Müggelheimer Bote
9. Jahrgang, Ausgabe 12/2002
Dezember 2002

Inhalt
Jugendclub Mügge droht weiterhin das Aus
Frohe Weihnachten!
Agenda 21 - was ist das?
Die Retter auf dem Wasser
Senioren schieben ruhige Kugel
Sprachtests für Schulanfäger beginnen im Januar
Jahresrückblick der Müggelheimer Feuerwehr
Spannendes Seifenkistenrennen für das Guinnessbuch der Rekorde
Gedanken zur Weihnacht
Schmierereien in Müggelheim
BVBB-Ortsgruppe mit neuem Sprecher
Flughafen-Planung jetzt auf sicherer Grundlage?
Weitere Meldungen
Gedanken aus Müggelheim
Aus der BVV
Kommentar
Müggeclub
Kleinanzeigen
Serie für den Natur- und Gartenfreund
Geschichten aus dem Müggelwald
Archiv
Müggelheim im Internet
Impressum
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Müggelheimer Bote
 

Schmierereien in Müggelheim

Anger-Bewohner dikutieren über Graffiti - Ursprung und Bilanz

Wie kaum zu übersehen gibt es auch in Müggelheim Jugendliche, die es für absolut notwendig halten, ihre „Tags” an Hauswände, Wartehäuschen, Pkw-Planen usw. zu sprayen. Diese Verschmutzung des öffentlichen Bildes des Dorfkerns war Anlass dafür, dass sich am 31. Oktober im Dorfklub Anwohner des Dorfangers trafen und sich mit dem Thema Graffiti auseinandersetzten. Obwohl fast alle Anwohner direkt oder mittelbar betroffen sind, erschienen nur zehn Interessenten. Ich wurde zu dieser Zusammenkunft ebenfalls eingeladen.

Wir diskutierten über die Ursachen, über die Folgen für die Geschädigten und für die ertappten Schmierfinken und natürlich wurde nach Wegen gesucht, wie man dieses Problem lösen kann. Vorschläge wie Bürgerwehr, Selbstjustiz, Kameraüberwachung der Schwerpunkte, Fangprämien usw. wurden in Erwägung gezogen und diskutiert. Eine echte Lösung wurde, für mich nicht ganz unerwartet, leider nicht gefunden.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einige Erläuterungen zum Thema Graffiti zu geben. Der Begriff „Graffiti” stammt ursprünglich aus der italienischen Sprache. Mit dem Singular Graffito war ein in Wandputz gekratztes Bild gemeint. In den USA soll es 1971 einen Pizza- oder Zeitungsboten gegeben haben, der die von ihm belieferten Häuser mit dem Tag „Taki 183” versehen haben soll. Jugendliche Gangs in den USA übernahmen dieses und markierten damit „ihr Territorium”. Diese Sprayerwelle erreichte Deutschland Anfang der 80er-Jahre.

Ist Graffiti Kunst? Kunst wurde durch das Bundesverfassungsgericht als „freie schöpferische Gestaltung der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden” definiert. Für einige großflächige Bilder mag der Begriff Kunst angemessen erscheinen. Doch der weitaus überwiegende Teil hat damit wirklich nichts zu tun. Liegt hier eine Straftat vor? Die Problematik Graffiti ist strafrechtlich nicht spezifisch erfasst. Es gibt also kein Gesetz, das etwa so lautet: „Wer rechtswidrig auf fremde Bauwerke, Fahrzeuge oder andere Gegenstände Farbe aufträgt, wird mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft”. In den meisten Fällen stellt sich Graffiti als Sachbeschädigung im Sinne des § 303 StGB dar:

(1) Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Beschädigung verlangt eine Substanzverletzung. Diese ist bei Graffiti nicht ganz unumstritten. Um eine Beschädigung zu bejahen gelten drei wesentliche Kriterien:

1. Die Substanz der Sache muss erheblich verletzt oder ihre Brauchbarkeit nachhaltig beeinträchtigt sein.

2. Die Reinigung führt zur Substanzverletzung.

3. Die Veränderung der äußeren Erscheinungsform beeinträchtigt den ästhetischen Zweck der Sache.

Eine Substanzverletzung entsteht durch Graffiti kaum. Eher ist bei der Reinigung mit einer solchen zu rechnen, wenn man mit chemischen oder mechanischen Mitteln die Tags entfernt. Der dritte Punkt trifft meiner Meinung nach auch recht häufig zu. Ich denke dann an das Besprayen einer Anhängerplane, so dass die Werbefläche kaum noch zu erkennen ist. Auch eine gemalerte Hausfassade erfüllt außer dem Schutz des Mauerwerkes auch einen ästhetischen Zweck und wird durch Graffiti beeinträchtigt. In diesem Sinne kann man also davon ausgehen, dass es sich hierbei um eine Straftat handelt. Durch die Polizei werden angezeigte Graffiti als „Sachbeschädigung durch Farbschmierereien” bearbeitet. Häufig stehen diese Delikte mit anderen Straftaten in Verbindung. Die jugendlichen Täter ohne eigenes Einkommen können die benötigten Sprühflaschen kaum selber finanzieren. Modern ausgedrückt, beschaffen sich die Täter das Material durch „Racking”. Es handelt sich schlicht ausgedrückt um Ladendiebstahl. Auch der Hausfriedensbruch und Körperverletzungen bei Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gangs sind häufig festzustellen.

