Ein guter Grund zum Feiern!

Müggelheim entstand vor 275 Jahren durch Pfälzer Einwanderer

Von Bärbel Kovalevski

Die Anordnung der Gehöfte rings um den Dorfanger entsprach einem einheitlichen Bauplan für die Dreiseiten-Gehöfte (oben links). Die ersten Siedler mussten hart arbeiten, um das Land urbar zu machen (rechts). Blick von Müggelheim auf die Müggelberge und Müggelsee (unten links).

Ja, es ist wahr, die Müggelheimer Bürgerinnen und Bürger haben in diesen Tagen Grund zu Stolz und Freude. Sie leben in einem malerischen Ort noch mitten im Grün des Waldes und zwischen blauen Seen wie dem Müggelsee und der Krampe. Die Familien wohnen vorwiegend in Einfamilienhäusern mit Gärten, zum Teil noch an unbefestigten Wegen und doch fehlt nicht das moderne Versorgungsnetz wie Strom, Wasser, Gas und Abwasser. Kein Wunder, dass es immer mehr Menschen hierher zieht, zählt der Ort doch jetzt schon etwa 6900 Einwohner.

Wie jeder Ort, so hat auch Müggelheim seine Geschichte, und die begann vor 275 Jahren, als am 1. Juni 1747 mit der Erbverschreibung die Gründungsurkunde für das pfälzische Dorf auf preußischem Boden ausgestellt wurde und damit 20 Siedlerfamilien mit der Verleihung von „erb- und eigentümlichen Land“ die Grundlage zum Aufbau eines Dorfes in die Hand gegeben wurde.

Die Gründung des Dorfes Müggelheim basiert auf dem Bemühen des jungen Königs Friedrich II., die Besiedlung von leeren oder bevölkerungsarmen Gebieten voran zu bringen, Arbeitskräfte ins Land zu holen und so die Wirtschaftskraft zu stärken. Dafür bot der König den Kolonisten wirtschaftliche und persönliche Freiheiten. Der preußische Gesandte von Freytag in Frankfurt a. M. verbreitete den Aufruf des Königs, der auch die Pfalz erreichte. 

In Odernheim am Glan im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken hatten im Herbst 1746 15 Familien ihre Anwesen und ihren Besitz veräußert, um nach Amerika auszuwandern. Als König Friedrich II. persönlich ihren Boten Friedrich Werger und Veit Port versicherte, dass sie in Preußen willkommen seien, dass sie das Recht erhalten würden auf freie Religionsausübung, Befreiung vom Militärdienst sowie Steuerfreiheit für 15 Jahre und Zahlung der Reise- und Verpflegungskosten, entschloss sich die Gruppe den Traum von Amerika mit einer Zukunft in Preußen zu vertauschen. 

So nahmen im April 1747 fünfzehn Odernheimer und fünf Oberhausener Familien, insgesamt mehr als 90 Männer, Frauen, Kinder, Knechte und Mägde den 600 Kilometer langen Marsch über Frankfurt a. M., Eisenach, Mühlhausen, Wittenberg nach Berlin auf sich.

Insgesamt kamen 265 Familien aus der Pfalz nach Brandenburg, die jedoch vorwiegend als Kolonisten im Oderbruch tätig sein sollten. Den Siedlern aus Odernheim wurde „ein von ihnen zu kultivierendes Gebiet im Amt Cöpenick auf dem Cöpenickschen Werder“ zugewiesen. Die Odernheimer erhielten wohl Land, Bauholz für die Häuser, auch Saatgut, aber im Wesentlichen siedelten sie auf eigene Kosten. Während alle anderen Ansiedlungen dieser Zeit auf Kosten des Königs geschahen und damit die Siedler zu Dienstleistungen und Fronarbeit verpflichtet waren, blieb das gegründete Dorf „Müggelheim“ das einzige selbstständige Dorf mit einem eigenen Schulzen, der die Belange der Gemeinde nach außen und die Schlichtung von Problemen im dörflichen Leben übernahm. 

In harter Arbeit und unter vielen Entbehrungen wurden der Wald gerodet, die Felder angelegt und nach und nach die Gehöfte aufgebaut. Es gab einen einheitlichen Bauplan für die Dreiseiten-Gehöfte. Das Wohnhaus steht in der Längsseite zur Straße, während auf dem Hofgelände jeweils die Scheune und der Viehstall ihren Platz fanden. Auch die Form des Dorfes war vorgegeben als die eines lang gestreckten Rhombus um den Mittelpunkt eines Achsenkreuzes. Es wurde so aufgeteilt, dass auf jeder Seite fünf Siedlerstellen lagen. Die Innenfläche bildete die Dorfaue, auf der später die Kirche, die Schule und der Friedhof vorgesehen waren. Dieser Grundriss ist heute noch einwandfrei erkennbar.

Der erste vom König bestätigte Dorfschulze war Philipp Jacob Rauch, der 1748 das Privileg der Schankwirtschaft für Bier und Branntwein erhielt, die er nur von der Amts-Brauerei Köpenick zu beziehen hatte. Er wurde später von Johann Jacob Baeyer und dessen Nachfolgern abgelöst.

