Der Müggelturm: Eine Legende lebt wieder – ein Blick zurück

Von Dr. Michael Braun, Hönow

Sechzig Jahre nach dem verheerenden Brand in den Müggelbergen, der den Berlinern 1958 ihren schönen Aussichtsturm raubte, ist im Mai an gleicher Stelle ein Neustart erfolgt. Wir werfen einen Blick zurück zu den Anfängen.

Wie alles begann

Der bekannte Berliner Industrielle Wilhelm Spindler – sehr reich geworden mit dem Waschen der Schmutzwäsche anderer – muss wohl eine zutiefst soziale Ader besessen haben. Er baute nicht nur Sozialwohnungen und eine Badeanstalt an der Spree für seine Mitarbeiter, sondern auch einen Betriebskindergarten und eigene Sparkasse. Sohn Carl, seit 1881 alleiniger Firmenchef, trat in seine Fußstapfen und spendierte den Berlinern um 1880 herum sogar einen Aussichtsturm in den Müggelbergen. Das von dem Architekten Max Jacob (Büro Rosemann & Jacob) 1889 aufgestockte und wegen seiner verspielten Anklänge an fernöstliche Formen liebevoll „Pagode“ genannte, hölzerne Kunstwerk ist schnell zum touristischen Renner nicht nur in Köpenick avanciert. Zimmermeister Martin hat dafür 150 Festmeter Holz verarbeitet, die Kosten beliefen sich damals auf 40 Tausend Mark. Zunächst jedoch musste Baurat Bohl Nörglern entgegentreten, die die Standfestigkeit des Turms in Zweifel gezogen hatten. Dessen Einweihung gestaltete sich dann fulminant, am 1. Osterfeiertag 1890 wurden unglaubliche Eintausendfünfhundert Turmbesteiger gezählt.

Der Niedergang

Über die Jahre hinweg sind wahre Myriaden von Menschen auf diesen Turm geklettert, auch in der Gaststätte eingekehrt. Als besonderes Glückskind hatte der fragile Turm sogar den Weltkrieg überstanden. Dann allerdings war seine Standsicherheit amtlicherseits als bedenklich eingeschätzt worden, vielleicht hatte da ein böser Holzwurm genagt.
Die daraufhin verordnete Rettung für den Turm, nämlich ihn mit einem innenliegenden Stahlgerüst zu stabilisieren, war groteskerweise sein Todesurteil. Bei den Bauarbeiten dazu fing der Holzkoloss 1958 Feuer und brannte komplett nieder. Ein Dampferkapitän auf der Spree soll der Erste gewesen sein, der den kapitalen Feuerschein bemerkte. Zweimal zuvor hatte der Turm schon beinahe gebrannt, nun war nur noch Asche übrig. Nun indes zeigte sich die Liebe der Berliner zu ihrem Turm in einer Welle von Geldspenden zum Wiederaufbau.

Der sozialistische Turm

Bald stellten sich richtige Entzugserscheinungen bei den Berlinern ein. Immerhin war seit dem Turmverlust geraume Zeit verstrichen. Einem so genannten Architektenkollektiv der Kunsthochschule ist dann die Planung eines „richtigen“ Turmes übertragen wurden. Aus Holz sollte der diesmal sicher nicht mehr sein, Beton in allen Varianten war nun angesagt. Pünktlich, am Silvestertag 1961 – die Berliner Mauer war da gerade einmal vier Monate alt – wurde der Turm den Berlinern quasi wiedergegeben, knapp drei Meter höher sogar als sein Vorläufer. Mit den Spenden war ja ein finanzieller Grundstock vorhanden gewesen. In dieser politisch doch brisanten Zeit hatte die DDR-Regierung wohl den Wert von öffentlichkeitswirksamen „Geschenken“ an ihre Bevölkerung erkannt. Kistenweise Sekt schleppten zuvor die dort Beschäftigten die letzten Treppen hinauf. Für zwei Fotografen von „Zentralbild“ hatten besonders Ungeduldige schon Tage zuvor lustige Hütchen aufgesetzt. So kamen dann stimmungsvolle Silvester-Fotos rechtzeitig in die Zeitungen.

Müggelturm reloaded

Schon sechs Wochen später ein neuer Besucherrekord: an einem Sonntag gab es 2000 Turmbesteiger und die doppelte Zahl im Restaurant, und das im tiefsten Winter, nicht schlecht!
Manchen wird damals vielleicht noch das bogenförmige Holzschild „HO-Gaststätte Müggelturm“ erinnerlich gewesen sein, mit dem die Besucher bis 1958 am Treppenfuß begrüßt wurden. Dieses Schild, damals jedoch noch mit der Aufschrift: „Restaurant Müggelturm“, hatte sich aus Vorkriegszeiten herübergerettet. Der neue Turm hatte solch ein Schild nicht mehr. Dafür hat dann die bekannte Adlershofer Metallbaufirma Eltz KG bei der Ausstattung des neuen Turms intensiv mitgewirkt.
So populär war der Turm, dass es in den 60er Jahren sogar ein sehr ungewöhnliches Hindernisrennen auf der Hoppegartener Galopprennbahn um den „Preis von Müggelturm“ gab.

Was bleibt

Der Müggelturm stand als „das Wahrzeichen“ des Stadtbezirks Köpenick allzeit im Mittelpunkt öffentlichen Interesses. Postkartenverlage und Plakatmacher verwendeten gern das Motiv, die staatliche Bildagentur „Zentralbild“ lieferte die Vorlagen dazu. Mindestens fünfzehn Bildreporter sind über die Jahre hinweg immer wieder ausgeschwärmt, das prominente Wunderwerk aus allen erdenklichen Blickwinkeln abzulichten und den Berlinern und ihren Gästen wärmstens nahe zu bringen.
Sogar schon früher gab es eine Verbindung zwischen dem Turm und dem Eisschnellaufsport. Nicht erst in der neueren Geschichte, in der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein die Lebensgefährtin von Investor und Betreiber des sanierten Müggelturms Matthias Große ist. Denn als im Februar 1964 hochkarätig besetzte Wettbewerbe im Dynamo-Forum stattfanden, hat die damalige DDR-Eisschnellauf-„Queen“ Helga Haase die amerikanischen Mädels zum Sightseeing auf den Turm geführt, Bildreporter Studre hielt die nette Geste auf Zelluloid fest.

Ein Wort noch zu dem mysteriösen Stein am Bestelltresen der Gaststätte. Es ist nicht der Stein, der dem Investor Große am Eröffnungstag vom Herzen fiel. Es handelt sich um einen Festpunkt zur Vermessung der Gegend. Ihn bitte unbedingt stehen lassen!

Noch 1953 beliebtes Ausflugsziel