Eine Frage der Perspektive?

Ultrafeinstaub oder die Fabel von den zwei Fröschen

Die Meinung des Umweltkreises (UWK) in der evangelischen Kirchengemeinde zum Thema Ultrafeinstaub (Leserbrief Septemberausgabe) hat bei allen im Kampf gegen den Flughafen am falschen Standort engagierten Aktiven des „Gesamtbündnisses“ (BVBB/abb/BüSO) zu großem Erstaunen und Unmut geführt. Dass ausgerechnet vom Umweltkreis letztlich ein Plädoyer für die Umweltverschmutzung gehalten wird, mit dem Argument, durch Ultrafeinpartikel (UFP)-Messungen werde man den gesamten Flugverkehr gänzlich verbieten müssen, lässt vermuten, dass die Unterzeichner auch gegen die Behandlung chronischer Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck, Parkinson oder Krebs seien, weil man damit nur Symptome lindere, nicht aber die Heilung solcher Krankheiten vorantreibe. Wir sind ratlos ob der Verweigerung der IGBV, diesen Kampf gegen den Flughafen auch auf Feldern zu führen, die die Politik und die FBB noch nicht besetzt haben.
Die Tatsache, dass das Thema Ultrafeinstaub zunehmend an Bedeutung gewinnt, lässt sich nicht nur ablesen an dem großen Interesse, das vor kurzem ein zum Thema Ultrafeinstaub an der TU Berlin durchgeführtes Symposium fand (an dem im Übrigen zwar Vertreter des Gesamtbündnisses teilnahmen, niemand aber vom UWK oder der IGBV). Zu nennen ist auch das Bemühen des hessischen Landesamt für Umweltschutz, UFP-Messungen der Bürgerinitiativen am Frankfurter Flughafen, die eine deutliche Korrelation zwischen Flugbewegungen und Zunahme der UFP-Menge zeigten, zu wiederholen.
Zunehmend finden sich Veröffentlichungen, die die direkte Wirkung von UFP auf die Gesundheit von Anwohnern im Bereich von Flughäfen hinweisen. Professor Rottmann von der TU München legt dar, dass das Risiko, an Krebs zu erkranken, um über 30 Prozent oder mehr steigt, wenn man Flughafenanrainer ist. Er verwies auf eine Untersuchung in der Nähe des Santa Monica Flughafens (Los Angeles), die die Messung von UFP einschloss, und in der nachweislich u.a. eine verminderte Lungenfunktion bei Kindern, mehr Lungen- und Kreislauferkrankungen, erhöhtes Krebsrisiko, Hormon- und Fortpflanzungsstörungen festgestellt wurden. Frau Professor Barbara Hoffmann von der Universität Düsseldorf hat in ihren Studien nachgewiesen, dass UFP, die ja durch ihre besondere „Kleinheit“ über das Einatmen direkt in die Blutbahn gelangen, in Zellen zu DNS-Strang Rissen führen; – kein Wunder, dass in den wenigen UFP-Studien immer auch Reproduktionsstörungen als mögliche Folge der UFP-Einwirkung angeführt werden.
Die Argumentation des UWK bzw. der IGBV springt deutlich zu kurz: Feinstaub als Emission von Industrie, Heizungen, Autoverkehr mit Partikelgrößen zwischen 2,5 µm und 10 µm, dass heißt zwischen 2,5/1000 mm und 10/1000mm (PM 2,5 – PM 10), wird schon heute gemessen, allein in Berlin an über 15 Stellen (http://www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/luftqualitaet/de/messnetz/index.shtml).
Die EU- und nationale Politik haben Verordnungen und Gesetze erlassen, wenn die Konzentrationen das gesetzlich festgelegte Maß überschreiten – da soll es dann Beschränkungen des Autoverkehrs geben, Industrieanlagen gedrosselt werden oder Haushalte ihre Heizungen abstellen.
Für Ultrafeinstaub, der nachweislich in besonders hohen Konzentrationen als Emission aus Flugzeugtriebwerken kommt, gibt es keine EU-Richtlinie, keinen Grenzwert – damit besteht nach Meinung der Politik keine Veranlassung zu messen. Ultrafeinstaub-Partikel haben eine „Größe“ von unter 0,1 µm.
Nach Meinung der im Gesamtbündnis zusammengeschlossenen Berliner und Brandenburger Bürgerinitiativen, der Frankfurter, Münchner und anderer Aktivisten müssen wir durch unsere Messungen von UFP die Politik (und die Flughafenbetreiber) an ihre Verantwortung gegenüber den Bürgern erinnern: Nach dem in Deutschland und der EU geltenden „Vorsorgeprinzip“ ist Risikovorsorge zu betreiben, d.h. vorbeugend zu handeln, selbst bei unvollständigem oder unsicherem Wissen über Art, Ausmaß, Wahrscheinlichkeit sowie Kausalität von Umweltschäden und -gefahren, um diese von vornherein zu vermeiden.
Wenn Michael Müller, der Regierende Bürgermeister von Berlin, im Mai 2016 an die Friedrichshagener BI schreibt, dass man keine eigenen UFP-Messungen in Berlin plane, da dazu keine Rechtsgrundlage vorliege, muss man das tolerieren, aber nicht respektieren.
Wir wollen durch eigene UFP-Messungen die Politik und die FBB dazu bringen, die Suche nach einem neuen, besser geeigneten Standort für die Region Berlin/Brandenburg wieder aufzunehmen. Unsere Messungen sollen helfen, UFP-Grenzwerte, die nicht zu überschreiten sind, festzulegen. Wir wollen, dass Krankheits- und Krebsregister so gestaltet werden, dass die Auswirkungen des Flugbetriebes auf die Gesundheit der Menschen und die Wirksamkeit von Maßnahmen daraus abgelesen werden können.
Wir können nicht wie der Umweltkreis vermeintliche Objektivität einfordern, indem wir neuste Erkenntnisse ignorieren – und deshalb nichts tun. Wir können aber den Kampf gegen den Flughafen am falschen Standort mit neuen Taktiken und Strategien beleben – zum Wohl aller Anwohner. Erinnern Sie sich an Aesops Fabel von den zwei Fröschen? Der eine strampelt nicht in der Milchschüssel – und stirbt, der andere strampelt fast bis zur Erschöpfung, aber hat mit all seinem Mut und der Anstrengung seinen Butterklumpen zum Sprung in die Freiheit erschaffen. Lasst uns strampeln, nicht lamentieren!
Markus Sprissler / Hilla Uppenkamp
Als Vertreter der AG Feinstaub des Berliner und Brandenburger Gesamtbündnisses (abb, BüSO, BVBB)