Experten befürchten mehr Tote durch Masernenzephalitis

von Medizinalrat Dr. Rolf Förster

Der laxe Umgang mit dem Masernschutz hat tödliche Spätfolgen. Vor zwei Jahren sorgte eine tragische Geschichte in Süddeutschland für Aufsehen: Zwei kleine Kinder starben an der sogenannten subakuten sklerorosierenden Panenzepahalitis (SSPE). Beide hatten sich Jahre zuvor in einer Kinderarztpraxis bei einem Elfjährigen mit Masern angesteckt. Dessen Eltern hatten eine Masernschutzimpfung abgelehnt und die beiden Kinder, die den Viren zum Opfer fielen, waren damals selbst noch zu jung für die Impfung.
Dieses Beispiel führt drei wesentliche Probleme beim Masernschutz vor Augen. Erstens: Impfverweigerer gefährden nicht nur das Leben des eigenen Nachwuchses, sie bringen auch Unbeteiligte in tödliche Gefahr. Zweitens: Viele Maserninfektionen (und auch andere) ereignen sich in Kliniken und Arztpraxen, denn die Übertragung der Erreger erfolgt durch Tröpfcheninfektionen – also Niesen, Husten und Küssen und Drittens: Eine SSPE ist wohl doch nicht so selten! Die aktuellen Masernausbrüche in Berlin werden wohl in einigen Jahren weitere solche tragische Opfer, wie oben erwähnt, fordern.
Was ist SSPE? Eine furchtbare Krankheit, denn dieselben Masernviren erobern sieben bis zehn Jahren nach der Erkrankung an Masern langsam das Gehirn und zerstören es allmählich vollständig. Immer mehr neurologische Funktionen fallen aus, es kommt zu schweren Muskelkrämpfen, Lähmungen und epileptischen Anfällen, zu psychischen Störungen und Demenz und schließlich immer zum Tod, der das unbeschreibliche Leiden nach ein bis drei Jahren beendet. Und es gibt keine wirksame Behandlung, die Überlebenschancen sind Null! Das Erkrankungsrisiko liegt je nach Alter während der Erkrankung bei 1:100 bis 1:2000.
Bezogen auf den aktuellen Berliner Ausbruch heißt das: Mehrere Berliner Kinder werden wahrscheinlich in einigen Jahren an dieser fürchterlichen Erkrankung sterben, vor allem, weil manche Eltern auf die Masernschutzimpfung ihrer Kinder verzichtet haben. Die Ursache für das Masern-Comeback ist nicht nur auf die steigenden Flüchtlingszahlen mit ungeimpften Personen und nicht nur „semireligiösen Fanatikern“ und anderen ideologisch geprägten Impfverweigeren zuzuschreiben, sondern leider auch verursacht durch ungeimpfte Ärzte, Krankenschwestern und Krippenpersonal, die mit Kleinkindern und Neugeborenen zu tun haben.
In Österreich hat eine masernkranke Kinderkrankenschwester 180 Neugeborene angesteckt. So etwas nenne ich ein Verbrechen, denn wenn die Säuglinge nicht ausreichend Antikörper von ihren Müttern übertragen bekommen, haben sie keine Chance, einer Infektion zu entgehen. Und gerade dann ist mit einem hohen SSPE-Risiko zu rechnen. Es steht deshalb die konsequente Forderung im Raum: Wenn leider die Impfpflicht gegen Masern bisher in unserem Land scheitert, wenigstens das Gesundheitspersonal ohne ausreichenden Impfschutz jeglicher Art von Risikopatienten fernzuhalten.
Noch seltener wird man einen vollständigen Impfschutz im ambulanten Bereich finden. Schwangere sind daher gut beraten, wenn sie sich vor der Entbindung in der Klinik nach dem Impfstatus der Mitarbeiter erkundigen. Noch mehr Vorsicht ist geboten, wenn eine Hebamme die Geburt begleitet, denn hier lehnt nach einer Erhebung jede vierte die Masernimpfung kategorisch ab. Und lassen Sie sich nicht von impfmuffligem Personal, Homöopathen, Heilpraktikern, Impf-Lügen im Internet und Halbwahrheiten beeinflussen: Schutzimpfungen sind das Segensreichste, was die Medizin je hervorgebracht hat!
Wer sich impfen lässt, schützt auch andere, denn er kann den Erkrankungserreger nicht übertragen. Ich weine der DDR keine Träne nach, aber die Einführung der Masernpflichtimpfung ab 1970 war vorbildlich. Dennoch sind die nach 1970 Geborenen oft nur einmal geimpft und haben damit keinen ausreichenden Impfschutz und sollten dies überprüfen lassen.
Die deutsche Impfkommission (STIKO) hat 2010 ihre ständigen Empfehlungen der Standardimpfung gegen Masern auf jüngere Erwachsene erweitert. Zusätzlich zur zweimaligen Impfung von Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr empfiehlt die STIKO allen nach 1970 geborenen Erwachsenen eine einmalige Impfung gegen Masern, wenn sie bisher nicht oder nur einmal in der Kindheit gegen Masern geimpft wurden oder der Impfstatus eben unklar ist.
Wichtig für Frauen mit Kinderwunsch: Vor der Schwangerschaft prüfen, ob der Masern-Impfschutz komplett ist – denn während der Schwangerschaft kann nicht geimpft werden. Und Frauen, die gegen Masern immun sind, schützen automatisch auch ihr Kind in den ersten Lebensmonaten, in denen es noch nicht geimpft werden kann (Nestschutz). Auch ich habe mich kürzlich mit dem Konjugatimpfstoff MMR auffrischen lassen (ohne jegliche Nebenwirkung), da ich mir nicht sicher war, ob ich einen ausreichenden Impfschutz besitze. Man kann diesen zwar vorher testen lassen, aber dadurch entstehen unnötige Kosten. Nehmen Sie die Situation zum Anlass, ihren Impfschutz vom Arzt überprüfen zu lassen! Denn weltweit sterben noch immer 400 Kinder pro Tag an dieser Infektionskrankheit. Das Immunsystem wird bei Erkrankten auf Jahre geschwächt und sie sind für andere Infektionskrankheiten mehrere Jahre anfälliger. Die Schutzimpfung schützt nicht nur vor den schweren Komplikationen der Masernerkrankung sondern auch nachhaltig vor anderen schweren Infekten und verbessert die sogenannte Herdenimmunität.