leben,
ohne Gott für mein Leben zu danken.
Ich könnte nicht Christ sein, ohne die Gewissheit, dass Gott
aus den Fragmenten, die ich nur anzubieten habe, etwas Ganzes macht.
Ich weiß, dass mir das nicht allein geschenkt wird, sondern
allen.
Ich weiß, dass der Glaube in der Gemeinschaft der Glaubenden
wurzelt, in ihr wächst und reift. Ich weiß, dass Glauben
von Anfang an heißt, zusammen mit anderen zu glauben.
Dieses Wissen bestätigt sich mir in unserer Gemeinde. Vor allem
im Gottesdienst. Die aufrichtende Botschaft ist stärker, als
Niedergeschlagenheit. Das gemeinsame Singen und Beten hilft uns
zur Verwurzelung im unsichtbaren aber uns tragenden Grund.
Die Kirche ist für sich gesehen ein totes Gebäude. Aber
wenn die Glocken läuten, wenn die Menschen hier zusammenkommen,
wenn die Orgel erklingt, wenn wir singen, beten, hören - dann
lebt die Kirche. In unserer Sprache bezeichnet das Wort Kirche ja
beides: Das Gebäude und die Menschen darin.
Ich finde, die Kirche auf dem Anger ist die Seele unseres Ortes.
Sie ist uns anvertraut als ein kostbares Geschenk von den Menschen,
die vor uns in Müggelheim lebten. Heute sind wir für sie
verantwortlich. Um unsertwillen. Und für unsere Kinder. Ich
mag mir eine Zukunft nicht vorstellen, in denen Menschen leben,
ohne Gott zu danken, ohne die Gewissheit, grundsätzlich geliebt
zu sein und darum lebenslang zur Liebe und Barmherzigkeit ermutigt
zu sein, ohne Zugang zur Vergebung.
Ich freue mich, dass es in unserer Gemeinde eine Gruppe jüngerer
Frauen gibt, die engagiert und sehr geduldig mit Zuversicht und
viel Fantasie daran arbeitet, den Kindern unseres Ortes Türen
zum Glauben zu öffnen. Aus ihrer Runde stammt auch der Slogan
„Unsere Kirche hat Geburtstag“, mit dem sie anlässlich
unseres Kirchenjubiläums zu einem Kinderfest am 19. Juni in
unsere Kirche einlädt.
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