Zur Geschichte des Gosener Grabens - Teil I

Von Harald Kampffmeyer, für den Umweltkreis

GEOBROKER LGB (2)


Unsere Umgebung ist auch Gegenstand von Betrachtungen im Umweltkreis. Neulich kam bei uns die Rede auf den Gosener Graben. Wir stellten unser Halb- und Mangelwissen fest. Also Entschluss: Wir untersuchen das. Daraus erwuchs dieser Artikel.

War der Gosener Graben ‚schon immer da‘? Ist er also wie das Spree-Urstromtal mit seinen Gewässern Überbleibsel des Abtauens der Inlandgletscher der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren? Oder wurde er ‚gegraben‘ (Name)? Wenn Letzteres zuträfe, warum, wann, durch wen? Dazu nun die folgenden Ermittlungen.

Unten ein erster Blick auf das Schmettausche Kartenwerk aus den 1780er Jahren, Auszug „Coepenicksche Werder“ östlich von Müggelheim.)

General Graf Schmettau hatte erstmalig für Preußen / Brandenburg eine vollständige Kartierung erstellt. Da ist aber Wunderliches zu sehen. Der Graben ist schnurgerade gezogen abgebildet. Vom Seddinsee nach Nord-Ost etwa zwei Drittel seiner Länge, dann aufzweigend a) nach Nord zum Dämeritzsee [dort ‚Dömnitz See‘ genannt] und b) nach Osten rechts abbiegend in Richtung „Der Streit Wall“, um sich dann mit einem schmalen Gewässer [Grosser Strom?] zu treffen. Auch schneidet der Nordzweig des Grabens die Spree knapp süd-westlich des Dämeritzsees. Die Spree berührt den Dämeritzsee nicht! Dazu weiter unten eine Erklärung. Auch die Spree östlich des Grabens und der ‚Große Strom‘ sind in dem Bereich völlig gerade dargestellt. Das spräche für künstliche Anlage, denn natürlich bilden sich solche ‚geraden Fließgewässer‘ kaum aus. Unsere Vermutung ist jedoch, dass Schmettau da keine oder keine guten Vermessungen hatte und daher durch ‚gerade Linienführung‘ fehlendes Wissen ersetzte.

Nach Graf Schmettau wurden dann Kartierungen erstellt, die in die ‚Preußischen Urmeßtischblätter‘ (1839) mündeten. Wie ist der ‚Gosener Graben‘ dort dargestellt?

Auf dem rechts stehenden Kartenauszug ist keine gerade Linienführung mehr zu finden. Am unteren Rand ist gerade so das Ufer des Seddinsees mit Mündung des Grabens zu sehen (rechts neben dem Schriftzug: „Seddin Feld“ und klein darunter: „Cöpenicker Fischerhütte“). Dort, wo heute die Försterei ist, ist schon ein Gehöft „Fahlenberg“ eingezeichnet. Wir sehen uns nun den grünen Bereich der Karte, der dort „Cöpenicker Bruch Wiesen“ genannt wird, an. Von „Fahlenberg“ an wird der Graben als „Der grosse Strom“ bezeichnet. An einem „Espenwerder“ genannten Hügel läuft „Der grosse Strom“ nach Osten weiter, jedoch geht hier nach zunächst Norden auch ein Fließ namens „Der neue Graben“ ab. Vor seiner Einmündung in die Spree und nach Zusammentritt mit einem von Ost (rechts) kommenden weiteren Fließ heißt er nun „Der Klening“. Im Zentrum der grünen Wiesen befindet sich eine kahle Fläche, die „Der Grasehorst“ heißt. Weiter nach rechts-unten folgt der „Caniswall“. Zwischen Grasehorst und Caniswall taucht die Bezeichnung „alte Spree“ statt des „grossen Stroms“ auf. Der dünne Fließ von Caniswall nach Norden an „Streitwall“ vorbei zur Spree ist mit „kleine Baba“ bezeichnet.  

Hier sieht vieles nach natürlicher Landschaft aus. Abgesehen von dem so genannten „Der neue Graben“. Man beachte übrigens, dass es zu der Zeit eine Menge Inseln in der Müggelspree gab und diese sich noch sehr windet.

