Wie gut, solche Freunde zu haben

Eindrücke einer Reise zur äthiopischen Partnergemeinde Chanka

von Siegfried Menthel

In Chanka mit großem Gefolge unterwegs. Fotos: Anna Sommerfeld, Martina Albrecht

Müde zwar, aber erfüllt von dem in denen beiden vergangenen Wochen Erlebten, schlenderten wir vor unserem Abflug aus Addis Abeba über den Bole-Airport. Mein Blick fiel auf ein großes Plakat:

WELCOME TO WARM ETHIOPIAN HOSPITALITY.

Ja, genau: Willkommen in der warmen äthiopischen Gastfreundschaft – eine gute erste Zusammenfassung unserer Reise, die uns vom 1. bis 16. Februar vor allem zu unserer Partnergemeinde nach Chanka führte.

Zu unserer Reisegruppe gehörten fünf Frauen und drei Männer. Für alle – außer für mich – war es die erste Begegnung mit Äthiopien.

Gastfreundschaft haben wir vor allem in unserer Partnergemeinde Chanka erlebt. Wieder hatte man für die Gäste aus Berlin – wie auch schon bei früheren Besuchen – den Kindergarten der Kirchengemeinde in ein kleines Hotel umfunktioniert. Für jede und jeden von uns war ein bequemes Bett aufgestellt worden; links neben dem Kindergartenhaus war aus Stangen und Bauplanen eine Duschkabine und rechts aus Wellblech eine provisorische Küche gebaut worden. Drei Frauen kochten für uns und zwei Männer waren beauftragt, das Gelände zu bewachen. Viermal waren wir darüber hinaus als ganze Gruppe zum Essen eingeladen.

Gastfreundschaft. Wir hatten der Gemeindeleitung zuvor mitgeteilt, dass wir in der Woche unseres Aufenthalts gern den Fortgang der Projekte, durch die wir in besonderer Weise miteinander verbunden sind, anschauen würden. Schon am Tag nach unserer Ankunft in Addis Abeba wurde uns vom Synodenpräsidenten von Dembi Dollo (wir würden sagen: Bischof), der in diesen Tagen zu einer Konferenz in der Hauptstadt war und uns in unserem Quartier einen Besuch abstattete, ein detailliertes Programm für unseren Aufenthalt in Chanka übergeben. Zu den gründlichen und liebevollen Vorbereitungen gehörte selbstredend, dass wir bei allen unseren Erkundungen – ob wir als ganze Gruppe unterwegs waren oder nur zu zweit – immer von einem Übersetzer begleitet wurden. So war es möglich, Familien zu besuchen, die in Chanka von dem Aids-Waisen-Projekt unterstützt werden.

Besonders eindrücklich war es für mich, einer 32-jährigen Frau wiederzubegegnen, die mit ihren beiden Kindern (sechs und elf Jahre alt) allein lebt, weil ihr Mann sie wegen der Krankheit verlassen hat. Als eine der wenigen hat sie den Mut, über ihre Erkrankung offen zu sprechen. Dafür hatte sie in ihrer Umgebung soviel Ablehnung, Drohungen, ja sogar Überfälle zu erdulden, dass sie ganz verzweifelt war und überlegte, ob sie nicht Chanka wieder verlassen solle. Das war vor zwei Jahren. Jetzt trafen wir sie wie verwandelt. Die Belästigungen hätten aufgehört. Sie sei gut integriert und akzeptiert, erzählte sie uns. Durch ihre Offenheit ist sie auch für andere Kranke eine wichtige Gesprächspartnerin. Sie gehört zur kleinen orthodoxen Gemeinde von Chanka, sie ist auch keine Oromo, sondern Amharin. Ich erwähne das, weil auch an diesem Beispiel deutlich wird, dass unsere evangelische Partnergemeinde als einziges Kriterium für die Weitergabe von Hilfsgeldern Bedürftigkeit und nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmtem Konfession oder Religion gelten lässt.

Der Chairman der Presbytery – wir würden sagen: der Superintendent des Kirchenkreises – Etana Terfa stand uns nicht nur während der ganzen Woche als kundiger Übersetzer zur Verfügung, sondern hat uns auch in die entlegendsten Hütten begleitet. Er kennt die Wege zu den Menschen, die in Not sind (obwohl es weder Straßennamen, noch Hausnummern gibt in dem Ort mit fast 20.000 Einwohnern).

