Medizinische und andere Irrtümer

von MR Dr. med Rolf Förster

Unbeirrbar schwirren Fabeln durch die Welt, die bis vor Kurzem noch wissenschaftliche Gewissheiten waren. Klingt absurd, hat aber einen nachvollziehbaren Hintergrund: Wissenschaft ist ständig im Fluss, Erkenntnisse ändern sich. In der Medizin ist das hohe Alter einer Einsicht ein besonders guter Grund, sie kritisch zu hinterfragen. Vieles, was gestern noch als unerschütterliche Tatsache anerkannt war, erweist sich im Lichte neuer Untersuchungen als falsch. Derzeit werden z.B. Schüler in vielen gesellschaftlichen Belangen zu kritischen Bürgern erzogen. Auch weil das Hinterfragen von angeblich gesellschaftlichen Gewissheiten zu den Tugenden des aufgeklärten und mündigen Bürgers gehören sollte.

In der Medizin aber werden sie unmündig gehalten. Kein Wunder, wenn viele später immer noch an längst widerlegten Hokuspokus glauben. Auch Ärzte, sogar Professoren haben nicht immer recht, obwohl sie sehr eindrucksvoll aussehen in ihren weißen Kitteln. Und leider ist in Deutschland die Beratung von Bankkunden inzwischen gesetzlich besser geregelt als die Aufklärung von Patienten.

Eine Auswahl der bekanntesten Irrlehren habe ich bunt durcheinander auf den folgenden Seiten zusammengestellt.

Jeder muss täglich mehr als zwei Liter Wasser trinken

Nicht unbedingt. Bei Anstrengung oder Hitze mit starkem Schwitzen und Menschen mit Neigung zu Nierensteinleiden und Blasenentzündungen sicher ja. Aber im normalen Alltag muss man auch den Flüssigkeitsgehalt in Suppen, Soßen, Brot, Gemüse, Obst, Kaffee oder Tee berücksichtigen. Es gilt die Faustregel: Man sollte so viel trinken, dass man 1,5 - 2 Liter Urin am Tag ausscheidet. Wer wenig, aber hochkonzentrierten Urin ausscheidet, hat ein höheres Risiko, Nierensteine zu bekommen. Ansonsten: Der Körper weiß selbst, wieviel Flüssigkeit er benötigt, und meldet sich bei Bedarf – das nennt man nämlich Durst. Mehr braucht er nicht. Einige ältere Menschen, bei denen das Durstgefühl nicht mehr so richtig anspringt, sollten allerdings ab und an dazu animiert werden, etwas mehr zu trinken.

Ein Schnaps nach dem Essen fördert die Verdauung

Zwar regt Alkohol die Produktion von Magensäure,Enzymen und Gallensekret an, jedoch wird die verdauungsfördernde Wirkung durch Belastung der Leber, welche sonst ebenfalls Verdauungsarbeit leistet, praktisch aufgehoben. Im Gegenteil, er hilft schon gar nicht bei der Fettverdauung, denn für den Abbau des Alkohols benötigt man die Verdauungsenzyme, die eigentlich für die Nahrungsverdauung benötigt werden. Das Gefühl der Erleichterung, das jemand nach einem "Verdauungsschnaps" verspürt, beruht auf einer Betäubung der Magennerven. Bei einem guten Magenbitter wirken die enthaltenen Kräuter allerdings dennoch etwas verdauungsfördernd. Lieber einen Kaffee oder Espresso trinken, das hilft der Verdauung wirklich auf die Sprünge.

Zitronen enthalten das meiste Vitamin C

Zitronen, Orangen und Grapefruits enthalten mit durchschnittlich 50 Milligramm reichlich Vitamin C. Aber Hagebutte (1250 mg), Sanddorn (266 mg) und schwarze Johannisbeere (180 mg) weisen einen wesentlich höheren Gehalt auf.

Brauner Zucker ist gesünder als weißer

Nein, alle Sorten von Zucker sind gleichermaßen ungesund. Bitte bei Bonbons auf zuckerfreie und solche ohne Zusatz von Vitaminen achten.

Vegetarier leiden an Eisenmangel, weil sie kein Fleisch essen

Kann schon mal vorkommen, wenn sie aber viel Nüsse, Hülsenfrüchte, Schwarzwurzeln, Möhren, Petersilie und Schnittlauch sowie Spinat und Roggenvollkornbrot essen, kommt es nicht zu einem Eisenmangel. Bei strikter veganer Ernährung kann es allerdings neben Eisenmangel schon mal zu Mangelerscheinungen an Eiweißen, Vitamin B2, Vitamin B12, Vitamin D, Calcium und Jod kommen, was besonders für werdende Mütter und Stillende gefährlich werden kann (schwere neurologische Störungen und Störungen der Blutbildung).


