Müggelheim, das deutsche Sossusvlei

Eine nicht ganz ernst gemeinte Zukunftsvision

von Gisela Binde

Jeder Namibiabesucher kennt das Sossusvlei. Nach einer hunderte Kilometer langen Fahrt über staubige Schotterpisten weit hinein in den Süden des afrikanischen Landes findet man sich am Rand eines von roten Dünen gesäumten Wüstentals wieder. Von dort geht es mit Allradfahrzeugen eine sandige Piste in dieses von vielen Fotos bekannte Tal hinein. Meist schleppt sich der Tourist dann unter der sengenden Sonne eine schattenlose Kante der hohen Sanddünen hinauf und fügt den vielen dort schon gemachten Fotos weitere hinzu. Im Morgen- und Abendrot sind die Dünen besonders eindrucksvoll. Aber auch tagsüber kann man exotische Motive finden, wie die weiße Tonpfanne, das sogenannte Vlei, in dem dekorativ ein paar abgestorbene Bäume stehen, die den richtigen Vordergrund für die roten Dünen abgeben. Bis hierhin kommt in einer guten Regenzeit das Wasser eines Trockenflusses aus dem Landesinneren und versickert dann, den mitgeführten Tonschlamm als dünne weiße Schicht im Vlei hinterlassend. Der Tsauchab ist ein solches "Rivier", das in guten Regenjahren den Dünengürtel der Namib zu durchbrechen vermag und sich dann bis ins Sossusvlei hinein ergießt und hier einen kleinen See bildet. Unter der sengenden Sonne trocknet der bald aus und der weiße, von Trockenrissen durchzogene Boden des Vleis, ist mit neuem Tonschlamm versorgt. Das Sossusvlei ist neben der Etoschapfanne eine der Hauptattraktionen in Namibia und wird jedes Jahr von vielen Touristen besucht. Rund um dieses Naturwunder hat sich inzwischen auch das Beherbergungswesen gut entwickelt und ist, was die Preise für Unterkunft und Eintritt ins Wüstenwunderland betrifft, nicht gerade zimperlich.

Warum soll man so weit fahren? Mit etwas Ortskenntnis, ein wenig Grundwissen über die geologische Vergangenheit unserer Gegend und genügend Fantasie ausgestattet, ist erkennbar, dass das südöstliche Berlin geologisch so etwas Ähnliches ist, beziehungsweise werden könnte. Und vielleicht hilft der Klimawandel ja etwas nach, damit dies irgendwann Wirklichkeit wird.

Große Teile Berlins wurden landschaftlich durch die letzte Eiszeit geprägt vor etwa 18.000 Jahren. Wo vor ein paar zehntausend Jahren gewaltige Schmelzwässer aus den Gletschertoren des Eiszeitpanzers rauschten und dabei riesige Mengen an Sand in einer Mächtigkeit von bis zu 20 Metern ablagerten, befindet sich heute ein sogenanntes Urstromtal, in dem unsere drei Berliner Flüsse Spree, Dahme und Havel fließen. Ohne diese eiszeitlichen Vorgänge gäbe es weder diese Flüsse noch die typische Berliner und Brandenburger Landschaft mit den vielen flachen Seen, die aus ehemaligen Toteisblöcken entstanden.

Was aber hat das alles mit dem Sossusvlei im fernen Namibia zu tun?

Auch wenn wir ständig darüber schimpfen – würde es bei uns nicht so viel und oft regnen, sähe es hier im Berliner Südosten bald anders aus als jetzt. Die Kiefernwälder würden ver- und unsere blauen Seen würden allmählich austrocknen. Bald hätten auch wir eine dem Sossusvlei gleichende Landschaft vor unserer Haustür.

Würde der große, aber mit zehn Meter Tiefe sehr flache Müggelsee nicht mehr kontinuierlich von der Spree durchflossen werden und darum langsam austrocknen, könnte ich "mein" eigenes Vlei täglich besuchen. Statt zehn Stunden zu fliegen und danach noch fast zwei Tage mit dem Auto über staubige Pisten fahren zu müssen, käme ich zu Fuß ins Vlei. Nur die Dünen wären hier nicht so schön rot gefärbt wie in Namibia, sondern eher hellgelb. Dafür aber wäre das Vlei kräftig rotbraun. Da der schattenspendende Wald jedoch nicht mehr existieren würde, wäre der Fußmarsch anstrengender als heute, wo ich noch durch den lichten Kiefernwald laufen kann.

