Waldesnacht

Die Schaubühne zeigte "Forest: The Nature of Crisis" im Müggelwald

von Margard Wohlfarth

Ich hatte mich gefreut, dieses Theaterereignis entdeckt zu haben, als wir schon im Mai die Schaubühne am Lehniner Platz besuchten. Wer sich durch die Information im "Boten" aufgemacht haben mag, um mit etwa 100 "Mitstreitern" durch den Müggelwald zu pilgern, hat sicher sehr unterschiedliche Eindrücke von diesem als Nachtwanderung mit Taschenlampen endenden Erlebnis mit nach Hause genommen. 

Wenn ich als Müggelheimerin Müggelwald und Krise höre, dann denke ich an die immer noch offene Müggelturmfrage, was die Besucherquote in dem früher beliebten Ausflugsgebiet niedrig hält, an die vermüllten Referenzgebiete (für die Choreographin, die Argentinierin Constanza Marcas im weitesten Sinne auch ein Thema des Abends) und an die Wildschweine, die uns aber am 18. August – ich besuchte die letzte Vorstellung – nicht behelligten.

Ich hatte aber bei den ausgedehnten Wanderungen von Spielstätte zu Spielstätte das Vergnügen, die vornehmlich aus Westberlin herübergekommenen Fans der Companie ein wenig aufklären zu dürfen über die Situation hier, über Landschaft und Geschichte. Constanza Marcas hatte mit ihrem DorkyPark-Ensemble bereits im vergangenen Jahr in Wales in ähnlicher Weise gearbeitet, und nun im Müggelwald eine Verbindung zur deutschen Romantik gesucht. In Wales waren es wohl keltische Motive, die die Aufführung inhaltlich bestimmten, hier waren es verheutigte Grimmsche Märchen und Lieder der deutschen Romantik, vorzüglich interpretiert vom Ensemble, das sich mit bemerkenswerter Hingabe und mit Engagement den schwierigen Bedingungen der wohl etwas aufbereiteten Wald- und der Wettersituation gestellt hat.

Constanza Marcas: "Ich wollte mich vor allem auf die Romantik konzentrieren und darauf, dass sie als Antwort auf die industrielle Revolution verstanden wird. Also, die romantische Sicht auf die Natur als Gegenentwurf zu Industrialisierung und Fortschritt." Diese Spannung verdeutlicht sich mir durch Friedrich von Hardenberg, Novalis, der die blaue Blume der Romantik in seinem Roman "Heinrich von Ofterdingen" suchte und als sächsischer Bergbauingenieur die Braunkohle in Mitteldeutschland entdeckte! Welche Ironie! Welche Folgen! Im DDR-Bereich ohne jegliche Umwelttechnologie bis zum Exzess fortgetrieben und schließlich die Wende 1989 entscheidend stimulierend. Die Kumpel saßen bei uns im Wohnzimmer!

Aber machen wir uns nichts vor: Fortschritt hat seinen Preis nicht nur im Umwelt-, sondern auch im menschlichen Bereich. Das Ensemble verdeutlichte im tänzerischen Teil die zunehmende Vereinzelung, die sich ausdrückt im ständigen Partnerwechsel, so habe ich es gesehen. Beim Gang durch den Wald immer wieder überraschende szenische Einfälle. Sie erinnerten an den Elbenwald in Tolkiens Hobbit. Lichter und Bilder tauchen auf und verschwinden. Die werde ich in Erinnerung behalten. Und natürlich auch und vor allem die Interpretation des "Erlkönig" durch Jelena Kulijc fast am Ende des Abends. "Waldesnacht, du wunderkühle…"! Johannes Brahms' Lied erklang auf der 1. Station am Großen Müggelberg. Auf unseren häufigen Spaziergängen dorthin wird es mir immer wieder ins Gedächtnis kommen. Allerdings wohl kaum über Nacht. Wegen der Wildschweine!