Ferienlager im Spreeheim
Spreeheim heißt ein Anwesen in Müggelheim, gelegen zwischen der Spree und den Schönhorster Wiesen. Bebaut im Jahre 1928 mit einem Gebäude im Heimat-Stil für eine „Brandstoff-Gesellschaft“. Inzwischen sind auf der Fläche noch mehrere kleinere Bauten hinzugekommen. Ein Blick in die Vergangenheit dieses Areals.
Ein Foto in der Zeitung
Anfang Juni des Jahres 1947 vermeldete das SED-Parteiorgan „Neues Deutschland“: Ferienlager für 8000 Jugendliche: In der Zeit vom 1. bis 14. September sollen für etwa 8000 Berliner Jugendliche Ferienlager in Biesenthal, Pätz, Prieros an der Dubrow, Rahnsdorf und der Schorfheide errichtet werden. Diese Lager werden vom Organisationskomitee der FDJ Berlin vorbereitet. Der 14-tägige Aufenthalt in einem dieser Ferienenlager wird 15 RM kosten“. Später dann verbreitete die Bildagentur Zentralbild ein Foto des Profi-Fotografen Otto Donath. Das stimmungsvolle Bild zeigte eine fröhliche Schar gut gekleideter Kinder, spielend auf einer Wiese vor der Giebelansicht eines respektablen Hauses. Aus einem der Fenster hing die Fahne des erst vor gut einem Jahr im mecklenburgischen Schwerin gegründeten neuen Jugendverbandes von Deutschland, der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ). Damit korrespondierte die geografisch leider sehr unscharf gehaltene Bildunterschrift: „Berlin 1947, Ferienlager der FDJ in Berlin-Rahnsdorf“. Bildberichte zu den anderen genannten Orten sind nicht bekannt geworden.
FDJ und Ferienlager
Die betreffende Örtlichkeit konnte mit freundlicher Hilfe von Rahnsdorfer Heimatforschern als das Spreeheim verortet werden. Sie ist vermutlich nicht zufällig als Ferienlager gewählt, sondern war auch zuvor schon ähnlich genutzt worden, in diesem Fall als „Reichsschule Müggelheim-Wilhelmshagen“ (damalige Adresse: An den Müggelwiesen, Straße 34, Tel.:
64 93 93) der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Die DAF war bekanntlich 1933 nach der Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nazis an deren Stelle getreten. Diese Schule war nach dem Krieg in die Verfügung der Russen und ihrer deutschen Kollaborateure gelangt. Von den übrigen in der Meldung genannten Lager-Adressen ist z.B. bekannt, daß in Prieros eine Marineschule der Hitler-Jugend (HJ) bestanden hat. Weitere Reichsschulen der Deutschen Arbeitsfront haben u.a. bis Kriegsende im sächsischen Augustusburg und in Jena bestanden. Ferienlager für Schulkinder übrigens hatte es auch bei den Nationalsozialisten gegeben, zu jener Zeit üblicherweise von Nazi-Organisationen, wie der HJ, der NSV oder dem BDM organisiert.
Interessant bleibt, dass so kurze Zeit nach dem Kriegsende überhaupt schon solche Aktivitäten wie Ferienlager auflebten. Immerhin war der zurückliegende Winter äußerst streng gewesen, erst Anfang März war der Dauerfrost gewichen. Viele Menschen in Berlin waren erfroren, beziehungsweise wegen der enorm prekären Ernährungslage und Gesundheit gestorben.
Überraschende Gemeinsamkeiten in der Beeinflussung, Kontrolle und Organisation gerade der heranwachsenden Generation in den Zeiten vor und nach dem Krieg hat kürzlich eine Arbeit auch im Hinblick auf die Feriengestaltung gut herausgearbeitet. Das hieß in diesem konkreten Fall, daß auch die FDJ nichts dem Zufall überließ. Schon gar nicht in jener Zeit, als die Kooperation der Siegermächte kurz vor dem Umkippen in eine Konfrontation stand.
Wie später bekannt geworden ist, war die Ferienlager-Aktion die quasi erste größere politische Aktion der FDJ in Berlin, die wegen des Viermächtestatus erst später als in der Sowjetischen Zone agieren konnte (offizielle Zulassung für Berlin November 1947). Die Planungen des Organisationskomitees aus der Hosemannstraße 14 dafür hatten zwar schon im April 1947 eingesetzt, aber in letztlich nur vierzehn Tagen Vorbereitungszeit mussten u.a. die Schlafgelegenheiten, sprich Strohsäcke herbeigeschafft und auch reichlich Agitatoren unter die Teilnehmer gemischt werden. Die nämlich hatten dann Diskussionen in eine genehme Richtung zu lenken.
