"Der Mist muss von den Straßen!"

Führung im Wasserwerk Friedrichshagen

von Harald Kampffmeyer

Der Mist muss von den Straßen! Ja, dafür wurde ein Wasserwerk gebaut. Das Wasserwerk Friedrichshagen. Denn man fing an zu verstehen. Während einer Führung am 14. September hatten einige Müggelheimer die Möglichkeit, der Geschichte und der Technologie auf den Grund zu gehen. Frau Hildebrandt von den berliner Wasserbetrieben führte uns und erzählte spannend.

Noch in den letzten Jahrzehnten vor 1900 grassierten Seuchen hoch und runter durch das Deutsche Reich. Der Grund: Schlechte Hygiene! Städte mit vielen Menschen erzeugten halt auch viel Schei.... Die wurde einfach auf die Straße, in die Gosse, geleitet. Und dann das Transportwesen. Autos gab es noch nicht. Aller Transport von und zu den schon gebauten Bahnhöfen und der "Nahverkehr" war Tiertransport. Hunderttausende Pferde und auch etliche Ochsen zogen täglich Karren quer durch Berlin. Die Straßenbahnen hatten Pferdezug. Und bei diesem "ökologischen Antrieb" kam hinten immer etwas raus. In der Summe – sehr viel. 

Berliner Straßen standen im Mist, Zentimeter hoch. Und wenn es warm war, stank die Reichshauptstadt gen Himmel. Preußische Beamte – damals noch fähige Leute – sannen auf Abhilfe. Erstens: Der Mist muss unter die Erde, eine Kanalisation muss her, die den Mist raus leitet; Richtung Rieselfelder. Zweitens: Wenn es eben nicht regnet, muss täglich der Mist weggespült werden, d.h. Straßenreinigung. Dazu musste ein dicker Wasserfluss her. Ergo: Wir bauen ein großes Wasserwerk! Aus diesem Grund entstand das Wasserwerk Friedrichshagen. Es ging eben zuerst um Hygiene im öffentlichen Bereich, erst dann um Trinkwasser für das Volk, Hydranten zur Brandbekämpfung und um öffentliche Wasserspiele zur Zierde der Stadt.

Die Idee, das Oberflächenwasser des Müggelsees für Berlin zu nutzen, hatte schon 1876 der Direktor der Städtischen Wasserwerke, Henry Gill. Denn das ältere, große Werk Tegel reichte nicht mehr. Gill traf die abenteuerliche, utopisch erscheinende Einschätzung Berlin könne bis 1900 vielleicht 2,5 Millionen Einwohner haben. Und die Erfahrung sagte, 100 Liter täglich pro Kopf sind nötig. Wenn auch nicht so viel in den Haushalten, aber doch, um den Kot weg zu kriegen. Die Idee – Müggelseewasser – hatte noch einen Riesenvorteil: In und nach Berlin waren Spree und Zuflüsse schwer belastet. Klärwerke gab es noch nicht. Alle Jauche ging noch in die Fließgewässer. Aber der Müggelsee hatte noch gutes Wasser von ‚vor der Stadt'.

Das Werk Friedrichshagen wurde in drei Jahren gebaut und 1893 fertig. Damals das größte Wasserwerk Europas. Der Bau verschlang 35 Millionen Ziegel, zehntausende Tonnen Kiessand, Steinsplitt und Zement. 1100 Bauarbeiter waren im Einsatz. Gebaut wurden faktisch zwei parallele Werke, die Stränge A und B (ab 1898 schon um Strang C erweitert). Es entstanden die Schöpfmaschinenhäuser A und B, die Fördermaschinenhäuser A und B, die Filtrierstraßen A und B, jede mit elf überwölbt gemauerten je 2330 m² Sandbettfilteroberfläche aufweisende Grotten. Architektonisch wurde der neugotische Stil zur Einfügung in die Märkische Landschaft gewählt. 

