Geschichten aus dem Müggelwald

Die Geschichte vom wissbegierigen Igel Neugier

von Ulrike Meyer

In einem wunder-wunder-schönen Herbstwald wohnte der kleine Igel Neugier. Es war ein ganz junger Igel - also schon lange kein Baby mehr - aber so richtig erwachsen würde er erst im nächsten Sommer sein. Nun war er in seinem Wald auf der Suche nach einem Platz für den Winter.

Ja, es war sein Wald, sein Müggelwald. Hier war er geboren, aus der Krummen Lake, dem kleinen Müggelsee und der Krampe hatte er schon Wasser getrunken. Er war bis zum großen Müggelsee gelaufen und bis hoch zum Müggelturm, er hatte in den Teufelssee geschaut und sich auch den Odernheimer Spielplatz und die kleine Schule angesehn. Aber nun war er neugierig, er hatte gehört, dass es einen Kindergarten in seinem Müggelheim gab.

Eigentlich suchen sich Igel im Herbst einen gemütlichen und warmen Schlafplatz, kuscheln sich an den ersten kalten Herbsttagen ein und schlafen bis der Frühling die ersten warmen Sonnenstrahlen sendet.

Aber Igel Neugier hatte sich das ganz anders überlegt. Also eigentlich war die Idee schon den ganzen Sommer über gereift. Das ging doch nicht, er konnte doch nicht einfach den ganzen Winter verschlafen! Gerade als der Herbst anfing die Blätter anzumalen, hörte er immer mehr Getuschel und hektisches Geraschel. Da war das Eichhörnchen, das zählte die Eicheln und rechnete laut vor sich hin: "Neun, zehn, elf, …reicht das???? Ohgott ohgott, ich glaube nicht. Na gut, noch eine Hand voll …!" Da stand das Reh auf der Waage und war mit seinem Gewicht unzufrieden und jammerte: "So ein Mist, ich muss noch zunehmen, so passt mir mein Wintermantel nicht. Wenn ich nicht dick genug bin, pfeift der Wind durch und ich muss frieren." Da suchte die Schwalbe ihren Atlas: "Wo geht es denn nun nach Afrika …?" und die Meise fragte ihre Freundinnen: "Wer hatte denn im letzten Winter die leckersten Körner im Vogelhaus… ?" Da schimpfte die Nachbarskatze: "Ja, die von gegenüber haben letzten Winter keinen Schnee gefegt und ich hatte einen nassen und kalten Bauch!"

Da konnte doch so ein neugieriger Igel wie unserer doch nicht einfach schlafen gehen und was zum Teufel ist "Schnee"?

Nee, nee! Da hatte unser Igel Neugier ja noch Plan B! Eines Tages, als er wieder mal die Vögel belauschte, hörte er wie diese sich über den Kindergarten unterhielten. Das hörte sich toll an, da gab es eine Eichhörnchengruppe, eine Füchschengruppe, eine Schneckengruppe - und eine Igelgruppe! Eine Kindergarten-Igel-Gruppe! Nüscht mit Bettchen suchen und heiaheia-Winterschlaf. Nein, Igel Neugier wollte in den Kindergarten und zwar in die Igelgrupppe und den ganzen Winter über lernen.

Sofort machte er sich mit einer kleinen Schulmappe auf den Weg. Er wollte ein Kindergartenkind sein!

Aber es war ganz schön schwierig. Nach einem Tag Laufen kam er am Kindergarten an. Aber alles war voller Menschenkinder. Überall liefen diese schreiend und stampfend an ihm vorbei. Als die Sonne langsam unterging und es dunkel wurde, gab es immer weniger Kinder die im Garten herumtollten. Eines nach dem Anderen verließ diesen tollen Ort. Als endlich auch die letzten Erwachsenen gegangen waren und Ruhe einkehrte, traute sich unser Igel Neugier aus seinem Versteck in der Hecke heraus. Er tippelte durch den Sand unter dem Klettergerüst, vorbei an der Sitzecke einmal um das große Haus. Aber es war keiner da. Kein Problem, Igel Neugier schnüffelte an der Rutsche, den Papiertonnen, dem Buddelkasten, dem Gartenhäus-chen, ja er kletterte sogar die Stufen zu der Veranda an dem kleinen Haus hoch und roch an den Erikatöpfen – aber nichts, keine Eichhörnchen, Schnecken, Füchse oder Igel. Hilflos sah sich Igel Neugier um. Ihm war so traurig ums Herz, dass er gar nicht merkte, dass er laut rief: "Ist denn keiner hier? Bin ich ganz allein?"

Ich glaube er wollte gerade losweinen, da hörte er die piepsige Stimme einer kleinen Hausmaus. "Hey du, was'n los?"

Unser Igel Neugier war so überzeugt, dass er ganz allein war, dass er vor lauter Schreck zusammenzuckte. Ängstlich drehte er sich um und fragte vorsichtig: "Wer wer wer bist Du denn?"

"Ich bin Klaus, die kleine Hausmaus" piepste es. "Und was bist Du für ein kummerliches Nadelkissen, was gibt es denn für einen Grund für Deinen Kummer?"

"Ich bin Igel Neugier" schniefte unser Igelchen. Und dann fing er an zu erzählen, dass er keinen Winterschlaf halten wollte, sondern es viel lieber hätte mit anderen Igelkindern etwas zu lernen. Dies sei schließlich der Kindergarten, so etwas wie eine kleine Schule und schließlich sollte es hier ja neben einer Eichhörnchengruppe, einer Füchschengruppe, einer Schnecken-gruppe auch eine Igelgruppe geben.

Ach fing Klaus, die Hausmaus da an zu lachen. Er lachte und lachte, bis er keine Luft mehr bekam. Dann musste er eine Pause machen. Und dann fing er nochmal an zu lachen. Kurz bevor unser Igelchen Neugier wieder in Tränen ausbrechen wollte, beruhigte sich Klaus. "Ist ja schon gut mein Nadelkissen. Ich lache ja nicht über dich," versuchte die Hausmaus zu beruhigen "es ist ja nur so, dass das wirklich nur ein Ort für Menschenkinder ist!"

Verwirrt schaute Igel Neugier drein: "Aber wo soll ich denn nun den Winter verbringen, und und und und ich wollte doch soooo viel lernen." Er schickte einen verzweifelten Blick über den ganzen Garten.

"Mmmh" überlegte Klaus, "da hab ich eine ganz tolle Idee! Weißt Du, komm mal mit." Verwirrt schaute Igel Neugier: "Wo bringst du mich hin?"

"Weißt du", piepste Klaus ganz aufgeregt "wenn wir hier in den Keller klettern, kannst du den Winter im Heizungskeller schlafen. Hier ist es warm und kuschlig und wenn du dich an dieses Heizungsrohr kuschelst, hörst du durch das Rohr jede Woche die tollsten Geschichten von der Leseoma vorgelesen."

Igel Neugier freute sich. Ach sah das gemütlich aus. Plötzlich musste unser Igelchen gähnen. Vielleicht könnte er ja mal ein kleines Nickerchen machen, nicht den ganzen Winter, aber so fünf Minuten wären jetzt nicht schlecht. Klaus lächelte, da hatte er ja im richtigen Moment die richtige Idee gehabt.

Mit einem letzten müden Blinzeln fragte Igel Neugier: "Und was hat das mit der Leseoma auf sich?"

Klaus piepste: "Das ist eine neue Geschichte, schlaf schön!"