Serie für den Natur- und Gartenfreund

Kleines Glück zu Weihnachten

von Marianne Schäfer

Ich erinnere mich an das erste Jahr nach Kriegsende. Wir lebten immer noch in völlig unzureichenden Lebensumständen. Sehr früh begann ein überaus kalter Winter. In den zerbombten Städten und Dörfern litten die Menschen unter Kälte und Hunger.

Wir Kinder hatten im Sommer viele Kienäpfel und Borke zum Heizen im Winter gesammelt. Im Wald lag kein Ästchen mehr am Boden. Jetzt hatten wir Schulferien. Es war Ende der Adventszeit und wir freuten uns auf den Heiligen Abend. Mutti hatte in der letzten Zeit Lebensmittelmarken gespart und nun mussten wir aufpassen, dass auch in den Geschäften Fett, Zucker, Mehl und Eier vorhanden waren. Ich ging gerne einkaufen, weil ich dann bei Bauer Hembt, bei dem ich immer Milch kaufte, in die Ställe zu den Tieren sehen konnte.

Es hatte schon früh geschneit und es wurde sehr früh dunkel. Wir Kinder saßen gerne in der einzigen, warmen Stube am Tisch. Wir malten Bilder mit unseren Weihnachtswünschen. Ob uns der Weihnachtsmann einen kleinen Schlitten oder Schlittschuhe bringt? Aber richtige Schuhe währen wohl besser. Oft saßen wir bei Kerzenschein. Nicht weil es die Vor-Weihnachtszeit war, sondern weil der Strom wieder mal abgestellt wurde. Dann konnte Mutti weder kochen noch backen. Auch Papa konnte nicht in seiner Garage arbeiten. Als ich am nächsten Tag einkaufen ging, begegnete ich wieder dem auffälligen Mann. Er sah arm und verwahrlost aus. Ein alter Wetterhut bedeckte sein graues Haar, die buschigen Augenbrauen. Der struppige Bart wucherte von den Ohren über Mund und Kinn. Seine Joppe und die Hose waren unsauber und seine Strümpfe hatten Löcher, der nackte Hacken war in den Holzpantinen zu sehen. Nie hat er auf meinen Gruß geantwortet. Trotzdem tat er mir leid. Einmal bin ich ihm vorsichtig gefolgt. Er wohnte in einem kleinen Behelfsheim, aber an seiner Gartentür war kein Namensschild.

Ich wusste, dass alle Menschen die in einem Behelfsheim wohnten, ausgebombt waren. Vielleicht war er allein, seine Angehörigen tot? Vielleicht ist er einsam, ohne Freunde? Am nächsten Tag ging ich wieder ins Dorf zum Einkauf. Diesmal bekam ich alles was wir zur Weihnachtsbäckerei benötigten. Nun konnten wir Plätzchen backen. Meine Schwester Brigitte, Mutti und ich, wir bereiteten den Teig. Unser kleiner Bruder spielte derweil mit seinen Bauklötzern. Mit Eifer rollte meine Schwester den Teig aus. Dann stachen wir mit den kleinen Förmchen lauter Herzen, Pilze, Häuschen und Bäumchen aus dem Teig. Gleich kamen sie auf das Backblech und dann in den Backofen. Wie hat das süß geduftet. Dann Kontrolle, dass sie nicht zu braun wurden. Schnell raus aus dem Ofen und das nächste Blech hinein. Einige Plätzchen waren doch zu braun, die mussten weg. Sie verschwanden blitzschnell in unserem Bauch. Hmm, so knusprig und süß! Weiter ausstechen und backen.

Meine Schwester hatte schon eine neue Aufgabe von Mutti bekommen. Mutti wollte so viel wie möglich erledigen, so lange wie Strom da war. Sie hatte in der Bratpfanne Gerstenkörner geröstet. Sie waren zum Teil kräftig braun und schon abgekühlt. Nun wurden sie in die Kaffeemühle gefüllt, der Schiebeverschluss zu gemacht. Meine Schwester mahlte, auf dem Schemel sitzend. Die Kaffeemühle hatte sie zwischen die Knie geklemmt und drehte den Schwengel. Knisternd und knirschend wurden die Körner zermahlen. Wenn alle Körner gemahlen waren, dann kamen auch die getrockneten Zichorienwürzelchen in die Kaffeemühle. Zum Schluss wurde alles vermischt und fertig war unser Kaffee, der so genannte "Muckefuck". Auch ich war mit den Mürbeteig Plätzchen fertig. Zum Schluss, als alles abgekühlt war, wurden Plätzchen und dann auch der Kaffee in bereitgestellte Blechdosen gefüllt.

Über Nacht hatte es wieder geschneit. Es war draußen so feierlich still, märchenhaft, wie verzaubert. Die großen Kiefern ließen ihre dick beschneiten Äste tiefer hängen. Der Gartenzaun, die Heckensträucher, das Bienenhäuschen, alles war dick mit glitzerndem Schnee bedeckt. Heute ist der besondere Tag, heute ist Heilig Abend, sagte ich mir voller Freude. Papa hatte gestern noch ein kleines Kiefernbäumchen besorgt und Mutti schmückte den Baum und die ganze Stube mit Tannenzweige, silbernem Lametta, roten Kugeln und kleinen Holzengelchen. In der Stube duftete es jetzt richtig wie Weihnachten, nach Kuchen und harzigem Kien. Nach dem Mittagessen ging Papa mit uns Kindern zu einer kleinen Schneeballschlacht raus auf die Straße. In der Zeit füllte Mutti die bunten Weihnachts-Pappteller. Jeder bekam das Gleiche. Da standen sie auf dem Tisch. Bunt gefüllt mit rotgelben Äpfeln, Nüssen, mit den gemeinsam gebackenen Plätzchen, süßen Fondants und einem Riegel Schokolade. Nun sollte es zum Krippenspiel in die Kirche gehen. Während unserem kleinen Bruder das Mäntelchen angezogen wurde, nutzte ich die Gelegenheit, in Windeseile von jedem Teller zwei Plätzchen, zwei Nüsse, ein Fondant zu stibitzen. Ich legte von meinem Teller noch extra drei Plätzchen mehr und einen roten Apfel in das bereit gelegte Papier. Alles schnell eingepackt und mit einem Band zugebunden.

Als wir uns auf den Weg zur Kirche machten, wurde es schon langsam schummerig. Dann kamen wir zu der Stelle wo der Weg zum einsamen Mann führte. Schnell lief ich die kurze Strecke zu dem Behelfsheim und hängte das kleine Päckchen an die Gartentür. Mit dem freudigen Gefühl, diesem Menschen eine kleine Weihnachtsfreude gemacht zu haben, ging ich in die Kirche. Mit Freude im Herzen habe ich, neben meinem Vater sitzend, die Weihnachtslieder gesungen und dem Krippenspiel von Christi Geburt zugesehen.