Zahlen für nichts

Schönhorster sind sauer über BSR-Bescheid

Von Simone Jacobius

JACOBIUS

Schönhorster Straße Ecke Lindenstraße endet die Straßenreinigung – danach gibt es auch nur noch Sandstraßen.

Böse Überraschung für die Bewohner der Siedlung Schönhorst: Im Februar flatterte ihnen ein Brief der Berliner Stadtreinigung (BSR) ins Haus, in dem angekündigt wurde, dass die Grundstücksbesitzer rückwirkend zum Oktober 2018 Straßenreinigungsgebühren zahlen müssen. Und das, obwohl es sich nach Aussage der Bewohner um öffentliche Straßen handelt, die also ins Straßenreinigungsregister C aufgenommen werden müssten. In dieser Einstufung, zu der auch die meisten Straßen in Müggelheim gehören, sind die Anwohner selbst für die Reinigung der Straße zuständig. Doch weil die Schönhorster Straße als Zubringer zur Siedlung jetzt als B-Straße eingestuft wurde, sollen die Hinteranlieger – also die Siedlungsbewohner – nun Straßenreinigungsgebühren dafür bezahlen. Denn Straßen der Klasse B sind Straßen außerhalb geschlossener Ortslagen, die überwiegend dem inneren Verkehr dienen, also den Anwohnern.
„Wir sollen fast 400 Euro im Jahr zahlen für eine Straße, die keine ist”, sagt Marita Thomas, die ein Grundstück in der Bergstraße hat. Das Kuriose: An ihrem festen Wohnsitz in Strausberg müssen sie für ihr Eckgrundstück gerademal 20 Euro pro Jahr an Straßenreinigungsgebühren bezahlen. Kein Wunder, dass sie die Forderung der BSR als zu hoch empfindet.
„Bei uns kann jeder alle Straßen benutzen, es gibt keine Schranken und keine einschränkenden Verkehrsschilder”, sagt auch Matthias Radtke, der bereits seit 1972 ein Wochenendgrundstück an der Straße 34 besitzt und schon tief in die Materie eingestiegen ist. So hat er einen Auszug aus dem Einigungsvertrag gefunden, nachdem die zu DDR-Zeiten als öffentlich deklarierte Straßen auch nach der Vereinigung als öffentlich weiterbestehen sollen. Und als öffentlich wurden nach der „Verordnung über die öffentlichen Straßen – Straßenverordnung” der DDR von 1974 in §3 folgende Straßen charakterisiert: „Öffentliche Straßen sind alle Straßen, Wege und Plätze einschließlich Parkplätze, die der öffentlichen Nutzung durch den Fahrzeug- und Fußgängerverkehr dienen. Ihre Nutzung ist entsprechend der Zweckbestimmung der öffentlichen Straßen und ihrem straßenbau- und verkehrstechnischen Zustand sowie im Rahmen der Rechtsvorschriften allen Verkehrsteilnehmern gestattet (öffentliche Nutzung).” „Die BSR ignoriert einfach den Einigungsvertrag, nachdem unsere Straßen als Straße des öffentlichen Verkehrs eingruppiert wurden“, bringt es Radtke auf den Punkt. Und im Straßenreinigungsgesetz steht, dass die Reinigung von Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs durch die Eigentümer zu erfolgen hat, was sie vom Straßenreinigungsentgelt entbinden würde.
Die komplizierte Rechtslage führt immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten. Die Frage, ob Anlieger von Privatstraßen Straßenreinigungsgebühren zahlen müssen oder nicht, beschäftigte die Berliner Gerichte jahrelang. Letztinstanzlich wurde entschieden: Sie müssen nicht (Kammergericht Berlin, 7. Juni 2007 – 8 U 179/06). Die Berliner Stadtreinigung muss rund 15.000 Grundstückseigentümern die seit 2005 kassierten Entgelte zurückerstatten.
Radtke hat sich, genuso wie Familie Thomas, bereits rechtlich beraten lassen. Geraten wurde, die Straßenreinigungsentgelte entweder gar nicht oder zumindest nur unter Vorbehalt zu zahlen. Auch Radtke ist bei seinen Recherchen auf zwei Gerichtsurteile gestoßen, die ihn positiv stimmen: So hat das Verfassungsgericht 2008 definiert, was Straßen öffentlichen Verkehrs und was öffentliche Strßen sind (VerfGH 97/05) und das Kammergericht wies darauf hin, dass eine Doppelbelastung der Anwohner von Privatstraßen nicht statthaft sei (KG 8 U 179/06) – womit zum einen das selbständige Reinigen gemeint sei, zum anderen das Zahlen der Straßenreinigungsentgelte.
Auch BSR-Sprecherin Sabine Thümler räumt ein, dass manche Sachen etwas komplizierter seien. Dennoch versucht sie Klarheit ins Paragrafen-Wirrwarr zu bringen: So ist die Schönhorster Straße nach aktuellem Gesetz- und Verordnungsblatts für Berlin vom 28. April 2018 wie in den vergangenen Jahren auch im Straßenreinigungsverzeichnis B gelistet. Nach Rücksprache mit dem Straßen- und Grünflächenamt Köpenick, stellen Lindenstraße, Feldstraße, Bergstraße, Spreestraße, Wiesenstraße und die Straße 34 jedoch kein öffentliches Straßenland im Sinne von § 2 Berliner Straßengesetz dar und sind deshalb nicht öffentlich gewidmet. „Es handelt sich um Zufahrten von der Schönhorster Straße”, meint Thümler, „es wurde jetzt eine Veranlagung nachgeholt, die bereits hätte erfolgen müssen.”
In Berlin würden bei Grundstücksüberprüfungen vereinzelt Flächen festgestellt, die in die Veranlagung einzubeziehen sind und bei denen das bis dato noch nicht erfolgt swar. In diesen Fällen findet eine sogenannte Nachveranlagung statt. Das war in Schönhorst jetzt der Fall und wurde zum 1. Oktober 2018 vorgenommen. Gereinigt (inkl. Laubbeseitigung und Winterdienst) wird die Schönhorster Straße jetzt übrigens bis zur Ecke Lindenstraße. Das heißt, die Straßen innerhalb der Siedlung müssen nach wie vor von den Eigentümern gesäubert werden.
Einzelne Beschwerden, unter anderem von Herrn Radtke, liegen der BSR bereits vor. Die ist erstmal gekonnt darüber hinweggegangen und hat ihm stattdessen am 6. März alle Rechnungen rückwirkend bis Oktober geschickt. „Ich will mich eigentlich nicht streiten, sondern nur, dass die Gesetze eingehalten und die Menschen gerecht behandelt werden”, sagt Radtke, der auch extra in den Verein deutsche Grundstücksnutzer (VDGN) eingetreten ist. Notfalls würde er auch vor Gericht für Gerechtigkeit kämpfen. Und das sieht Familie Thomas genauso.
Übrigens hat die Bewohner von Müggelhort das Thema bereits früher ereilt. Denn die Straße zum Müggelhort ist ebenfalls als B-Straße eingestuft. Das heißt, auch dort müssen die Eigentümer Straßenreinigungsentgelt zahlen, weil ihre Grundstücke nur über Zufahrten von der Straße zum Müggelhort erschlossen sind.