Ein Ruck geht durchs Land – ein rechter

So hat Müggelheim im Vergleich zum Rest der Stadt gewählt

von Simone Jacobius

Berlin hat gewählt – und ein paar Menschen in Müggelheim auch. Denn die Wahlbeteiligung in unserem Ortsteil lag wieder deutlich unter dem Berliner Durchschnitt. Auch wenn sich in der Grundschule teils Schlangen bildeten, täuschte das. Die „Völkerwanderung“ war allein der Tatsache geschuldet, dass diesmal alle drei Wahllokale (516, 517 und 518) an einem Ort lagen. Der Dorfklub fiel aufgrund des Erntefestes in diesem Jahr aus. Allerdings durfte „Hausherr“ Peter Belitz doch unfreiwillig Wahlhelfer sein: „Ich musste vielen Leuten sagen, wo sie hin müssen um ihre Stimme abgeben zu dürfen. Denn viele sind automatisch, ohne auf die Wahlbenachrichtigung zu gucken, zu ihrem üblichen Wahlort gekommen.“

In Müggelheim lag die Wahlbeteiligung in diesem Jahr bei 55,2 Prozent Prozent (53,8% 2011), das entspricht immerhin einem Anstieg um 1,4 Prozent zur letzten Wahl. Berlinweit ist die Wahlbeteiligung allerdings um sechs Punkte auf 66,9 Prozent gestiegen. In Treptow-Köpenick lag sie bei 68,2 Prozent, in unserem Wahlkreis 5 (Wendenschloss, Altstadt/Kietz, Allende-Viertel und Müggelheim) sogar bei stolzen 68,9 Prozent.

Drei Kreuzchen durften gemacht werden. Mit der Erststimme wurde der Direktkandidat einer Partei für unseren Wahlkreis 5 gewählt, die Zweitstimme ging an die Partei fürs Abgeordnetenhaus und mit dem dritten Kreuz wurde die Partei für die Bezirksverordnetenversammlung gewählt. Wie auch im vergangenen Jahr ist Müggelheim seiner Linie treu geblieben: Es gab einen überdurchschnittlich hohen Anteil an AfD-Wählern, bei der letzten Wahl ging Müggelheim noch als NPD-Hochburg durch die Medien. Offensichtlich sind viele NPD-Wähler zur AfD übergeschwenkt. Die Folge: Müggelheim liegt weit über dem Durchschnitt. Bei uns wäre diese Partei bei allen drei Stimmabgaben als stärkste hervorgegangen, gefolgt – nach großem Abstand – von der SPD. Nur bei der Zweitstimme liegt Die Linke mit 0,2 Prozentpunkten vor der SPD an zweiter Stelle.

Der Direktkandidat der SPD, Tom Schreiber, gewann den Wahlkreis 5 (26,3%) in einem Kopf-an-Kopf-Rennen vor Martin Trefzer von der AfD (24,8%) und Stefanie Fuchs von den Linken (23,2%) und zieht damit erneut ins Abgeordnetenhaus ein.

Auf Bezirksebene ist die SPD unter Oliver Igel ebenfalls als stärkste Partei hervorgegangen, muss allerdings auch Verluste in Höhe von 4,8 Prozent zum Wahljahr 2011 verzeichnen. Es reicht dennoch, um den Bürgermeister und einen weiteren Stadtrat stellen zu können. Ein Stadtratsposten geht diesmal auch an die AfD, da wird sich zeigen, ob die Alternative für Deutschland mit der neu gewonnenen Verantwortung zurecht kommt. Zwei weitere Stadtratsposten gehen an die Linke und die CDU.

Die FDP hat es nicht nur ins Abgeordnetenhaus geschafft, sondern wird auch mit zwei Sitzen in der BVV sitzen. Dagegen haben es Piraten und NPD nicht mehr geschafft. Die Sitzverteilung in der BVV wird wie folgt sein: 15 Sitze für die SPD, 14 für Die Linke, 12 bekommt die AfD, sieben die CDU, die Grünen bekommen fünf und die FDP zwei. Das heißt, die bisherige Zählgemeinschaft aus SPD, CDU und Grünen reicht für eine Mehrheit nicht mehr aus, hier müssen neue Koalitionen geschaffen werden. Von den bisherigen Müggelheimer Bezirksverordneten hat es voraussichtlich keiner mehr in die BVV geschafft.

In Müggelheim teilten sich die drei Wahlkreise wie folgt auf: Wahlbezirk 516 betraf das südwestliche Müggelheim zwischen Krampenburger Weg, Am Müggelberg, Müggelheimer Damm und Eppenbrunner Weg, 517 alles im Norden inklusive Spreewiesen und Schönhorst. 518 zwischen Werkstein-Siedlung und Darsteiner Weg, im Norden durch Pelzlakeweg und Becherbacher Straße begrenzt und alles östlich vom Krampenburger Weg.

Update: Korrektur der Wahlergebnisse

Briefwähler nicht berücksichtigt. Lesen Sie dazu den Artikel im Dezember 2016 > mehr...


