Wie ein Schiff ohne Navigator

Insider erzählt bei einer Lesung von seinen BER-Erfahrungen

von Simone Jacobius

Eigentlich war er aus ganz privaten Gründen in Deutschland. Matthias Roth wollte seinen vier Monate alten Sohn endlich seiner Familie vorführen. Doch dann ergab es sich fast von selbst, dass der frisch gebackene Vater die Reise auch mit einer Reihe Lesungen verband. Schließlich hatte er auch gerade erst ein Buch geschrieben. Und was für eins: "Der Hauptstadtflughafen Politik und Missmanagement – ein Insider berichtet". Und da das Thema doch durchaus Brisanz enthält, hatten Bürgerinitiative Müggelheim, BVBB-Ortsgruppe und Umweltkreis gemeinsam zu einer Buchlesung in den Dorfklub geladen. Etwa 40 Interessierte nahmen am 20. März daran teil – etwa die Hälfte hatte das Buch bereits gelesen.

Matthias Roth ist Wirtschaftsingenieur und hat am BER im Risikomanagement und im Controlling gearbeitet. Seit zwei Jahren und vier Monaten lebt er allerdings mit seiner Familie in Kalifornien/USA. Der Grund: Er hat es bei seinem Arbeitgeber nicht mehr ausgehalten. "Der BER ist unser Flughafen, bezahlt von unserem Geld, da sollte alles offengelegt werden und es keine Interna geben", beklagt Roth. Doch mit genau dieser Geheimniskrämerei hatte er am BER zu kämpfen und hat erlebt, welche fatalen Folgen das Zusammenspiel von politischen Vorgaben, ineffizienter Organisation und mangelnder Führung hat.

Zuerst führte er täglich Tagebuch, dann wöchentlich, später monatlich. Ein Abbild dessen, was es zu berichten gab, bzw. er zu tun hatte. "Obwohl die Flughafengesellschaft es so dringend gemacht hatte, hatte ich unheimlich viel Leerlauf", moniert er. Nach einem halben Jahr merkte er bereits, dass alles nicht richtig läuft. Während Roth anfangs noch im Zentralkontrolling war, wechselte er (kurz bevor er kündigen wollte) zum Risikomanagement. "Aber keiner wollte von uns hören, welche Risiken es gibt. Beispielsweise als wir Air Berlin als risikobehaftet einschätzten, aufgrund der hohen Defizite." Eine Besonderheit gab es auch noch am BER. "Die Abteilung Bau war komplett abgeschottet von unserem Planungsbereich. Die hatten ihr eigenes Controlling und ich, obwohl im Zentralcontrolling, keine Einblicke"

Kurz zur Erläuterung: Ein Controller kontrolliert nicht, sondern er steuert quasi das Unternehmen ähnlich einem Navigator auf einem Schiff. Wo stehen wir, wo wollen wir hin, wie schaffen wir das, sind seine Ansätze. Im Risikomanagement galt es dann vor allem darum, mögliche Risiken aufzuzeigen, die dann der Flughafenchef auch dem Aufsichtsrat vermitteln müsste. "Weil unsere Risiken vom Tisch gewischt wurden, wurden sie auch nicht dem Aufsichtsrat mitgeteilt", erzählt Roth. Und wenn mal Risiken benannt wurden, wurden sie nicht weiterverfolgt.

"Ich hatte immer daran geglaubt, dass es mit der Eröffnung 2011 klappen würde. Mir lag nichts gegenteiliges vor. Als ich davon hörte, dass alles verschoben wird, war ich schon in Amerika und fiel aus allen Wolken", erinnert sich der "Insider".

Er sieht ein großes Problem bei all der Unorganisiertheit: "Zu meiner Zeit hatte der Flughafen noch ein Ziel. Heute frage ich mich, was ist das Ziel? Ich könnte mir vorstellen, die Arbeitsatmosphäre ist noch viel schlechter als damals."

Das Buch ist ausgesprochen unterhaltsam geschrieben, fernab jeglichen Fachgeschwafels. Es gibt beängstigende Einblicke in die Arbeitsweisen am BER. Roth schreibt von Zuständen, Umständen und Widerständen, die ganze Abteilungen in die Zwangsjacke steckten: Arbeit in der Gummizelle. Wer sich fragt, wie es am BER zu den unzähligen technischen Problemen, eklatanten Planungsfehlern und ständig steigenden Kosten gekommen ist, findet in dem Buch einen Lösungsansatz. Matthias Roth will mit seinem Buch niemanden an den Pranger stellen, aber auf ein gesellschaftliches Problem hinweisen, dass kaum bekannt ist: Bore-out, das Gegenteil von Burn-out, steht für eine Unterauslastung, die die Mitarbeiter am BER – und vermutlich auch in anderen Unternehmen – stark belastet hat. Jeden Tag mussten sie so tun, als hätten sie viel zu tun, um sich nicht wegzurationalisieren. Die Symptome sind letztlich ähnlich wie beim Burn-out – und der Grund für Roth nach anderthalb Jahren zu gehen.