Größtes Problem blieb der Transport. Nach Rahnsdorf sollen die Kinder mit der Straßenbahn gelangt sein. Von dort müssen sie wohl mit der Fähre über die Müggelspree gesetzt haben. Die in der Nähe vorüberführende S-Bahnstrecke nach Erkner besaß zwar in der Ortschaft Rahnsdorf eine Haltestelle, war indes 1945 für die Russen vollständig demontiert worden und wartete 1947 auf eine Wiederherstellung. Andere Lager wurden mit dem Dampfschiff angefahren, schlimmstenfalls mit einem Holzgas-Lastwagen über holprige Straßen, Busse waren absolute Mangelware und Benzin sowieso.
Zwei Drittel der Jugendlichen übrigens hatten vor dem Lager mehr oder weniger starkes Untergewicht. Für die 96 Berliner Mädchen und 58 Jungen gab es dann in Müggelheim aber reichlich zu essen. Zu Beginn durften sie ihre dürftigen Lebensmittelkarten der Stufe 5 gegen solche für Schwerarbeiter tauschen, dazu kamen Kontingente auch von den Russen. In allen Lagern waren bei der Aktion von Juni bis September von über 7000 Kindern und 500 Helfern über 20 Tonnen Fleisch, 60 Tonnen Brot und 67 Tonnen Kartoffeln verzehrt worden. Für diese Wonnen hatte es lange Zeit zuvor schon eine Garantie des Sowjet-Generals Kotikow gegeben. Die Anzahl der Untergewichtigen war nach dem Ferienlager deutlich gesunken.
In der Zeit vom 1. bis zum 18. August 1947 beherbergte das Lager nur Schulkinder, ansonsten Jugendliche von 14 bis zu 25 Jahren. Diese Spanne war in späteren Berichten aber als zu groß eingeschätzt worden. Gewandert und diskutiert wurde viel, zur kulturellen Betreuung wurden Bücher und Zeitungen angeboten,
DEFA-Filme mit zumeist sowjet-sozialistischem Inhalt konnten angesehen werden.
In Brandenburg waren bereits im Sommer 1946 solche Lager unter der Regie der FDJ veranstaltet worden, unter anderem bei Wernsdorf. Dort war ein ehemaliges Gasthaus und Wehrmachtsoffiziersheim 1945 in den Besitz der Stadt Berlin gekommen, wo es anschließend zehn Jahre lang als ein FDJ-Ferienlager genutzt wurde.
Müggelheim
Nicht eben zufällig haben nach dem Kriegsende die Russen und die neuen sozialistischen Machthaber ein Auge auf das Spreeheim gehabt. Verschiedene Institutionen des DDR-Staates haben sich dann wohl als Nutzer abgewechselt. Aber es gibt auch Menschen, die dort „wieder mal“ Kaffee trinken oder Eisbein essen möchten. Was also war „Spreeheim“ denn nun wirklich? Inzwischen ist es offenbar, dass „Spreeheim“ eines von sieben Gästehäusern der SED gewesen ist, also nicht nur FDJ und GST waren dort! Der Befund ist so überraschend nicht, haben doch die Kommunisten auch schon immer gewusst, wo es lauschig ist.
Der Fotograf Otto Donath aus der Treptower Defreggerstraße 15 (*1898, †1971) hatte bereits vor und während des Krieges offiziell fotografiert, damals noch zeitweise als Mitarbeiter der New York Times und als Kriegsberichterstatter für die Propagandakompanien der Nazis. Später hat er, offenbar gewandelt, für die Rote Armee gearbeitet, und in der „Neuen Berliner Illustrierten“ war er auch oft präsent. Dies kostete ihn übrigens seine Lizenz für Westberlin. Ihm verdanken wir heute – neben den Fotos vom Spreeheim – viele unersetzliche Zeugnisse zu allen möglich Ereignissen und Dingen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit im östlichen Deutschland und in Berlin.
Spreeheim heute
Das Schulanwesen gehört heute zum Bezirksinventar, wie ein kleines Schild am Zaun verrät. Das Hauptgebäude macht einen leider vernachlässigten Eindruck, die Umzäunung erinnert eher an osteuropäischen Standard und ist ausbesserungsbedürftig. Die Lage indes an der Müggelspree bleibt allemal attraktiv.
Den großzügigen Parkplatz am Eingang haben Anwohner als Abstellfläche gemietet. Das dörfliche Umfeld gibt der Szene eine Aura von Abgeschiedenheit. Diese Tatsache soll Investoren für das Spreeheim bislang vergrault haben, der SED indes war es wohl gerade recht.
Übrigens wurde die Ferienlager-Aktion von 1947 im folgenden Jahr mit doppelter Belegung wiederholt. Ob dann Müggelheim wieder im Spiel war, ist unbekannt. Für seine Unterstützung in Form danke ich Herrn Voges sehr.