Auf den Spuren der SS-Baubrigade

Historie: Vordringlichste Aufgabe war der Bau der Behelfsheime

Von Michael Braun, Hönow


BUNDESARCHIV

Die Steine für den Bau der Behelfsheime in Müggelheim kamen meist aus Ruinen per Schiff hierher.

Die Sobernheimer Straße in Müggelheim hatte vor mehr als 70 Jahren für die Dauer von zehn Monaten, nämlich von April 1944 bis zum Februar 1945 die zweifelhafte Ehre, auf dem Grundstück Nr. 23 ein Lager der so genannten SS-Baubrigade – hier mit der Nummer 2b – zu beherbergen. Es soll aus zwei nicht näher definierten Baracken aus einem mit Stacheldraht umzäunten und mit Wachtürmen versehenen Grundstück bestanden haben. An diese Episode erinnert am Ort nichts mehr, auf dem ungewöhnlich großen Grundstück soll unlängst noch eineTischlerei residiert haben.

Baubrigaden

In einem epischen Werk zum Thema SS-Baubrigaden wird das Geschehen in Müggelheim summarisch so beschrieben: „Die SS-Baubrigade II war zuvor in Hamburg stationiert und dem KZ Neuengamme unterstellt. Als Lager (in Berlin, d.V.) diente der ausgebombte Verwaltungssitz der Auergesellschaft AG im Friedrich-Krause-Ufer 24/25. Nach und nach wurden immer mehr Häftlinge auf eine Baustelle in Müggelheim abgezogen, bis die II. SS-Baubrigade spätestens im Oktober 1944 aufgeteilt wurde: Während ein Teil der Häftlinge als ‚SS-Baubrigade 2a‘ (auch ‚Kommando Auer‘ genannt) am Friedrich-Krause-Ufer verblieb, hieß das nach Berlin-Müggelheim geschickte Kommando nun ‚SS-Baubrigade 2b‘ (‚Kommando Müggelheim‘) unter dem Befehl des Oberscharführers Christian Thode. Mitte Februar 1945 überstellte man einen Teil der Häftlinge nach Sachsenhausen, die übrigen wurden mit Häftlingen aus dem Außenlager Berlin-Lichterfelde in Köpenick zusammengezogen. Von dort wurden sie als 2. SS-Eisenbahnbaubrigade in einem Bauzug nach Nürnberg geschickt“.
Die Bezeichnung SS-Baubrigade bedeutete also nicht etwa, daß die SS dort baute, vielmehr hatte sie Häftlinge aus verschiedenen Konzentrationslagern zu bewachen, die abseits dieser Lager solche Sklavenarbeiten zu verrichten hatten, die im weitesten dem Kriegsgeschehen zuzuschreiben waren. Während der Arbeiten waren die Häftlinge in provisorischen, so genannten „Außenlagern“ jeweils in der Nähe ihrer Einsatzstellen untergebracht. Da die Zahl dieser Außenlager gegen Kriegsende explosionsartig wuchs, requirierten die Nazis dafür rücksichtslos ihnen genehme Objekte. Zum Beispiel rangiert das Lager Müggelheim in einer 2015 im Internet gestreuten Liste auf der Position 17 von insgesamt 70 für Berlin. Die Skala der zu verrichtenden Arbeiten reichte von Bomben entschärfen über Leichen bergen, bis zu Aufräumarbeiten.

Müggelheim

Das Lager in Müggelheim hatte eher den seltenen Zweck von Bauarbeiten. Insofern findet der Titel hier eine Entsprechung. Es war geplant, im Auftrag der Berliner SS-Bauinspektion den Bau von Behelfsheimen und Kleinwohnungen für ausgebombte SS-Angehörige und Soldaten sowie „verdiente Gefolgschaftsmitglieder“ anzugehen. Diese Bauten sollten um das Lager Sobernheimer Straße 23 herum gruppiert werden. Die dazu benötigten Steine waren zuvor von anderen Häftlingen in der Berliner Stadtmitte aus Ruinen, meist an der Straße Hansa-
ufer geborgen, gesäubert, auf Lastkähne verladen und dann auf der Spree nach Müggelheim transportiert worden. Entladen wurde nahe der Feuerwehr. Eine Verpflegung übrigens wurde aus dem „Stammlager“ Sachsenhausen nach Müggelheim angefahren.
Das benötigte Bauland in der Größenordnung von 18 Hektar in dem nahen Straßen-Geviert war nach dem so genannten Reichsleistungsgesetz bereits am 8. Mai 1944 beschlagnahmt worden.
Nach Aktenlage müssen einige solcher Bauten noch vor dem Kriegsende fertig gestellt und schon – teilweise von Lagerwachmannschaften – bezogen worden sein. Ganz allgemein waren die Behelfsheime keineswegs frei verfügbar, sondern bestimmten Kategorien vorbehalten. Für die Begünstigten ein wahrer Luxus, denn eigentlich mussten solche Behelfsheime von den späteren Bewohnern unter primitivsten Voraussetzungen selbst errichtet werden. Wohl in Erkenntnis dessen und um Ressourcen zu sparen, war dann verfügt worden, statt auf Häftlinge möglichst auf Selbsthilfe zu orientieren: Der Einsatz von Häftlingen war demgemäß nur dann gestattet, wenn nicht „kriegswichtigere Baumaßnahmen“ dadurch behindert wurden.
Interessanterweise arbeiteten schon vor der Verfügung der SS-Baubrigade KZ-Häftlinge in Müggelheim. Deren Aufgaben dürften ähnlich gewesen sein. Die Belegung im Lager schwankte dann zwischen 144 im Juli 1944 und knapp 600 Häftlingen im November 1944. Das hieß also 300 Häftlinge pro Baracke.
Gebaut worden sind etwa 320 Häuser, eine ziemliche Menge für die zur Verfügung stehende Anwesenheit der Baubrigade von maximal zehn Monaten. Allerdings waren viele Gebäude anschließend unfertig. Höchstwahrscheinlich sind auch nicht alle Häuser von Häftlingen erbaut worden. Infolge der unklaren Eigentumsverhältnisse und der Einbindung der NS-Gewerkschaft DAF in das Baugeschehen mit ihrer Bauträgergesellschaft „Bauhilfe“ hatten viele Nutzer nach dem Kriegsende mit Schwierigkeiten zu kämpfen.
Von den seinerzeit erbauten Häusern sind viele noch erhalten, indes in der Regel überformt. Eine Untersuchung der Vorgänge in Müggelheim im damaligen Westdeutschland aus den 70er Jahren jedenfalls kam zu dem lapidaren Schluss, dass „keine Hinweise auf noch verfolgbare Straftaten bestehen“.
Die Müggelheimerin Marianne Schäfer hat als Kind alle diese Dinge zum Teil erlebt und mit weiteren Erkenntnissen vor längerer Zeit im Müggelheimer Boten (Juli/2008) veröffentlicht. Sie berichtete, dass trotz der bedrückenden Vorgänge die Menschlichkeit gegenüber den Häftlingen nie ganz versiegt war.