Gedanken aus Müggelheim

von Hilla Uppenkamp

Wir leben in unruhigen Zeiten, hat der neu gewählte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gesagt. Und ich habe mich gefragt, stimmt das eigentlich auch für uns Müggelheimer? Nun, – einige Geschäfte wurden geschlossen, die Anzahl der Restaurants ist geschrumpft, es gibt Spekulationen um neue Geschäfte, die Einwohnerzahl wächst und die meisten von uns führen ein selbstbestimmtes Leben.
Bei uns in Müggelheim ist es doch eigentlich wie es immer war, wir können im Dorf einkaufen, haben sogar eine Apotheke, sind eingebunden im ÖPNV, es gibt ein gutes Krankenhaus in der Nähe, wir haben einige Ärzte. Was sind dann unruhige Zeiten? Woher kommt der Unmut von etwa 25 Prozent der wenigen überhaupt zur Wahl gegangenen Wahlberechtigten, die bei der letzten Abgeordnetenwahl ihre Stimme einer populistischen Partei gaben? Was verunsichert die Müggelheimer? Die Angst vor dem Wandel?
In den mehr als zehn Jahren, die ich in Müggelheim lebe, hat sich eigentlich nichts verändert. Sind wir in Müggelheim wirklich in Furcht vor der „Überfremdung“ durch Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, insbesondere wenn sie muslimischen Glaubens sind? Da sträuben sich mir als nicht praktizierende Katholikin die Nackenhaare. Zum einen hat wohl fast niemand in Müggelheim einen Nachbarn, der zur Glaubensgemeinschaft des Islam gehört. Und darüber hinaus wissen doch die meisten von uns gar nicht, welche Werte diesen Menschen wichtig sind.
Und das bringt mich zu der Frage, welche Werte denn wir selbst vertreten? Wenn wir über immaterielle Werte sprechen, dann meinen wir doch in der Regel Zielvorstellungen, die wir miteinander teilen, – ungeschrieben und doch von Generation zu Generation tradiert, wie beispielsweise Toleranz, Respekt, Rücksichtnahme oder Höflichkeit. Und da scheint es doch bei einigen von uns zu hapern. Wenn wir Hundebesitzer die Hinterlassenschaften unserer Hunde liegenlassen vor dem Garten des Nachbarn, dann ist das für mich ein Zeichen mangelnder Rücksichtnahme, fehlender Höflichkeit bzw. Respekt vor dem Eigentum des anderen. Wenn ein mir Unbekannter meinen „Guten Tag“-Gruß nicht erwidert, mangelt es ihm möglicherweise an guter Erziehung, – oder er ist schwerhörig. Wenn ein Nachbar, mit dem ich seit mehr als 40 Jahren nicht nur eine gemeinsame Grundstücksgrenze teilte, sondern auch viele gute Gespräche und gesellige Abende hatte, stirbt, und ich seinen Hinterbliebenen nicht einmal mein Beileid ausspreche, weil in der Trauer über den Verlust die Hinterbliebenen vergaßen, eine Todesanzeige in meinen Briefkasten zu stecken, dann sind das mangelndes Taktgefühl und Respektlosigkeit.
Wenn wir im Miteinander in Müggelheim nicht einmal die Werte-Grundlagen beherrschen, dann leben wir wahrscheinlich in unruhigen Zeiten. Denn wenn wir im Umgang miteinander nicht einmal mehr das kleine 1x1 beherrschen, dann sind alle Türen offen für die, die uns versprechen, dass alles besser wird, weil wir kein festes Fundament mehr für das Miteinander haben.
Viele von uns, besonders die Älteren, sind geprägt durch die großen Veränderungen, die der Krieg und seine Folgen mit sich brachten. Wir wissen, dass es „die gute alte Zeit“ nie gab. Wir haben alle Veränderungen gemeistert, – weil wir auf einem gemeinsamen Wertefundament standen. Wir leben – auch in Müggelheim – in unruhigen Zeiten, wenn wir unsere Werte aufgeben.

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