Der Aufbau des Dorfes ging je nach Vermögen der einzelnen Familien nur schleppend voran, da ja gleichzeitig Haus, Feld, Vieh und Ackergerät aufgebaut oder angeschafft werden mussten. Der Boden war sandig und gab in den ersten Jahren kaum Korn. Der zugesicherte Weinbau auf dem Müggelberg war wegen des Waldes und schlechten  Bodens für Weinanbau nicht nutzbar und wurde gegen Ackerland eingetauscht. In einem der vielen vorhandenen Berichte wie vom 3. März 1749 klagten die Bauern über das fehlende Saatkorn, ihre Vorräte waren verbraucht, die Felder konnten mangels Vieh schlecht bestellt werden, es fehlten noch Schule und Kirche und die Kinder wuchsen in Wildheit auf. Die Siedler Jacob Baeyer, Friedrich Faber, Heinrich Hargesheimer und Wilhelm Kühn hatten aber ihre Häuser schon fertig gebaut. Den Frauen der Bauern wurden Reisepässe ausgestellt, um in die alte Heimat fahren zu können und dort das vom Herzog beschlagnahmte Geld einzufordern.

Noch im Jahre 1749 begann Johann Peter Tisch mit 19 Jahren sein Amt als Schulmeister und wurde 1754 nach bestandenem Examen als erster Schulmeister in Müggelheim bestätigt. Jedoch hatte er keinen Schulraum, die 20 bis 30 Kinder des Dorfes wurden in seiner einzigen gemieteten Stube, in der auch seine Familie wohnte, unterrichtet. Die Eingaben der Dorfgemeinde an den König, das versprochene Schulhaus und die Kirche zu bauen, wurde erst 1779 mit dem Bau des Schul- und Bethauses auf dem Anger realisiert.

Die Müggelheimer gehörten der reformierten Kirche an, sie wurden von Geistlichen der Schlosskirche Köpenick betreut. Doch der Weg dorthin war beschwerlich, es gab noch keine feste Straße, so blieben die Müggelheimer in den ersten 150 Jahren ziemlich abgeschlossen für sich, pflegten ihre heimatliche, fränkische Sprache und Tracht. Da nur in Müggelheim geborene und ansässige Männer laut Vertrag vom Wehrdienst befreit waren, zogen diese auch selten aus dem Ort, man heiratete untereinander und die Zahl der Einwohner betrug ziemlich konstant um 160. 

Die moderne Zeit hielt mit dem Bau der Chaussee im Jahre 1896 Einzug und mit dem besseren Zugang eroberten nach und nach Ausflügler aus Berlin das Naturgebiet, so dass sogar ab 1925 eine Buslinie eingerichtet wurde. Das Dornröschen-Dorf Müggelheim erlebte nun durch die Siedlerbewegung, durch den Bau der Behelfsheime für Ausgebombte seit 1944 und durch die Aufgabe der unrentablen Landwirtschaft  durch die Bauern, die ihr Land nun stückchenweise an Eigenheimbauer verkauften, eine ungeahnte Ausweitung. 

Ein Blick auf Müggelheim aus der Vogelperspektive bestätigt diese Aussage und gleichzeitig erinnert er an den deutlich sichtbaren alten Dorfkern, der einst unter großen Entbehrungen und Mühen von den pfälzischen Emigranten geschaffen wurde. 

Es ist ein besonderes Anliegen des Müggelheimer Heimatvereins das Andenken an Personen aus Müggelheim, die Vorbildliches geleistet haben, öffentlich zu machen und zu würdigen. Deren stetes Ringen um neue Erkenntnisse und Erfahrungen zum Nutzen und Wohle der Allgemeinheit, macht ihr Leben und Wirken auch für die Nachlebenden so bedeutsam und interessant. 

Aus Müggelheim wären hier zum Beispiel der Bauernsohn Johann Jacob Baeyer (1794–1885) der General und Geodät wurde sowie Schöpfer der heute internationalen Organisation der Erdmessung und Begründer des Geodätischen Instituts und sein Sohn Johann Friedrich Wilhelm Adolf Ritter von Baeyer (1835–1917), der Chemiker und Nobelpreisträger wurde sowie Dr. Curt Grottewitz (1866 – 1905), Naturforscher, Schriftsteller und Begründer der deutschen Arbeiterwanderbewegung zu nennen.

Seit 1747 blieb die Verbindung zur alten Heimat Odernheim in der Pfalz erhalten und konnte sich dank der neuen Verkehrsmittel im 20. Jahrhundert verbessern. Sie blieb auch trotz der Abgrenzung in der Periode der DDR-Regierung dank der Initiative einzelner Odernheimer und Müggelheimer Bürger bestehen. Nach der Wende krönten Müggelheimer aus dem Heimatverein diese Bemühungen 2010 mit einer ersten Exkursion nach Odernheim und brachten eine Ausstellung über die Gründung des Dorfes Müggelheim nach Odernheim. 

Zum jährlichen Gründungsfest Müggelheims wurden stets Gäste aus Odernheim begrüßt, so auch zu diesem 275. Gedenk- und Festtag am 1. Juni 2022. Ein herzliches Willkommen allen Gästen und Müggelheimern in der traditionsreichen Gaststätte „Neu-Helgoland“ am Kleinen Müggelsee!