Späte Würdigung für Hildegard von Bingen

von Peter Belitz

Wer als Müggelheimer in den vergangenen Jahren einen Besuch in unserer Partnergemeinde Odernheim gemacht hat, wird auch den Disibodenberg besucht haben - einstiger Wohnsitz der Hildegard von Bingen, die jetzt, 800 Jahre nach ihrem Tod, heilig gesprochen wurde.

Auf dem 250 Meter hohen Disibodenberg ist die Ruine des einstigen Klosters zu besichtigen. Den Namen hat der Berg von dem im 7. Jahrhundert dort ansässigen irischen Mönch und Einsiedler, dem heiligen Disibod. Nach Disibods Tod im Jahre 700 entstanden auf dem Berg eine Kirche und eine klosterähnliche Anlage. Zu Beginn des 12. Jahrhundert wurden die Kirche und die Klosteranlage erweitert und 1143 die kreuzförmige Basilika geweiht. Dieser Sakralbau hatte etwa die Größe des Mainzer Doms. Die Ausmaße sind heute noch an der Ruine zu erkennen. Ab 1108 ließ die Grafenfamilie von Sponheim eine Frauenklause auf dem Klostergelände errichten, in die im Jahre 1112 deren Tochter, die als Selige verehrte Jutta von Sponheim, zusammen mit Hildegard (von Bermersheim oder Hosenbach), der späteren heiligen Hildegard von Bingen einzog. Nach dem Tod Juttas folgte 1136 Hildegard ihrer Lehrmeisterin als Leiterin der Frauenklause. Sie und ihre Nonnengemeinschaft siedelten 1147–1151 in das neugegründete Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen über.

Während ihrer mehr als 30-jährigen Zeit auf dem Disibodenberg begründete Hildegard ihren Ruf als eine der bedeutendsten Frauen des Mittelalters. Sie verfasste zahlreiche religiöse Schriften und Schriften über Natur und Medizin. Sie war Komponistin von Kirchenliedern, gründete Klöster, Könige und Kaiser fragten sie um Rat, und stand mit dem Papst im Briefwechsel. Sie unternahm vom Disibodenberg Pilger- und Predigtreisen in die nähere und weitere Umgebung, predigte im Kölner und im Mainzer Dom. Auch wenn sie später als Hildegard "von Bingen" bekannt wurde, die Odernheimer sind der Meinung "Hildegard ist eine Odernheimerin", also eigentlich "Hildegard vom Disibodenberg".

Obwohl über die Jahrhunderte verehrt, wurde ihr erst in diesem Jahr die Ehre zuteil, dass Papst Benedikt XVI sie am 10. Mai heilig gesprochen hat. Das bedeutet, dass die Verehrung Hildegards auf die katholische Weltkirche ausgedehnt wird.

Einer Heiligsprechung in der katholischen Kirche gehen jahrelange, wie in Hildegards Fall, jahrhundertelange Vorbereitungen voraus. Am 7. Oktober wurde sie außerdem zur Kirchenlehrerin erklärt. Vor ihr wurde erst drei Frauen diese Ehre zuteil. Der Titel "Kirchenlehrer" ist einer der höchsten Ehrentitel, den die römisch-katholische Kirche für herausragende Gestalten ihrer Geschichte zu vergeben hat. Mit "Hildegard von Bingen" wurde damit eine herausragende Frau des Mittelalters geehrt, die nicht nur ihre Bedeutung als Mystikerin und Visionärin für die Kirche hat, sondern die neben ihrer schriftstellerischen und naturwissenschaftlichen Tätigkeit unermüdlich für Reformen in der Kirche eintrat.