Die kuriose Geschichte einer Schreibmaschine

oder: Kriegsende in Müggelheim

Von Dr. Michael Braun, Hönow

Als 1945 der Nazispuk vorbei war, trafen schnell auch in Müggelheim die siegreichen Eroberer ein. Ihre Aufgabe war es, unter anderem nach zwei Kategorien zu fahnden, einmal nach versprengten Nazis und zweitens nach Dingen, die sie gut gebrauchen konnten. Ihnen folgten alsbald Aktivisten vom Bezirksamt Köpenick mit Listen von Naziobjekten, um dort alles Verwertbare zu requirieren, was die Russen hinterlassen hatten, sprich: nicht haben wollten.
Ganz oben in Müggelheim stand nicht ganz unerwartet die Gauschule und spätere Reichsschule der DAF in Schönhorst (späteres Spreeheim). Die hatten die Russen inzwischen gründlich geplündert zurückgelassen. Augenzeugenberichten zufolge soll auf dem Vorplatz ein stattlicher Haufen von Sachen getürmt gewesen sein, die die Sieger übermütig aus den Fenstern geworfen hatten.
Mithilfe emsiger Denunziation fanden die Bezirksamtler 1946 nun zum Beispiel heraus, dass eine Frau Johanna Schilhaneck aus der Eldenaer Straße 20 dort von dem Haufen eine Schreibmaschine „entnommen“ hatte, sie war vom Typ „Urania“, mit der dokumentierten Nr. 219 448. Diese Urania wurde alsbald zum Fall. Das zutiefst Verwerfliche an der Tat nämlich erforderte strengste Maßnahmen, denn nach dem Russenbefehl 126 vom Oktober 1945 (Vermögen der NSDAP, ihrer Organe und der ihr angeschlossenen Verbände werden konfisziert), waren solche Güter überhaupt kein Freiwild, sondern Staatseigentum.
Die Schreibmaschine Urania von der Dresdener Firma Clemens Müller war ab 1909 als Alltagsmaschine für Büros produziert worden. Das Müggelheimer Exemplar hatte den Sturz glimpflich überstanden und konnte alsbald vom Sohn dieser schlimmen Frau Schilhaneck zum Dezember 1945 wieder funktionstüchtig gemacht werden. Anschließend wechselte die Maschine für runde 1500 Reichsmark den „Besitzer“, an einen unbekannten jungen Mann. Der übliche Vorkriegspreis lag bei nur 420 Mark, (die Maschine ist heute noch 50 Euro wert!).
Die Hausfrau Schilhaneck wurde mit einem Strafverfahren überzogen, die Eheleute mussten sich zudem zur Rückzahlung verpflichten. Vereinbart wurden anfangs monatliche Raten von 100 Mark. Bei einer Summe von 700 Mark erklärten sich die beiden 1947 für zahlungsunfähig. Nachdem eine Zwangsvollstreckung sich alsbald als „fruchtlos“ erwiesen hatte, mussten die beiden den Offenbarungseid leisten. Konsequenz war lediglich, dass die Raten erst auf 50, später dann auf 40 reduziert wurden, da es nur einen „schleppenden Zahlungseingang“ gab.
Das Strafverfahren gegen die Frau wurde nach der Amnestie im Frühjahr 1949 eingestellt, indes die Schulden blieben, sie waren nach der Währungsreform aber auf ein Viertel gesunken. Mit der Drohung, den Lohn des Ehemanns bei der Lichtenberger Kleiderfabrik „Fortschritt“ zu pfänden, endete 1950 die Überlieferung des „Beitreibungsverfahrens“. Die Strafaktion übrigens hatte Anwaltskosten von 140 Mark generiert, ihre Begleichung war unklar.
Die „Fahnder“ indes blieben eifrig. Aus dem „Nazi-Haus“ Krampenburger Weg 2 wurden im März 1947 110 „gerettete“ Werte im Umfang von 1235 Reichsmark gelistet. Faschismus-Opfer übrigens waren bei der Neuverteilung generell bevorzugt. Nach einem Konzertflügel aus der Gauschule wurde ebenfalls gesucht. Seine Spur verlor sich 1948 in der Gaststätte „Spreekasino“ von Ernst Wedel.

[Quelle: Landesarchiv Berlin, Repositur C 105, Nr. 13824]