Serie für den Natur- und Gartenfreund

Die lange Geschichte vom Chausseehaus

von Marianne Schäfer

Jeder wird auf dem Weg nach Köpenick, etwa auf der Hälfte der Strecke, das zweigeschossige rote Backsteinhaus dicht an der Straße bemerkt haben: das Chausseehaus. Immer hab ich dann den Wunsch gehabt, einmal zu ergründen, was es mit diesem Haus für eine Bedeutung oder Geschichte auf sich hat.

Vor Jahren hab ich Achim Baeyer gefragt, aber eine korrekte Auskunft konnte er mir auch nicht geben. Ähnlich ist es dem Müggelheimer Wolfgang Behrend gegangen. Aber er hat schon öfter in unserem Territorium, die Histoprie alter Gebäude erkundet. Alte, ehemalige Gaststätten zu erforschen, ist gar nicht so einfach. Aber er hat das schon öfter, bis zum ersten Gründungstag geschafft. Man kann schon sagen, er ist, so ganz privat, ein Heimatforscher geworden. 

Für das Chausseehaus hat aber auch er etliche Klärungsgespräche, Wege und Telefonate gebraucht. Eines Tages kam er freudestrahlend zu mir. "Jetzt hab ich eine Genealogie-Zeitschrift zugeschickt bekommen, hier ist alles genauestens dokumentiert. 14 gedruckte Seiten." Dann gab er mir diese Zeitschrift zu lesen. Auch ich war freudig überrascht. Hier war alles dokumentiert was wir wissen wollten. Allerdings nur die Menschen, aber im Zusammenhang mit ihrem interessanten Leben.

Es war das ganze Leben des Johann August Saß geschildert. In diesem Lebensverlauf wurden interessante Vorkommnisse und Namen geschildert. Wenn man das liest, taucht man ein in unsere Vergangenheit. Einiges möchte ich daraus erwähnen.

Die Vorfahren von Johann August Saß, waren Landarbeiter und Bauern. Sie waren ansässig in den Dörfern um Ragnit (beitseits der Mehmel). Johann August Saß wurde 1846 in dem kleinen Dörfchen Klapaten geboren, im Kreis Ragnit, und Deutsch sprechend. Er war ein guter und fleißiger Schüler. Nach seiner Konfirmation ging er zum königlichen Kreisgericht in Ragnit. Er meldete er sich zum Militärdienst in Potsdam zum 1. Garde-Regiment. Später war er beim Elite-Regiment. Bald wurde das Soldatenleben blutiger Ernst. Die Beziehungen zwischen Preußen und Österreich wurden gespannt. Der König und spätere Kaiser Wilhelm I. war beim Anmarsch im Lustgarten vor dem Stadtschloss. Später der Einmarsch in das Eulengebirge mit großen Strapazen. Die folgende Entscheidungsschlacht um die Festung König Grätz, wurde später weltberühmt. Die Österreicher verloren bei den Kämpfen 200 Mann. Für die Soldaten gab es nur geringe Verpflegung und geringe Entlohnung.

Johann August Saß wurde nach dem 66er Krieg zum Unteroffizier befördert. Das erste Garde-Kommando des Rittmeisters traf auf das Kommando des Rittmeisters Graf Pückler. Viele Verwundete konnten nicht ausreichend behandelt und verbunden werden. Ohne Hilfe mussten Offiziere und viele von den Mannschaften die Nacht unter freiem Himmel zubringen. Danach kehrte Saß nach Potsdam zurück.

Bald nach dem Krieg gründete Saß eine Familie. 1873 heiratete er seine Frau in der Garnisonkirche in Potsdam. Nach zwei Jahren verließ Saß das 1. Garde-Regiment. Danach hatte er eine Anstellung bei der Landgendarmerie in Britz. Hier wohnte er auch mit seiner Familie. Durch Beziehungen zumLandrat H. Stubenrauch, welcher Saß als stets tadellosen Menschen kannte, konnte er sich für eine Stellung als Chaussee-Aufseher bei Forstmeister Krieger bewerben. Saß bekam die Stelle nach einer Probezeit, ab dem 1. August 1890. Zu dieser Zeit begann der Chausseeneubau von Coepenick bis Fahlenberg. Die Chaussee war etwa zehn Kilometer lang. Die Anstellungsurkunde wurde neu geregelt. Danach wurde Saß zum Kreis-Chausseeaufseher mit fester Anstellung. Sein Jahresgehalt: 1200 Mark, bei freier Dienstwohnung im Chausseehaus.

Saß bezog 1891 die obere Wohnung mit seiner Familie. Er konnte den großen Garten nutzen, der geeignet war, um Hühner und Enten, aber auch Schweine und Ziegen zu halten. Damit hatte er für seine Familie eine gute Basis.

Die Chaussee war für Fahrzeuge aller Art gebührenpflichtig. Am Schlagbaum, der von dem Pächter der unteren Wohnung bedient wurde, mussten die Kremserfahrer oder die Kutschenlenker bezahlen. Die Straßenbenutzungsgebühren wurden noch bis in das 20. Jahrhundert hinein erhoben.

Aufgabe von Saß war die Unterhaltung der Chaussee, das gesamte Baugeschehen der Straße. Dafür waren drei bis vier Bauarbeiter notwendig. Saß war für die gesamten Arbeiten an der neuen Chaussee, auch des Sommerweges, der Gräben und der Chausseebäume und im Winter fürsSchneeschippen zuständig. Anzumerken ist: Die Straßenführung verlief früher, von Müggelheim kommend, weiter als heute geradeaus. Erst vor den feuchten Wiesen kam eine scharfe Abbiegung, die dann direkt auf das Zollhaus zuführte.

Über 18 Jahre, von 1893 bis zu seinem Tode 1910, hat Johann August Saß diese Funktion bekleidet. Saß hat in der gesamten Zeit Tagebuch geführt. Daher ist sein Alltag, auch mit der Familie, ziemlich klar dokumentiert. Er schildert darin unter anderem die Grundsteinlegung für die Bismarck-Warte, welche auf dem höchsten Punkt der Müggelberge errichtet wurde. Saß berichtet, dass am 23.5.1903, bei klarem, blauen Himmel, etwa 5000 Personen, alles feine Personen, erschienen waren.

Am 6.10.1904 konnte er mit Genugtuung in sein Büchlein notieren: herrliches Wetter zur Einweihung der Bismarck-Warte. Es war eine prächtige Feier, mindestens 20.000 Menschen waren versammelt. Vereine waren mit etwa 50 Fahnen erschienen, es sah sehr feierlich aus. Er schildert auch die Lebensverhältnisse. Man litt nicht nur keine Not, sondern konnte sich auch manchen Extrawunsch erfüllen. Die Bismarck-Warte wurde leider am letzten Tag des Hitlerkrieges von einem Sonder-Kommando gesprengt.