Der große Reinwasserbehälter – unterirdisch gebaut – fasste 30.000 m³. Die zyklopenhaft anmutenden Maschinen waren Spitze des Ingenieurwesens der Zeit. Auch Werkstatt-, Verwaltungs- und Wohngebäude wurden errichtet. Alle Anlagen und Maschinen wurden noch durch Dampfkraft betrieben. Dazu kam dann noch das Pumpspeicherwerk Lichtenberg an der Landsberger Allee, 22 Kilometer entfernt, als ein ‚Hauptvertriebsweg' fürs Friedrichshagener Wasser. Denn nur so – durch Hochpumpen und Zwischenlagerung – konnte der höhere Teil Berlins (Barnim), 15 Meter höher, versorgt werden. Die zwei Hauptleitungen zum Werk Lichtenberg hatten 1,2 Meter Durchmesser. Von der Eröffnung bis 1909 wurde nur Seewasser genutzt, teilweise noch bis 1991. Nachteil des Seewassers: Es war nie keimfrei und im Sommer bis 25°C warm. Ab 1909 kam daher Grundwasser hinzu. Und damit dessen Standardproblem: Wie kriegt man die Eisen- und Mangan-Hydrogencarbonate heraus, die im Grundwasser gelöst sind? Die Technologie war klar: 1. Das Wasser mit Luft (Sauerstoff) durchmischen. Also kamen jetzt noch vier Rieselanlagen in neuen Häusern für die Belüftung des Grundwassers hinzu. In Berieselungshallen lief das Wasser von oben kommend durch raumhohe, kunstfertig auf Lücke gestapelte Ziegelschichtungen. Dort reagierten die Carbonate mit Sauerstoff zu Metalloxidhydraten, die nun Flocken bildeten. 2. Es ging in die Gewölbe zu den Sandbettfiltern, um die Flocken abzufangen.

Alles das, was unsere Altvorderen so sinnvoll erdacht und gebaut hatten, stand für uns nun zur Besichtigung an. Oder besser, was noch übrig geblieben ist. Schon Bomber-Harris (RAF) hatte sich doch in WK II. größte Mühe gegeben, alles das per Bomben gründlich "zurück zu bauen" und Berlin das Wasser zu nehmen.

Noch einige Anmerkungen zu heute. Das alte Werk ist in allen Teilen stillgelegt. In den Gewölben der Sandbettfilter wohnen nun tausende Fledermäuse. Alle Altbauten haben Denkmalschutz. Neben dem alten steht das neue Wasserwerk Friedrichshagen. Es ist hoch leistungsfähig. 50 Mann besorgen heute das Wasser für ganz Berlin. Alles ist weitgehend automatisiert. Unser Wasser kommt auch von dort. Das Müggelheimer Umland ist zugleich Hauptaufkommensgebiet für das aufzubereitende Grundwasser. Denn um uns herum liegen viele Grundwasserbrunnengallerien des Werkes. In Summe gibt es hier 230 Brunnen. Gefördert wird heute jedoch wenig. Denn Berlin ist nun deindustrialisiert. Und die Bevölkerung spart Wasser auf Teufel komm raus. Die Frage mit dem Mist auf den Straßen hat sich erledigt (abgesehen von den Hunden). In den Wasserwerken ist Schrumpfung angesagt. Falls flächendeckend der Strom ausfallen sollte, versprechen die Wasserwerke noch 24 Stunden Versorgung mit Hilfe von Notstromaggregaten. Danach gilt ‚helft euch selber und vertraut auf Gott'. Möge der Tag besser nie kommen! Ganz zur Not gibt es noch etwa 2000 Bundes- und Landesnotbrunnen. So ein Ding mit Schwengel steht z.B. bei uns auf dem Anger.

Hier sollte noch eine Danksagung erfolgen. Zunächst sollten wir bedenken, dass wir in Berlin seit über 150 Jahren gutes Wasser haben, wenn wir den Hahn aufdrehen. Das besorgen uns die Wasserwerker, leise, unauffällig, aber immer zuverlässig. Dass in neuerer Zeit die Politclowns, die wir selbst wählten, die Wasserwerke zu ihrem Spielball für dämliche Experimente machten und so manchen Ärger und Wut hervorriefen, sollten wir den Männern und Frauen, die da arbeiten, nicht vorhalten. Die Täter waren immer unsere Politiker. Dank geht auch an Johannes Horscht, unserem alten Wasserwerker in Müggelheim, der mich reichlich mit Material aus seinem Archiv versorgte.

(Empfehlung: Das Buch "Wasser für Berlin", Hilmar Bärthel, 1997; mit Glück im Antiquariat zu erhaschen).