Außerhalb unseres verabredeten Programms führte er uns zunächst zu einer Familie mit einem achtjährigen Mädchen, das als sechsmonatiger Säugling erkrankte und seither weder stehen, noch sitzen, noch sprechen, noch seine Gliedmaßen gebrauchen kann und gefüttert werden muss. Das Kind war gerade in einer Klinik in Addis Abeba. Das hätte 9000 äthiopische Birr (ca. 360 Euro) gekostet. In sechs Monaten solle es wieder in die Klinik kommen. Aber dazu fehle das Geld. (Zum Vergleich: ein Grundschullehrer verdient 500 Birr im Monat.)

Anschließend besuchten wir eine sehr kranke jüngere Frau, die gerade aus dem Krankenhaus mit unklarer Diagnose entlassen worden war und ihren Acker hatte verkaufen müssen, um den Krankenhausaufenthalt zu bezahlen.

Wir haben für beide etwas Geld in der Gemeinde gelassen und sie gebeten, uns weiter zu informieren, damit wir sehen, was wir von hier aus tun können.

Auch ein Aspekt der Gastfreundschaft: Wir werden als Partner in Anspruch genommen: die Gemeinde Chanka kümmert sich um viele soziale Probleme in ihrem Umfeld – wir wurden gefragt, ob wir sie in diesen beiden beschriebenen Situationen entlasten können.

Für ganz arme Menschen, die auch keine Familie haben, die sie unterstützen kann, repariert oder erneuert die Gemeinde die Hütte, in der sie leben – etwa, wenn es durchregnet. Bei diesem Projekt helfen wir seit einigen Jahren. Darum wurden wir auch zu Menschen begleitet, die davon profitieren: Etwa ein blinder alter Mann, der von seiner Tochter betreut wird – oder eine 20-jährige Witwe, die ihre beiden Kinder (neun und fünf Jahre alt) und sich selbst durch Feldarbeit durchzubringen versucht.

Gastfreundschaft. Bei meinem letzten Besuch vor zwei Jahren hatte ich in Chanka davon berichtet, was ich zuvor beim Besuch im 90 km entfernten Krankenhaus in Chaliya gehört hatte: dass Menschen, die an der verbreiteten Fuß- und Beinkrankheit Podokoniose leiden, durch eine sehr einfache Methode geholfen werden könne. Daraufhin haben sich die Gemeindeleiter aus Chanka auf den Weg gemacht und in Chaliya verabredet, dass ein erster Kurs für 100 Kranke in Chanka zustande kam. Wir hatten die Kosten von 1500 Euro dafür übernommen. Die 100 Kursteilnehmer waren nun ein Jahr zusammen. Während unseres jetztigen Aufenthaltes fand mit jedem Teilnehmer ein Auswertungsgespräch statt und am Ende die Ausgabe von passenden Lederschuhen für Jede/n und ein Fest, auf dem einige in bewegenden Worten von ihrem Heilungsprozess erzählten. Der Termin war so gelegt worden, dass wir dabei sein konnten.

Ein zweiter Kurs mit 120 anderen Teilnehmern hat in Chanka gerade begonnen.

Zum Schluss noch dies: Seit einigen Jahren gibt es Bemühungen, Schulpartnerschaften zu begründen: zwischen der Primarschule in Chanka und der Grundschule in Schmöckwitz und zwischen der Sekundarschule in Chanka und dem Montessori-Gymnasium in Köpenick. Bei dieser Reise sollte nun ausgelotet werden, ob und wie eine solche Idee realisiert werden könne. Aus dem Montessori-Gymnasium reisten Martina Jambor mit uns, die lange Zeit zur Schulleitung gehörte, und Charlotte und Konstantin, zwei 18-jährige Schüler. Gut vorbereitet und neugierig trafen sie auf Lehrer und Schüler in Chanka, die auch gut vorbereitet und nicht weniger erwartungsvoll waren. Bei der ersten Begegnung dominierte noch die gegenseitige Fremdheit, bei den folgenden kam es zu spannenden Gesprächsrunden, zu gegenseitigen Befragungen über ganz elementare Lebensvollzüge dort und hier.

Ich breche hier ab, lade aber alle Interessierten zu einem Reisebericht am Samstag, 16. März, um 15 Uhr, ins Gemeindehaus Alt-Schmöckwitz 1, ein.