Kommentar

von Ralf Jacobius

Die Wahlen sind nun endlich gelaufen, und langsam kehrt wieder Normalität in den Alltag ein. In zahlreichen Foren werden jetzt die Wahlergebnisse seziert, und allerlei Spekulationen angestellt, wie denn eine neue Koalition aussehen könnte.

Die Ergebnisse läuten tatsächlich eine neue Ära ein. Noch nie hat sich direkt nach der Wahl ein Regierungschef vor das Volk gestellt und behauptet, dass seine Partei mit etwas mehr als 20% einen „klaren Regierungsauftrag“ erhalten habe - nach dem Motto: Weiter so wie bisher. Die herben Verluste der Volksparteien wurden bedauert, aber einen echten Ruck, gepaart mit der Erkenntnis, das das eine schallende Ohrfeige sei für Arroganz und Hochmut, hat es nicht gegeben. Wer Demut suchte, wurde nicht fündig. Der Denkzettel folgte mit dem Wiedereinzug der FDP in das Abgeordnetenhaus, einem Erstarken der Linken und zweistelligen Wahlergebnissen für die AfD.

Wenn man sich dann die Müggelheimer Zahlen anschaut, kommt man aus dem Staunen gar nicht heraus. Fast wie ein kleines gallisches Dorf wurden hier berlinweit Spitzenergebnisse für die AfD registriert, die zwischen 27% und nahezu 30% lagen. Es gibt nur wenige Wahllokale in Berlin, die noch höhere Resultate verzeichnen. Alle anderen Parteien liegen teils deutlich unter 20%. Auch ist die Wahlbeteiligung nur unwesentlich höher als bei der letzten Berlin-Wahl 2011 und liegt rund 10 Prozentpunkte unter dem jetzigen Berliner Durchschnitt.

Was will uns dieses Wahlergebnis sagen? Welche Rückschlüsse lassen sich daraus ziehen? Unbestritten lässt sich feststellen, dass es den etablierten Parteien nicht gelungen ist, die Müggelheimer zu erreichen. Dabei ist es im Wesentlichen gänzlich unerheblich, welch politische Couleur die Partei hat. Themen, die für die Müggelheimer von Interesse sind, können von diesen Parteien offensichtlich nicht bedient werden. Die geringe Wahlbeteiligung zeigt außerdem, dass viele Menschen nicht glauben, dass Ihnen die Politik helfen kann und dementsprechend desinteressiert an dem Wahlgang sind. Immerhin ist fast jeder zweite Müggelheimer nicht an die Wahlurne gegangen.

Die AfD hat bei den Müggelheimern die meisten Wahlkreuze erhalten. Dabei sind die Kandidaten ziemlich unbekannt und kaum in Erscheinung getreten. Wer sich mit dem Wahlprogramm auseinandergesetzt hat, findet häufig nur Aussagen dazu, was man nicht will. Lösungsvorschläge, die eine realistische Umsetzung aufzeigen, sucht man vergebens. Selbst wenn es gelingt, mit den Kandidaten ins Gespräch zu kommen, muss man schnell festsellen, dass sich die Aussagen im Vergleich zum Wahlprogramm der AfD teils drastisch im Widerspruch befanden und Unkenntnis aufwiesen.

In Müggelheim wohnen zu einem überwiegenden Anteil Eigenheimbesitzer. Die Einkommenssituation ist deutlich über dem Berliner Durchschnitt, die Bürger gelten als gutsituiert. Es gibt hier keine sozialen Brennpunkte, die Kriminalitätsrate ist niedrig, und auch Berührungen mit Flüchtlingen finden hier so gut wie nie statt.

Aber was war es dann, dass die Müggelheimer „in Scharen“ zur AfD zog?

Meiner Meinung nach ist das nur im Protest zu erklären. Die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien, die aus Sicht vieler Menschen nur lügen und tricksen und sich die Taschen vollstopfen wollen, suchte sich ein Ventil. In diesem Falle war das die AfD. Es ging den meisten Menschen nicht darum, ob die Partei links oder rechts war und ob sie politische Lösungen anbot oder nicht. Eine ähnliche Situation hatten wir schon einmal 2001. Da schlugen die Wogen in Müggelheim hoch, als über den Standort für den neu geplanten Großflughafen gestritten wurde und die etablierten Parteien sich sämtlichst für Schönefeld aussprachen. Von der PDS abgesehen (die dann aber gleich bei der ersten Koalitionsverhandlung mit der SPD umfiel), hatte sich nur die sogenannte „Stattpartei“ einen anderen Standort auf die Fahnen geschrieben und sich vehement für ihre Ziele eingesetzt. Als Ergebnis hatte die Partei stolze 35% in Müggelheim eingefahren, ein Traumwert des Protestes. Ansonsten spielte sie berlinweit keine Rolle.

Ein ähnliches Phänomen haben wir auch heute, nur dass die AfD gefährliche Thesen vertritt, die durch den Frust überlagert werden. Die Menschen hier sind von der Politik enttäuscht und haben sich von ihr abgewandt. Die AfD ist die Ohrfeige für alle anderen Parteien. Wer diesen Warnschuss nicht hört und nach dem Motto „Weiter so wie bisher“ verfährt, muss sich für die Zukunft warm anziehen.