Wie werden solche Straftaten geahndet? Da es sich bei den meisten Tätern um Jugendliche handelt, greift hier das Jugendgerichtsgesetz. Dieses hat vorrangig zum Ziel, den Jugendlichen zu erziehen und nicht zu bestrafen. Die Urteile fallen daher meiner Meinung nach recht milde aus. Bei den sogenannten Ersttätern erfolgt fast immer eine Einstellung des Verfahrens ohne Verurteilung. Im Normalfall kann erst nach der strafrechtlichen Ahndung eine Schadensregulierung auf dem zivilen Rechtsweg erfolgen. Dies ist vollkommen unabhängig von der Höhe der Strafe des Jugendrichters. Auch wenn die jugendlichen Täter recht glimpflich davonkommen, sollten sie folgendes bedenken: Sie sind als Täter im polizeiinternen System erfasst und bleiben dort bis zur Verjährung gespeichert. Dies könnte zur Folge haben, dass Ausbildungs- oder Berufswünsche daran scheitern, dass im polizeilichen Führungszeugnis Angaben enthalten sind, die mit bestimmten Berufen unvereinbar sind. Daran denken einige nicht oder erst zu spät. Ich selbst kenne Jugendliche aus Müggelheim, denen es so ergangen ist.

Wie bekämpft die Polizei solche Straftaten? Es ist sicher einleuchtend, dass es unmöglich ist, jedes in Frage kommende Gebäude umfassend durch die Polizei zu schützen. Dazu müsste ein Vielfaches vom jetzt vorhandenen Personal bereitgestellt werden. Bei der gegenwärtigen Haushaltlage ist dies sicher auch zukünftig eine illusorische Vorstellung. In Berlin gibt es seit 1994 eine Ermittlungsgruppe GiB (Graffiti in Berlin). Von den 31 Kollegen arbeiten 14 in einer operativen Gruppe. Sie führen Nachermittlungen wie Durchsuchungen durch und streifen nachts mit ein bis zwei Teams überwiegend in Bahn- und Flughafengebieten. Pro Woche erfolgen etwa vier bis fünf Festnahmen. Die etwa 3500 Vorgänge pro Jahr werden vom übrigen Personal bearbeitet. Sie beinhalten die Schadensfeststellungen, Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen und die Vorbereitung der Vorgänge für die Staatsanwaltschaft.

Jede Farbschmiererei wird mit Beweisfotos festgehalten. Dadurch können die überwiegend serienmäßigen Taten einem Täter zugeordnet werden.

Ein weiteres Feld der Bekämpfung dieser Delikte ist die Prävention. Durch Veranstaltungen wie Hip Hop oder Breakdance-Events sowie Aufklärung an Schulen soll vorbeugend auf die mutmaßlichen Tätergruppen eingewirkt werden.

Wie wird die Verantwortung von Eltern und Schule wahrgenommen? Anscheinend haben viele Eltern und auch Lehrer ihre Erziehungsfunktion abgetreten bzw. abtreten müssen. Jugendliche orientieren sich häufiger und stärker an anderen Jugendlichen, da Eltern aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr zur Verfügung stehen. Dort finden sie in Gruppen Geborgenheit, Verständnis und Anerkennung. Aber auch der Kick durch Spannung und Abenteuer führt dazu, dass sie hier eine eigene Identität finden. Bei vielen Eltern dürfte an Stelle der autoritären Erziehung die sogenannte liberale Erziehung getreten sein. Das Erziehungsverhalten ist tendenziell wesentlich großzügiger geworden, als das früher der Fall war. In vielen Fällen hat sich der Gesamtegoismus der Gesellschaft auf die Familie übertragen, so dass sich viele Eltern lieber eigene Bedürfnisse erfüllen, statt auf die Kinder einzugehen. Ein anderer Aspekt ist der, dass durch die hohe Arbeitslosigkeit und desolate Wirtschaftssituation viele Eltern in einer Lethargie schweben, in welcher es schwer fällt, Zeit für die Kinder aufzubringen.

In den Schulen nimmt die Anonymität im Sinne eines erlebten „Massenbetriebes” zu. Schulen sind zunehmend funktional. Eine Bindung an die Lehrer nach den Unterrichtszeiten, zum Beispiel in Arbeitsgemeinschaften findet nur noch selten statt. Die sogenannten Hausbesuche werden nur noch von wenigen Lehrern durchgeführt. Lösungsversuche, mit Jugendlichen an den Schulen legale Sprühversuche durchzuführen, sind sicher gut gemeint, jedoch fehlt hier meist das Wissen und die Auseinandersetzung mit dem Thema Graffiti.

Wie sieht die Müggelheimer Statistik aus? In diesem Jahr wurden bis Oktober 27 Graffiti-Anzeigen erstattet. Davon elf Mal an Fahrzeugen und Anhängern. Die Zahl der tatsächlichen Straftaten liegt sicher wesentlich höher. Schwerpunkte sind die Odernheimer Straße mit zehn Anzeigen und Alt-Müggelheim mit sieben Anzeigen. Hinter jeder Anzeige stehen persönlich betroffene Müggelheimer, die mit eigenen Mitteln den Schaden regulieren müssen und nicht wissen, wann sie das nächste Mal wieder Opfer sind. Wie mir überzeugend versichert wurde, soll in Alt-Müggelheim auch am Tage gesprayt worden sein. Das ist für mich kaum vorstellbar, da um den Dorfkern immer reger Personenverkehr herrscht. Oder gibt es womöglich Zeugen, die aus Bequemlichkeit einfach wegsehen?

Mit diesem Artikel wird sich hinsichtlich der Schmierereien kaum etwas ändern. Ich wollte Ihnen hiermit lediglich einige Hintergründe zur Entstehungsgeschichte, den Ursachen und den Folgen darlegen. Ihr Kontaktbereichsbeamter B. Zittlau