Im Archiv Museum Köpenick ist ein Bericht vorhanden, der besagt, die Köpenicker Bürgerschaft habe 1791 den nördlichen Teil des „Neuen Grabens“ anlegen und den südlichen Teil des Gosener Grabens, der ein natürlicher Altarm der Spree sei, auf acht Meter Breite ausgebaut, um die Schiffbarkeit märkischer Gewässer zu verbessern und die „Holzkavelwiesen“ (wohl identisch mit den „Cöpenicker Bruch Wiesen“) der Nutzung zugänglich zu machen. Hier soll es um Heranschaffung von Heu per Kahn für die nicht wenigen Reit-, Trag- und Zugtiere in Köpenick gegangen sein. Warum aber Köpenicker dort gewerkelt haben, wo doch die Kolonisten in Gosen in Müggelheim nahe dran waren, erschließt sich nicht.

Bisheriges Bild: Der heutige Gosener Graben ist im südlichen Teil natürlich, wenn auch schon 1791 ausgebaut, und in dem Teil „Der neue Graben“ künstlich angelegt. Wie der auftauchende Name „Alte Spree“ schon andeutet, war hier eine alte, natürliche, verzweigte Spree-Dahme-Verbindung vorhanden, die dem Erscheinungsbild des Spreewaldes ähnelte.

Bedeutung der Wasserwege um Köpenick und zwischen Seddinsee und Dämeritzsee

Vor der Eisenbahn war es nur auf Wasserwegen möglich Massen- und Schwerlastgüter (Getreide, Holz, Baumaterial wie Ziegel und Naturstein, Erze, Metallbarren u.a.) über größere Entfernung zu bewegen. Berlin und Köpenick mit ihren Gewässern waren da gut dran. Etwa seit der Zeit des Großen Kürfürsten setzte sich in Mitteleuropa der Kaffenkahn als übliches Transportmittel durch. Kaffenkähne waren für Ladekapazitäten zwischen 30 und 50 Tonnen ausgelegt, manchmal aber auch darüber, ihre Länge betrug 30 bis 40 Meter. Sie waren flachgehend ohne Kiel, um über Bohlen an unbefestigten Ufern zu laden. Gefertigt wurden sie grob aus Holz, waren oben offen und hatten einen Mast zum Segeln. Oft wurden sie aber durch Treideln oder Staken bewegt, denn beim Segeln konnten sie kaum gegen den Wind kreuzen. Voll beladen war der Freibord nur 10-15 Zentimeter hoch, was sie sehr empfindlich gegen Wellengang machte.

Aus den alten Berichten ist ersichtlich, dass diese Kähne hauptsächlich in den waldreichen Gebieten der Oberläufe  der größeren Ströme gebaut wurden. Also in Böhmen und Sachsen an der Elbe, in Oberschlesien an der Oder und in den Schlesischen Beskiden an der Weichsel. Die Kähne wurden oft als Ein-Weg-Transportmittel stromab genutzt. Denn stromauf musste gegen zum Teil heftige Strömung getreidelt werden, d.h. spezialisierte Unternehmer mit ihren Pferde- oder Ochsenzügen bezahlt werden, was nur lohnte, wenn hohe Tarife für Fracht stromauf erzielt werden konnten. Üblich war die Aufgabe des Kahnes am Zielort (Berlin, Hamburg, Stettin, Elbing, Danzig, Königsberg usw.) und seine Zerlegung mit Verkauf der Reste als Bau- und Brennholz.

Zu beachten ist auch, dass ab 1668 der Friedrich-Wilhelm-Kanal Oder und Spree verband und ein großer Warenstrom von Schlesien nach Berlin und Hamburg lief. Der musste durch Müggelspree und -see.

Aus den alten Berichten im Archiv des Köpenicker Heimatmuseums geht hervor, dass der Müggelsee für die Kaffenkähne ein ernstes und gefährliches Hindernis war. Er blieb länger vereist als die Spree vor und nach ihm. Bei starkem Wind und Wellengang war er für die Kaffen nicht befahrbar wegen Gefahr der Wasserübernahme. Auch mussten bei Westwind die Kähne in der Müggelspree teils Wochen warten, was große Staus ergab, denn die Ufer ließen Treideln nicht zu und Staken ging wegen Tiefe und Wellen oft auch nicht. Es wurde dann die Umfahrung über Neuer Graben / Grosser Strom versucht. In den Berichten steht auch, dass es schwierig war, im Graben zu segeln, sowie, dass die sehr starke Strömung von der Spree zum Seddinsee sehr störte.

Teil II in der Dezember-Ausgabe
Teil III in der Januar-Ausgabe