Geschichten aus dem Müggelwald

Carlos macht Urlaub

von Anne Müller

An einem sonnigen Vormittag im April beschloss der rothaarige Kater Carlos seinen ersten und wohlverdienten Frühjahrsurlaub anzutreten. Bereits im November des Vorjahres hatte er alle Vorkehrungen für die Reise getroffen. So hatte Carlos im Vorfeld die Damen seines Herzens erwählt und sie durch langes Schnurren und Werben erobert und er buchte ein Komplettpacket für einen romantischen Liebesurlaub mit fünf Katzendamen nebst Halbpension bei der Reiseagentur Katerflink. Seit Wochen freute sich Carlos auf seinen Liebesurlaub und futterte sich für die kommenden Tage und auch für die Damenwelt ein rundes Bäuchlein an. Die gemütlichen Sofaabende bei der Oberkatze langweilten ihn schon lange und als endlich der April nahte, marschierte Carlos ohne sich zu verabschieden los zu seiner ersten Herberge. "Ach wie abenteuerlich", dachte er, als er die gebuchte Gartenterrasse in der vorderen Lettweiler Straße betrat. Die grau getigerte dicke Hauskatzendame empfing ihn mit einem Schälchen Sheba und zeigte ihm den Garten und die Garage. Carlos verbrachte einen romantischen Sonnenuntergang gemeinsam mit ihr und legte sich zufrieden unter der Terrasse zur Ruhe. Am nächsten Morgen verließ er das Anwesen schon früh und wanderte weiter durch die Gärten an der Lettweiler Straße. Sein zweiter Pensionsaufenthalt gestaltete sich etwas komplizierter. Anscheinend hatte ein älterer durchaus potenter weiß-brauner Kater das gleiche Zimmer im Schuppen gemietet. Die Katze des Hauses ließ es sich gefallen umworben zu werden und begrüßte beide Kater mit einem frechen Schwanzwedeln. Carlos musste nun kämpfen um wenigstens in der Nähe seiner Geliebten bleiben zu können. Der braune Kater gewann natürlich den Kampf und Carlos blieb nichts weiteres übrig, als diese Stätte weinend zu verlassen. Inzwischen hatte die Oberkatze die Abwesenheit des geliebten Katerchens bemerkt und begann, sich Sorgen zu machen. Gemeinsam mit der Unterkatze wurden sämtliche Nachbargrundstücke besucht und man hängte Vermisstenanzeigenzettel an allen möglichen Laternenmasten auf. Vergebens. Carlos hatte andere Sorgen. Wie sollte er die nächsten zwei Tage überbrücken? Schließlich war sein nächster Aufenthaltsort noch besetzt. Am späten Abend fand er die Jugendherberge Waldfrieden und bezog Quartier. Hier war nix los und so beschloss bis zum Morgen einen Abstecher in die Duchroter Straße zu machen. Was für ein Glück. Er fand eine potente schwarze Mieze auf einem Wellblechdach und gesellte sich schnell zu ihr. Ganz verliebt schnurrte er und putzte ihr Fellchen bis er plötzlich den gellenden Schrei der Oberkatze hörte: "Carlos, wo bist du?". Die Oberkatze sah ziemlich fertig und verzweifelt aus, denn sie war die letzten Nächte in Müggelheims Straßen mit der Taschenlampe unterwegs gewesen. Kurzzeitig empfand er Mitleid aber dann flüchtete er schnurstracks in den nächsten Garten und lief zurück zur Herberge. So ein Ärger. Die Oberkatze hatte ihm sein Rendez-vous verdorben. Noch einen Tag lag er müde in der Herberge und wanderte dann zum letzten Reiseziel in das Hirseländer Garteneck. Zum großen Schrecken belauerten hier drei Monsterkater die ansässige Perserkatze, so dass Carlos keine Chance auf ein romantisches Abenteuer hatte. Auch gab es hier kein Essen- die anderen waren halt schneller als er am Napf. Auch der braun-weiße Katzenopa war wieder von der Partie. Enttäuscht und frustriert brach Carlos den Urlaub schon nach dem fünften Tag ab und lief völlig abgemagert heimwärts zur Oberkatze. Was für eine freudige Wiederkehr. Die Oberkatze kam weinend vor Glück auf ihn zugelaufen und überhäufte ihn mit Küsschen und Schälchen mit feinstem Futter. Er schlief in dieser Nacht warm und sicher. Das nächste Mal würde er einen Wanderurlaub in der Laubenkolonie machen, ohne untreue Katzendamen und wütende Altkater.