Das Leben der Ur-Großeltern erkunden

Grundschule feierte 80. Geburtstag mit vielen Aktionen für die Kinder

von Simone Jacobius

Zeitzeugen zu befragen ist spannend. Die Fünftklässler waren engagiert bei der Sache.

Ein Fahnenappell ohne Fahnen, Spiele wie von anno dunnemals und eine komische Schrift namens Sütterlin: Die Schüler der Müggelheimer Grundschule hatten kurz vor den Herbstferien am 16. Oktober zwei ganz aufregende Unterrichtsstunden. Grund war der 80. Geburtstag der Schule. "Wir wollten diesen Tag nicht einfach unbemerkt verstreichen lassen. Deswegen haben wir uns unterschiedliche Stationen ausgedacht, an denen die Kinder Einblicke in die damalige Zeit bekommen konnten", erklärte Schulleiterin Ute Samper. 

Zum Appell auf dem Schulhof erklärte sie, das zu besonderen Anlässen die Schüler früher auch so auf dem Schulhof stehen mussten. Im Stationsbetrieb sollten die Kinder dann sehen, wie Kinder vor 80 Jahren gelernt haben, was sie gespielt haben, wie sie geschrieben haben und auch Zeitzeugen befragen. Der älteste Zeitzeuge war Olaf Adolphsen. Er ist gleich zwei Mal in Müggelheim eingeschult worden. Denn das erste Mal war noch während des Krieges 1944. "Als es plötzlich einen Alarm gab, wurde die ganze Veranstaltung abgebrochen. Dann bin ich erst nach Kriegsende 1945 wieder eingeschult worden – natürlich ohne Schultüte. Es gab ja damals nichts", erinnert er sich. In den Klassenräumen gab es Klappsitze, auf den Tischen standen Tintenfässer, geschrieben wurde mit Federn und manchmal gab es noch etwas mit dem Rohrstock. Später, als nicht mehr geschlagen wurde, mussten die Frechen draußen stehen. 

Dagmar Belitz erläuterte den Kindern, wie und wann damals die Schule gebaut wurde.
In der Turnhalle war das große Sprungseil stark gefragt. Fotos: Jacobius

Gebannt lauschten die Fünftklässler den Erzählungen der fünf Zeitzeugen, die zwischen 1944 und 1960 eingeschult worden sind. Und immer wieder schossen die Arme in die Höhe um die nächsten brennenden Fragen loszuwerden. "Wenn die Jungs ein Mädchen ärgern wollten, haben sie häufig ihren Pferdeschwanz ins Tintenfass getunkt", erzählt Frau Remus, die 1950 eingeschult wurde. So mancher Junge bedauerte in dem Moment, dass es heute keine Tintenfässer mehr gibt… Als Schwester Inge erzählte, dass sie damals 30 bis 36 Schüler pro Klasse waren, gab es einen kollektiven Aufschrei des Entsetzens der Schüler. Was die Schüler noch in Erfahrung brachten? Es gab keine Schuluniformen; die damaligen Schüler waren mit ihren Lehrern zufrieden; das Einschulungsprogramm für die Neulinge gestalteten immer die Zweitklässler; das Schulessen wurde von den umliegenden Gaststätten geliefert; die Schüler mussten zum Essen ihr eigenes Essgeschirr mitbringen; auch außerhalb des Unterrichts wurde viel gemeinsam gemacht – Ski- und Schlittschuhlaufen, Kartoffelkäfer sammeln, tauchen. "Wir haben an der Schule immer viel Sport getrieben, es war quasi eine Sportschule. Auch wenn wir sonst unterwegs waren haben wir viel in der Natur getobt und sind auf Bäume geklettert", erinnerte sich Herr Remus. Von solch einem Freizeitprogramm konnten die Kriegskinder wie Olaf Adolphsen allerdings nur träumen. Sie waren glücklich überhaupt zur Schule gehen zu können und regelmäßig Essen zu bekommen.

Apropos Sport: Hopse, gruppenweises Springseilspringen, Blinde Kuh, Reifen treiben oder Besenspiel balancieren – in der Turnhalle konnten die Kinder unter Anleitung von Sportlehrerin Angelika Werbellow und ihren Assistenten aus der Sechsten diverse alte Spiele ausprobieren. Vor allem das riesige Springseil und die Holzreifen hatten es den Kindern angetan. "Ein Klassiker ist natürlich noch Gummihopse. Aber das spielen unsere Kinder auch heute noch auf dem Schulhof", erzählt sie.

1934 wurde die Schule feierlich eröffnet, damals erst mit vier Klassen und nur dem heutigen Altbau. Allerdings gab es noch eine Wohnung für den Hausmeister und immerhin schon verschließbare Garderobenschränke! 1951 entstanden dann der Zwischengang und der Neubau – allerdings erst als erste Etappe, denn es sollten noch viel mehr Bauabschnitte folgen. Ab dem Zeitpunkt wurde im Gang gegessen, gleichzeitig diente der Gang als Aula u.a. für die Einschulungsfeiern und auch als Turnhalle mit Sprossenwänden. "Alles war möglich, bis auf Stufenbarren. Da reichte die Deckenhöhe nicht aus", erzählt Dagmar Belitz, die die Geschichte und die Fehlplanungen der Schule erforscht hat und sie kleinen Gruppen von Schülern nahebrachte. Erst 1977 gab es den nächsten Erweiterungsbau, der Teil, in dem heute der Essensraum und die ersten Klassen untergebracht sind. Der Durchgang hatte zwar ein Dach aber keine Wände. Deswegen pfiff der Wind dort förmlich. Erst 1984 wurde die heutige Turnhalle gebaut. Vorher turnten die Kinder in der alten Halle auf dem heutigen Sportplatz.

Frau Tunsch, die Mutter eines Drittklässlers, war mit einigen Requisiten in der Schule erschienen – einem alten Schulheft und Pionierhalstüchern. "Zu meiner Zeit, das war von 1975 bis 1985, gingen hier doppelt so viele Schüler zur Schule wie heute. Das lag daran, dass wir bis zur zehnten Klasse hierher gehen konnten." Im Übrigen sei in Müggelheim immer alles etwas lockerer gehandhabt worden. So gab es auch nicht jeden Morgen den Pioniergruß "Seid bereit – immer bereit." "Wir waren halt trotz allem eine Dorfschule", schmunzelt sie.

Eine große Herausforderung für die Schüler war das Schreiben in Sütterlin. Zwar hatten alle das Alphabet vor sich liegen, aber schon an ihren Vornamen scheiterten die meisten.