Müggelheimer Perlen

von Marion Heinrich

Balletttänzerin und Chefin Brigitte Bätz vor ihrem Studio
Die Ballettis: Petra Palm, Sabine Trappe-Roesler, Brigitte Bätz, Claudia Fühmann und Ruth Buchholz (v.l.) Foto: Marion Heinrich

Unser Müggelheim versteckt mitunter seine Schätze. Das ist eine Behauptung. Tagein tagaus fuhr ich morgens mit dem Bus zur Arbeit nach Berlin und spätabends wieder nach Hause, vorbei an Schaufenstern, die mich nicht anlockten. Manchmal schätzt man es, in Ruhe gelassen zu werden. Das ist fatal, denn wer nur in der Erinnerung lebt, was er einst gern tat, worauf er Lust hatte, beraubt sich selbst. Ich musste erst sehr krank werden, um endlich nach einer Müggelheimer Perle zu tauchen.

Vor einem Jahr drückte ich beherzt die Türklinke am Müggelheimer Damm 269a und sagte – vom eigenen Mut überrumpelt – ich müsse mein Leben grundlegend ändern. Ich wollte endlich tun, wovon ich immer träumte – tanzen.

Vor mir stand Brigitte Bätz, die Leiterin des BB-Ballettstudios, und ihr offener Blick bedeutet mir – wann fangen wir an? Ich fühlte mich verstanden und der Motor in mir war angeworfen. War es ihre Art sich zu bewegen, die Grazie von Armen und Beinen, war es ihre Art mit Kindern und Jugendlichen, die bei ihr die unterschiedlichsten Tanzstile von Klassisch, Salsa, Jazzdance oder Hip-Hop erlernen? Ich weiß es nicht mehr, aber ich wusste genau, das will ich auch. Klassisches Ballett. Ich, mit über 60! Wer außer mir selbst sollte mich daran hindern? Wer außer mir, steht auf meinen Füßen?

Gleich gegenüber der Eingangstür vom Ballettstudio stehen silberne Pokale, die von gewonnenen Wettbewerben und Meisterschaften der Müggelheimer Tänzer künden. Brigitte Bätz hat die berühmte Palucca-Schule absolviert und an verschiedenen Theatern getanzt. Sie weiß, wie viele Stunden harten Trainings, Disziplin und Schweiß in jedem dieser glänzenden Pokale stecken.

Im Müggelheimer Ballettstudio unterrichtet ein internationales Tanzpädagogenteam. Tanzlehrer ist hierzulande keine geschützte Berufsbezeichnung. Jeder kann so tun als ob. Aber Ana aus Brasilien, Alexis aus Kuba, Julia, Angelika, Johannes und Brigitte haben ihren Beruf von der Pieke auf gelernt – und das merkt man an der exzellenten Qualität der Ausbildung.

Ich kaufte mir passende Trainingkleidung und Schläppchen, Ballettschuhe, und ging voller Erwartung zum ersten Ballettunterricht der Ü40-Frauen. Ruth Buchholz ist mit 82 Jahren die älteste der Gruppe. Seit sechs Jahren ist sie dabei. Nach der Probestunde wusste Brigitte Bätz, dass Ruth professionelle Tänzerin gewesen sein musste. Die Grand Dame der Gruppe tanzte einst im Staatlichen Tanzensemble der DDR. Über 50 Jahre hat sie nicht mehr getanzt und dennoch scheint es, als habe sie nie aufgehört.

Petra Palm hat trotz ihres stressigen Jobs in ihrem Kalender jeden Dienstag ab 19.30 Uhr für Ballett geblockt. Ihre Mutter wollte den tapsigen "Teddybär", der Petra einmal war, in ein anmutiges Mädchen verwandeln und schickte sie mit drei Jahren zum Ballett. Tanzen sei ihre Leidenschaft, sagt die heute 60-Jährige. Als das Ballettstudio vor fast zehn Jahren eröffnete, wollte Petra Palm unbedingt dazugehören und sie blieb. Claudia Fühmann (49) suchte lange nach einem Ballettstudio in Berlin, das Kurse für reife Frauen anbot. Nur hier in Müggelheim fand sie das, was sie suchte, einen Ausgleich für ihre sitzende Tätigkeit, der auch noch richtig Spaß macht. Dazu noch Gleichgesinnte wie Sabine Trappe-Roesler (47) und Marion Hänisch, mit 43 die jüngste der Gruppe. Beide haben schulpflichtige Kinder und müssen Job, Familie und Tanz unter einen Hut bringen. Man spürt bei allen Frauen die Lust, sich nach Musik zu bewegen, die Grenzen des eigenen Körpers weiter zu stecken, beweglich zu bleiben.

Und nun kam ich also in diese eingeschworene Truppe und bekam gleich zu Beginn eine klare Ansage. Wer bei den Ballettis mitmachen will, braucht Zuverlässigkeit und Disziplin. Ausnahmen sind nur Krankheit und Urlaub. Man kann sich sonst nicht weiterentwickeln und Choreografien einstudieren. Ballett ist mehr als ein Freizeitsport für Bauch, Beine und Po. Ich hatte verstanden und wollte mit Feuereifer bei der Stange bleiben. An selbiger wurde mir aber ganz schnell klar, dass ich bei den Übungen, die meinen Körper erwärmen und meinen Geist fordern, ziemlich alt aussah. Irgendwie konnte ich Arme, Beine und Kopf nicht zu einer harmonischen Bewegung vereinen. Tanzten die Frauen nach rechts, glitt ich nach links. Keine nahm es mir übel und je mehr ich übte, umso mehr Freude machte es mir. Beim Ballett trainiert man den ganzen Körper und durch die Schrittkombinationen stärkt man außerdem die Konzentration.

Zum Tag der Offenen Tür in diesem Sommer wollte sich unsere Gruppe mit dem Evergreen von Glenn Miller "In the Mood" präsentieren. Brigitte Bätz studierte mit unendlicher Geduld ihre Choreografie mit uns ein. Als Chefin der Company organisierte sie Hüte und Fliegen für den Auftritt – alles sollte perfekt sein... Nun ja, wir waren in den Proben besser. Aber es hat Spaß gemacht und unseren Ehrgeiz gestreichelt, weiter zu trainieren. Inzwischen bin ich ein Jahr dabei und ich freue mich auf jeden Dienstagabend, nicht nur der Übungen, sondern ebenso der Atmosphäre und guten Gespräche wegen. Manchmal gehe ich auch an anderen Wochentagen ins Studio und schaue einfach den Kindertanzklassen oder den Hip Hopern zu. Mein Horizont für unseren Wohnort erweiterte sich. Ich erlebe Eltern, die stolz auf das Können ihrer Kinder sind. Wir kommen ins Gespräch, ich erfahre Persönliches und Neuigkeiten vom Müggelheimer Leben.

Es scheint, dass hier auf knapp 80q Quadratmetern ein eigener Mikrokosmos entstanden ist, der die Welt heil erscheinen lässt, was sie natürlich nicht ist.

Brigitte Bätz hat im Müggelheimer Damm 269a ihren Lebensentwurf verwirklicht. Ihre Leidenschaft für das Ballett ist ansteckend. Sie unterstützt jede und jeden, der ihr Studio betritt, eigene Träume zu verwirklichen. Leicht ist es nicht, war es nie. Sie ärgert sich, wenn Kursgebühren nicht pünktlich bezahlt oder Verträge nicht eingehalten werden. Zum Glück ist das die Ausnahme und zum Glück schätzen die meisten Tanzbesessenen wie ich die Perle, die ich vor einem Jahr fand.