Wissenschaft entwickelt sich beständig weiter, Erkenntnisse ändern sich. Deswegen sollte man viele Erkenntnisse – besonders wenn sie schon älter sind – genauer hinterfragen. Vieles, was gestern noch als unerschütterliche Tatsache anerkannt war, erweist sich im Lichte neuer Untersuchungen als falsch. Die Fortsetzung einer Auswahl der bekanntesten Irrlehren sind hier bunt durcheinander zusammengestellt.

Lesen bei schlechtem Licht oder viel Fernsehen verdirbt die Augen

Diese Meinung stammt mehr von den Erziehern als aus der Medizin. Trifft auf Erwachsene nicht zu. Die Augen werden zwar dabei mehr angestrengt, was zur Ermüdung führt, aber zu keiner Sehschwäche. Anders bei Kindern, hier kann die Anstrengung ein Wachstum des Augapfels anregen, was eine Kurzsichtigkeit begünstigen kann.

Nach dem Tod wachsen Haare und Nägel weiter

Unsinn, nach dem Tod zersetzen sich die Zellen von Fingern, Zehen und der gesamten Haut sehr rasch – da wächst nichts mehr, obwohl es auf dem ersten Blick so scheint. Es schrumpft eben die Haut und lässt die Nägel länger aussehen.

Wir nutzen angeblich nur einen Bruchteil unseres Gehirns

Es hieß, der Mensch schöpfe nur zehn oder maximal 25 Prozent seiner Hirnkapazität aus, der Rest läge einfach brach. Durch Untersuchungen mit Magnetresonanz- und Positron-Emissions-Tomographien weiß man, dass es keinerlei inaktive Bereiche im Gehirn gibt.

Je größer das Gehirn, desto schlauer der Mensch

Was zunächst mal logisch klingt, ist erwiesenermaßen Quatsch! Nicht die Größe, sondern die Struktur des Denkorgans ist entscheidend. Es kommt also in erster Linie auf die Dichte der Nervenzellen sowie die Verbindungsstrukturen der einzelnen Bereiche im Gehirn an.

Der Schlaf vor oder um Mitternacht ist der wichtigste

Kommt darauf an, denn die biologische Mitternacht schlägt nicht um 24 Uhr, sondern zwischen drei und vier Uhr morgens. Da sind alle unsere Systeme am Tiefpunkt.Erholsam ist der Schlaf generell zwei bis drei Stunden nach dem Einschlafen. Wann man einschläft, ist egal, wobei jeder seinen eigenen, genetisch bedingten Schlafrhythmus hat. Ein Minimum von fünf Stunden Schlaf pro Tag sollte nicht unterschritten werden! Also die erste Hälfte des Schlafes ist am wichtigsten, denn da hat man besonders viele Tiefschlafanteile. Übrigens wussten Sie schon:

  • Wir verändern 20-60 Mal im Schlaf unsere Lage.
  • Auch gute Schläfer wachen nachts auf. Etwa 60 Mal. Diese kurzen Wachepisoden beeinträchtigen den Erholungswert unseres Schlafes aber nicht.
  • Die Deutschen schlafen laut einer Studie im Schnitt sieben Stunden und acht Minuten. Der Wecker klingelt in der Regel um 6.23 Uhr.
  • 14 Prozent der Bundesbürger halten einen Mittagsschlaf.
  • 29 Prozent der Frauen und 18 Prozent der Männer in Deutschland leiden unter Schlafstörungen und jeder Zehnte davon ist deswegen behandlungsbedürftig.

Ältere Menschen benötigen weniger Schlaf

Die Meinung, dass ältere Menschen weniger Schlaf benötigen als junge, ist falsch. Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen, dass bei älteren Menschen die Fähigkeit abnimmt, lange und durchgehend schlafen zu können, wodurch oft nachts ein Schlafdefizit entsteht. Da der Bedarf an Schlaf mit steigendem Alter aber nicht sinkt, halten viele Senioren tagsüber ein "Nickerchen", um das Defizit auszugleichen.

Lange schlafen ist gesund

Wie viel Schlaf wir brauchen, ist individuell verschieden. Sieben bis acht Stunden gelten als normal. Bisher galt: Dauerhaft zu wenig Schlaf ruiniert die Gesundheit. Nun gibt es Hinweise, dass auch Langschläfer Ungesundes tun. Ihre Anfälligkeit für (psychische) Krankheiten und die Sterblichkeit seien erhöht. Eine Erklärung dafür liegt noch nicht vor. Es existieren allerdings bei einigen Menschen sogenannte Schlafgene, die wiederum einige Menschen länger schlafen lassen.