Unser Paddelboot und auch die Boote vieler anderer Nachbarn lägen inzwischen auf dem Trockenen und würde in der Wüstenlandschaft langsam vor sich hin rotten beziehungsweise im Sand versinken, während wir versuchten, unsere austrocknenden Gärten mühsam mit dem knappen und darum rationierten Wasser am Leben zu erhalten. Keiner hätte mehr Angst vor einer Vernässung seines Kellers durch ansteigendes Grundwasser wie noch um die Jahrtausendwende, da der Grundwasserspiegel inzwischen so weit gesunken wäre, dass die meisten Gartenbrunnen trocken gefallen sind. Statt Äpfel und Erdbeeren bauten wir Zitrusbäume und Kaktusfeigen in riesigen Kakteenhecken an, die statt der früher hier üblichen Lebensbaum- und Buchenhecken nun die Grundstücke besäumten. Die sind auch viel praktischer gegen die immer noch durch unsere Straßen streunenden Wildschweine, da die langen Stacheln der Opuntien deren wühlenden Rüsseln einen besseren Widerstand zu leisten vermögen als jeder Metallzaun. Seit kurzem trügen nun auch die ersten vor wenigen Jahren angepflanzten Dattelpalmen Früchte, die in unserem Sandboden hervorragend gedeihen würden. Nur die Sandstürme, die seit dem völligen Verschwinden der Vegetation in allen nicht künstlich bewässerten Bereichen im Frühjahr und Herbst immer wieder mal toben, stressen ein wenig, da danach wieder die Häuser ausgekehrt und der Sand von den Grundstücken geschippt werden müsste. Dafür wäre aber im Winter kein Schnee mehr zu räumen. Auch das viele Jahrzehnte lang verfolgte Projekt eines Flughafens in dieser Gegend namens BER wäre inzwischen aufgegeben worden, da die vielen Sandstürme ständig den Flugbetrieb gefährdeten, so dass die dadurch entstehenden Verspätungen nicht mehr in den Griff bekommen worden wären. Außerdem würden die länger parkenden Autos der Fluggäste vom Sand blank geschliffen bis aufs Blech, was zu so hohen Schadenersatzzahlungen führen würde, dass der Flugbetrieb schon dadurch nicht mehr rentabel wäre.

Dass es nach dem Schmelzen des letzten Eises vor 18.000 Jahren in der Müggelheimer Umgebung ähnlich ausgesehen haben muss wie in einer Wüste belegt anschaulich der schmale langgestreckte Dünengürtel, der sich südlich des Müggelsees entlang zieht und der in Richtung Rahnsdorf und Wilhelmshagen noch größere Flächen umfasst als bei Müggelheim. Manch einem wird er kaum auffallen, da er heute noch von Kiefern bewachsen ist. Sobald ein Sandstreifen jedoch nicht mehr bewachsen ist, wird er unter bestimmten Voraussetzungen zur Wanderdüne. Würde es bei uns nicht 600 Millimeter sondern vielleicht nur noch 100 Millimeter oder noch weniger im Jahr regnen, wäre dies wohl schnell der Fall. Von den Müggelbergen, die dann nackt und ohne Bewuchs den südlichen Rand des ehemaligen Müggelsees säumen würden, hätte man auch ohne Müggelturm, der bis dahin sowieso längst zu Staub zerfallen wäre, da die Sandstürme zu sehr an ihm genagt hätten, einen wundervollen Blick über die Dünen auf das dahinter liegende große Müggelvlei. Kein Baum der ehemals dichten Vegetation der Müggelberge würde diesen Anblick auf das geologische Wunder beeinträchtigen, bis auf ein paar Reste von abgestorbenen Bäumen, die einmal das idyllische Sumpfgebiet am Rand des Müggelsees säumten, als dieser noch ein richtiger See war. Inzwischen aber erreichten die Wasser der Müggelspree das Müggelvlei nur noch etwa aller zehn Jahre und versickerten dort ähnlich wie im Sossusvlei unter Hinterlassung einer dünnen Tonschlammschicht, die hier allerdings nicht weiß wäre sondern von rotbrauner Färbung, weil das Spreewasser neben den Tonmineralen Ausflockungen von Eisenoxiden mitführt, die aus den stillgelegten Tagebauen der Lausitz stammen. Gewiß sähe dies sehr schön aus und wäre neben dem endgültigen Aus für den BER eine Attraktion für die Anwohner.

Ob der Klimawandel uns dabei helfen wird, diese Vision wahr werden zu lassen?